Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

zu hören, von welchen er bis jetzt so gut wie nichts geträumt hatte.

Eduard erzählte, nicht eben was der Wald sich erzählt, aber doch was im Walde vorgeht. Er kannte alle Kräuter, Halme, Sträucher, Stauden und Bäume, und letztere nicht bloß von der Wurzel bis zum Gipfel, sondern auch in ihren wohnlichen Beziehungen und Verhältnissen, soferne es nämlich keinen Baum gab, den er nicht erklettert hatte, um in die Vogelnester zu gucken. Von jedem Vogel wußte er zu sagen, wieviele und welcherlei Farbe Eier er lege, und wie er sein Nest baue, bis auf jenen Sonderling, der kein eigen Haus hat, sondern sich, jedoch ohne Hauszins zu bezahlen, in der Miethe behilft.

Durch Wilhelms freudige Aufmerksamkeit angeregt kam er vom Hundertsten ins Tausendste. Er erzählte ausführlich von dem Leben der Ameisen in Wald und Feld. Zu geschweigen von ihrem Witterungssinn, der sie lehre, ihren Vorrath, den sie zum Trocknen in die Sonne hinaustragen, vor einem Regen stets so sicher ins Nest zurückzubringen, wie jene Reichsburger ihre Spritzen immer acht Tage vor einem Brande probaten -- hatte er einst einen Zug von Klugheit an ihnen belauscht, der seinen Zuhörer, unter Beihülfe der Weltanschauung durch die Flasche, bis zu Thränen rührte. Eine Ameisenrepublik bot nämlich einmal das Schauspiel, daß sie ihr Korn, statt es zu sonnen, mondete. Als er sich nach der Ursache dieser seltsamen Maßregel

zu hören, von welchen er bis jetzt so gut wie nichts geträumt hatte.

Eduard erzählte, nicht eben was der Wald sich erzählt, aber doch was im Walde vorgeht. Er kannte alle Kräuter, Halme, Sträucher, Stauden und Bäume, und letztere nicht bloß von der Wurzel bis zum Gipfel, sondern auch in ihren wohnlichen Beziehungen und Verhältnissen, soferne es nämlich keinen Baum gab, den er nicht erklettert hatte, um in die Vogelnester zu gucken. Von jedem Vogel wußte er zu sagen, wieviele und welcherlei Farbe Eier er lege, und wie er sein Nest baue, bis auf jenen Sonderling, der kein eigen Haus hat, sondern sich, jedoch ohne Hauszins zu bezahlen, in der Miethe behilft.

Durch Wilhelms freudige Aufmerksamkeit angeregt kam er vom Hundertsten ins Tausendste. Er erzählte ausführlich von dem Leben der Ameisen in Wald und Feld. Zu geschweigen von ihrem Witterungssinn, der sie lehre, ihren Vorrath, den sie zum Trocknen in die Sonne hinaustragen, vor einem Regen stets so sicher ins Nest zurückzubringen, wie jene Reichsburger ihre Spritzen immer acht Tage vor einem Brande probaten — hatte er einst einen Zug von Klugheit an ihnen belauscht, der seinen Zuhörer, unter Beihülfe der Weltanschauung durch die Flasche, bis zu Thränen rührte. Eine Ameisenrepublik bot nämlich einmal das Schauspiel, daß sie ihr Korn, statt es zu sonnen, mondete. Als er sich nach der Ursache dieser seltsamen Maßregel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0096"/>
zu hören, von welchen er bis jetzt so gut wie                nichts geträumt hatte.</p><lb/>
        <p>Eduard erzählte, nicht eben was der Wald sich erzählt, aber doch was im Walde                vorgeht. Er kannte alle Kräuter, Halme, Sträucher, Stauden und Bäume, und letztere                nicht bloß von der Wurzel bis zum Gipfel, sondern auch in ihren wohnlichen                Beziehungen und Verhältnissen, soferne es nämlich keinen Baum gab, den er nicht                erklettert hatte, um in die Vogelnester zu gucken. Von jedem Vogel wußte er zu sagen,                wieviele und welcherlei Farbe Eier er lege, und wie er sein Nest baue, bis auf jenen                Sonderling, der kein eigen Haus hat, sondern sich, jedoch ohne Hauszins zu bezahlen,                in der Miethe behilft.</p><lb/>
        <p>Durch Wilhelms freudige Aufmerksamkeit angeregt kam er vom Hundertsten ins                Tausendste. Er erzählte ausführlich von dem Leben der Ameisen in Wald und Feld. Zu                geschweigen von ihrem Witterungssinn, der sie lehre, ihren Vorrath, den sie zum                Trocknen in die Sonne hinaustragen, vor einem Regen stets so sicher ins Nest                zurückzubringen, wie jene Reichsburger ihre Spritzen immer acht Tage vor einem Brande                probaten &#x2014; hatte er einst einen Zug von Klugheit an ihnen belauscht, der seinen                Zuhörer, unter Beihülfe der Weltanschauung durch die Flasche, bis zu Thränen rührte.                Eine Ameisenrepublik bot nämlich einmal das Schauspiel, daß sie ihr Korn, statt es zu                sonnen, mondete. Als er sich nach der Ursache dieser seltsamen Maßregel<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] zu hören, von welchen er bis jetzt so gut wie nichts geträumt hatte. Eduard erzählte, nicht eben was der Wald sich erzählt, aber doch was im Walde vorgeht. Er kannte alle Kräuter, Halme, Sträucher, Stauden und Bäume, und letztere nicht bloß von der Wurzel bis zum Gipfel, sondern auch in ihren wohnlichen Beziehungen und Verhältnissen, soferne es nämlich keinen Baum gab, den er nicht erklettert hatte, um in die Vogelnester zu gucken. Von jedem Vogel wußte er zu sagen, wieviele und welcherlei Farbe Eier er lege, und wie er sein Nest baue, bis auf jenen Sonderling, der kein eigen Haus hat, sondern sich, jedoch ohne Hauszins zu bezahlen, in der Miethe behilft. Durch Wilhelms freudige Aufmerksamkeit angeregt kam er vom Hundertsten ins Tausendste. Er erzählte ausführlich von dem Leben der Ameisen in Wald und Feld. Zu geschweigen von ihrem Witterungssinn, der sie lehre, ihren Vorrath, den sie zum Trocknen in die Sonne hinaustragen, vor einem Regen stets so sicher ins Nest zurückzubringen, wie jene Reichsburger ihre Spritzen immer acht Tage vor einem Brande probaten — hatte er einst einen Zug von Klugheit an ihnen belauscht, der seinen Zuhörer, unter Beihülfe der Weltanschauung durch die Flasche, bis zu Thränen rührte. Eine Ameisenrepublik bot nämlich einmal das Schauspiel, daß sie ihr Korn, statt es zu sonnen, mondete. Als er sich nach der Ursache dieser seltsamen Maßregel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/96
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/96>, abgerufen am 19.05.2024.