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Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und da die Arbeit wieder ins Stocken gerieth und bei der schwer erschütterten Gesundheit des Freundes Alles zu vermeiden war, was eine starke Anspannung der dichterischen Kraft erfordert hätte, machte ich den Vorschlag, die Novelle überhaupt ein für alle Mal mit dem Lebensende der beiden Pfarrer abzuschließen. Hiergegen wandte K. ein, "im ganzen Gebiete der Kunst dürfte die humoristische Dissonanz leichtlich die allerschlimmste sein." Ich entgegnete, daß ich diesen Satz im Allgemeinen zugäbe, seine Anwendung aber auf unseren besonderen Fall bestreiten müsse. Wenn eine Freundschaft, die auf Fernrohrweite entstanden und fortgeführt worden, bei der ersten Gelegenheit einer persönlichen Berührung ein Ende mit Schrecken nähme, so sei das gerade "der Humor davon", und Niemand werde sagen können, daß eine solche Dissonanz, die so recht zum eigentlichsten Wesen des ganzen Motivs gehöre, unkünstlerisch wirke. Auch ich könne mir eine Fortsetzung denken, die auf eine heitere Weise die Kinder mit Hülfe derselben verhängnißvollen Instrumente wieder zusammenführe, deren sich das Schicksal bedient, um die Väter einander zu nähern. Aber wenn diese Wendung nicht in der glücklichsten Stunde von der heiteren Muse eingegeben würde, wäre zu besorgen, daß die Geschichte der zweiten Generation sich auf die humoristische Höhe der ersten nicht hinaufzuschwingen vermöchte, so daß in der unvermeidlichen Doppelnovelle ein Absinken der Wirkung gegen den Schluß sich fühlbar machen würde.

Ueber diesem Hin und Wider, das vor der Hand zu keinem Austrag kommen konnte, überraschte den Freund der Tod, und fast erscheint es nun als eine Verletzung der Pietät gegen einen letzten Willen, wenn die Geschichte von den beiden Tubus nun dennoch mit der "Dissonanz" am Schlusse dem Novellenschatz einverleibt wird. Wäre nur die Form, in welcher die Novelle in jener ersten Ausgabe zu Ende geführt wird, nicht ebenfalls von dem Verfasser verworfen worden, oder wäre von der neuen Fortsetzung so viel vorhanden, um wenigstens durch die Mittheilung des Plans die Erzählung versöhnender im Sinne des Dahingeschiedenen abzuschließen! Nun aber bleibt nichts übrig, als die Frage vor das Tribunal des Publicums zu bringen und, falls sich dieses

und da die Arbeit wieder ins Stocken gerieth und bei der schwer erschütterten Gesundheit des Freundes Alles zu vermeiden war, was eine starke Anspannung der dichterischen Kraft erfordert hätte, machte ich den Vorschlag, die Novelle überhaupt ein für alle Mal mit dem Lebensende der beiden Pfarrer abzuschließen. Hiergegen wandte K. ein, „im ganzen Gebiete der Kunst dürfte die humoristische Dissonanz leichtlich die allerschlimmste sein.“ Ich entgegnete, daß ich diesen Satz im Allgemeinen zugäbe, seine Anwendung aber auf unseren besonderen Fall bestreiten müsse. Wenn eine Freundschaft, die auf Fernrohrweite entstanden und fortgeführt worden, bei der ersten Gelegenheit einer persönlichen Berührung ein Ende mit Schrecken nähme, so sei das gerade „der Humor davon“, und Niemand werde sagen können, daß eine solche Dissonanz, die so recht zum eigentlichsten Wesen des ganzen Motivs gehöre, unkünstlerisch wirke. Auch ich könne mir eine Fortsetzung denken, die auf eine heitere Weise die Kinder mit Hülfe derselben verhängnißvollen Instrumente wieder zusammenführe, deren sich das Schicksal bedient, um die Väter einander zu nähern. Aber wenn diese Wendung nicht in der glücklichsten Stunde von der heiteren Muse eingegeben würde, wäre zu besorgen, daß die Geschichte der zweiten Generation sich auf die humoristische Höhe der ersten nicht hinaufzuschwingen vermöchte, so daß in der unvermeidlichen Doppelnovelle ein Absinken der Wirkung gegen den Schluß sich fühlbar machen würde.

Ueber diesem Hin und Wider, das vor der Hand zu keinem Austrag kommen konnte, überraschte den Freund der Tod, und fast erscheint es nun als eine Verletzung der Pietät gegen einen letzten Willen, wenn die Geschichte von den beiden Tubus nun dennoch mit der „Dissonanz“ am Schlusse dem Novellenschatz einverleibt wird. Wäre nur die Form, in welcher die Novelle in jener ersten Ausgabe zu Ende geführt wird, nicht ebenfalls von dem Verfasser verworfen worden, oder wäre von der neuen Fortsetzung so viel vorhanden, um wenigstens durch die Mittheilung des Plans die Erzählung versöhnender im Sinne des Dahingeschiedenen abzuschließen! Nun aber bleibt nichts übrig, als die Frage vor das Tribunal des Publicums zu bringen und, falls sich dieses

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/9>, abgerufen am 07.05.2024.