Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

hatte, Allen zuvorzukommen. Man riß sich um ihn, las die Aufgaben vor, kritisirte sie, fand sie unbillig schwer, und die Spannung wuchs mit jedem Augenblicke. Allmählich kamen Andere nach, und ihre Angehörigen säumten nicht, ihre Sudelschriften in Empfang zu nehmen und aus diesen sibyllinischen Blättern die Zukunft der jungen Verfasser zu erforschen. Die verschiedenen Abstufungen des Mienenspiels, welche hierzu beobachten waren, vom höchsten Entzücken bis zur äußersten Entmuthigung hinab, boten ein belebtes Bild, das wohl einer malerischen Darstellung würdig gewesen wäre.

Unter diesen Gruppen, doch außerhalb des dichtesten Gedränges, befand sich ein Mann von vorgegeschrittenem Umfang und lebensfrohem Gesichtsausdruck, worin keine Spur einer Runzel an Bedenklichkeiten oder Zweifelsqualen erinnerte. Er trug einen Rock von sehr dunkelblauer Farbe, die zur Noth, obwohl nicht ganz ordnungsmäßig, die schwarze ersetzen konnte, und war unser alter Freund, der Pfarrer von A . . . berg. Ein kleines Reisemißgeschick hatte zwar seine Heiterkeit etwas getrübt. Er war nämlich ungemein begierig gewesen, das Felsengesicht, das er in der Nähe nicht sein nennen konnte, sich aus der nöthigen Entfernung anzueignen, und zu diesem Zwecke hatte er seinen Butzengeiger mitgenommen. Unser deutscher Himmel aber hatte ihm unterwegs den Streich gespielt, sich in Unklarheit zu hüllen, was ihn für einige Zeit ganz unglücklich machte. Doch tröstete er sich mit der

hatte, Allen zuvorzukommen. Man riß sich um ihn, las die Aufgaben vor, kritisirte sie, fand sie unbillig schwer, und die Spannung wuchs mit jedem Augenblicke. Allmählich kamen Andere nach, und ihre Angehörigen säumten nicht, ihre Sudelschriften in Empfang zu nehmen und aus diesen sibyllinischen Blättern die Zukunft der jungen Verfasser zu erforschen. Die verschiedenen Abstufungen des Mienenspiels, welche hierzu beobachten waren, vom höchsten Entzücken bis zur äußersten Entmuthigung hinab, boten ein belebtes Bild, das wohl einer malerischen Darstellung würdig gewesen wäre.

Unter diesen Gruppen, doch außerhalb des dichtesten Gedränges, befand sich ein Mann von vorgegeschrittenem Umfang und lebensfrohem Gesichtsausdruck, worin keine Spur einer Runzel an Bedenklichkeiten oder Zweifelsqualen erinnerte. Er trug einen Rock von sehr dunkelblauer Farbe, die zur Noth, obwohl nicht ganz ordnungsmäßig, die schwarze ersetzen konnte, und war unser alter Freund, der Pfarrer von A . . . berg. Ein kleines Reisemißgeschick hatte zwar seine Heiterkeit etwas getrübt. Er war nämlich ungemein begierig gewesen, das Felsengesicht, das er in der Nähe nicht sein nennen konnte, sich aus der nöthigen Entfernung anzueignen, und zu diesem Zwecke hatte er seinen Butzengeiger mitgenommen. Unser deutscher Himmel aber hatte ihm unterwegs den Streich gespielt, sich in Unklarheit zu hüllen, was ihn für einige Zeit ganz unglücklich machte. Doch tröstete er sich mit der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0070"/>
hatte, Allen zuvorzukommen. Man riß sich um                ihn, las die Aufgaben vor, kritisirte sie, fand sie unbillig schwer, und die Spannung                wuchs mit jedem Augenblicke. Allmählich kamen Andere nach, und ihre Angehörigen                säumten nicht, ihre Sudelschriften in Empfang zu nehmen und aus diesen sibyllinischen                Blättern die Zukunft der jungen Verfasser zu erforschen. Die verschiedenen                Abstufungen des Mienenspiels, welche hierzu beobachten waren, vom höchsten Entzücken                bis zur äußersten Entmuthigung hinab, boten ein belebtes Bild, das wohl einer                malerischen Darstellung würdig gewesen wäre.</p><lb/>
        <p>Unter diesen Gruppen, doch außerhalb des dichtesten Gedränges, befand sich ein Mann                von vorgegeschrittenem Umfang und lebensfrohem Gesichtsausdruck, worin keine Spur                einer Runzel an Bedenklichkeiten oder Zweifelsqualen erinnerte. Er trug einen Rock                von sehr dunkelblauer Farbe, die zur Noth, obwohl nicht ganz ordnungsmäßig, die                schwarze ersetzen konnte, und war unser alter Freund, der Pfarrer von A . . . berg.                Ein kleines Reisemißgeschick hatte zwar seine Heiterkeit etwas getrübt. Er war                nämlich ungemein begierig gewesen, das Felsengesicht, das er in der Nähe nicht sein                nennen konnte, sich aus der nöthigen Entfernung anzueignen, und zu diesem Zwecke                hatte er seinen Butzengeiger mitgenommen. Unser deutscher Himmel aber hatte ihm                unterwegs den Streich gespielt, sich in Unklarheit zu hüllen, was ihn für einige Zeit                ganz unglücklich machte. Doch tröstete er sich mit der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] hatte, Allen zuvorzukommen. Man riß sich um ihn, las die Aufgaben vor, kritisirte sie, fand sie unbillig schwer, und die Spannung wuchs mit jedem Augenblicke. Allmählich kamen Andere nach, und ihre Angehörigen säumten nicht, ihre Sudelschriften in Empfang zu nehmen und aus diesen sibyllinischen Blättern die Zukunft der jungen Verfasser zu erforschen. Die verschiedenen Abstufungen des Mienenspiels, welche hierzu beobachten waren, vom höchsten Entzücken bis zur äußersten Entmuthigung hinab, boten ein belebtes Bild, das wohl einer malerischen Darstellung würdig gewesen wäre. Unter diesen Gruppen, doch außerhalb des dichtesten Gedränges, befand sich ein Mann von vorgegeschrittenem Umfang und lebensfrohem Gesichtsausdruck, worin keine Spur einer Runzel an Bedenklichkeiten oder Zweifelsqualen erinnerte. Er trug einen Rock von sehr dunkelblauer Farbe, die zur Noth, obwohl nicht ganz ordnungsmäßig, die schwarze ersetzen konnte, und war unser alter Freund, der Pfarrer von A . . . berg. Ein kleines Reisemißgeschick hatte zwar seine Heiterkeit etwas getrübt. Er war nämlich ungemein begierig gewesen, das Felsengesicht, das er in der Nähe nicht sein nennen konnte, sich aus der nöthigen Entfernung anzueignen, und zu diesem Zwecke hatte er seinen Butzengeiger mitgenommen. Unser deutscher Himmel aber hatte ihm unterwegs den Streich gespielt, sich in Unklarheit zu hüllen, was ihn für einige Zeit ganz unglücklich machte. Doch tröstete er sich mit der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/70
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/70>, abgerufen am 23.11.2024.