Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gründliches Räthsel. Der Pfarrer von Y . . . Burg, dieser verbissene Einsiedler, dieser eingefleischte Hypochondrist, dieser unheilbare Misanthrop, war durch die lachende Erscheinung des ihm in A . . . berg aufgegangenen Vollmondes hingerissen und, für einige Zeit wenigstens, völlig umgewandelt. Der deutlichste Beweis hiefür war, daß er sich entschließen konnte, oder vielmehr sich gedrungen fühlte, sein vertrocknetes Tintenfaß aufzufrischen und aus eigenem Antriebe von der entfernteren Bekanntschaft durch das Sehrohr zu der näheren Befreundung durch die Schreibfeder überzugehen. Der frischen Tinte bedurfte er nämlich, weil er seine Predigten aus dem Stegreif zu halten und auch sonst, amtliche Anlässe ausgenommen, von der Erfindung des Thot wenig Gebrauch zu machen pflegte, so daß sein Tintenfaß anhaltenden periodischen Trocknissen unterworfen war. Aeußerlich brachte indessen diese vorübergehende Umwandlung in der Lebensweise des Stubenvogels von Y . . . burg keine Aenderung hervor. Doch verspürte seine Umgebung etwas von dem Freudenschimmer, der in dieses verdüsterte Dasein gefallen war; sie verspürte es aber nur an dem Umstande, daß er sich etwas weniger mürrisch gegen Frau und Kinder anließ, als sonst. Der Grund dieser flüchtigen Aufhellung ihres sonst stets bewölkten Lebenshimmels blieb ihnen verborgen. Wenn daher der Pfarrer von Y . . . burg, durch die Höflichkeit des Pfarrers und der Pfarrerin von gründliches Räthsel. Der Pfarrer von Y . . . Burg, dieser verbissene Einsiedler, dieser eingefleischte Hypochondrist, dieser unheilbare Misanthrop, war durch die lachende Erscheinung des ihm in A . . . berg aufgegangenen Vollmondes hingerissen und, für einige Zeit wenigstens, völlig umgewandelt. Der deutlichste Beweis hiefür war, daß er sich entschließen konnte, oder vielmehr sich gedrungen fühlte, sein vertrocknetes Tintenfaß aufzufrischen und aus eigenem Antriebe von der entfernteren Bekanntschaft durch das Sehrohr zu der näheren Befreundung durch die Schreibfeder überzugehen. Der frischen Tinte bedurfte er nämlich, weil er seine Predigten aus dem Stegreif zu halten und auch sonst, amtliche Anlässe ausgenommen, von der Erfindung des Thot wenig Gebrauch zu machen pflegte, so daß sein Tintenfaß anhaltenden periodischen Trocknissen unterworfen war. Aeußerlich brachte indessen diese vorübergehende Umwandlung in der Lebensweise des Stubenvogels von Y . . . burg keine Aenderung hervor. Doch verspürte seine Umgebung etwas von dem Freudenschimmer, der in dieses verdüsterte Dasein gefallen war; sie verspürte es aber nur an dem Umstande, daß er sich etwas weniger mürrisch gegen Frau und Kinder anließ, als sonst. Der Grund dieser flüchtigen Aufhellung ihres sonst stets bewölkten Lebenshimmels blieb ihnen verborgen. Wenn daher der Pfarrer von Y . . . burg, durch die Höflichkeit des Pfarrers und der Pfarrerin von <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0061"/> gründliches Räthsel. Der Pfarrer von Y . . . Burg, dieser verbissene Einsiedler, dieser eingefleischte Hypochondrist, dieser unheilbare Misanthrop, war durch die lachende Erscheinung des ihm in A . . . berg aufgegangenen Vollmondes hingerissen und, für einige Zeit wenigstens, völlig umgewandelt. Der deutlichste Beweis hiefür war, daß er sich entschließen konnte, oder vielmehr sich gedrungen fühlte, sein vertrocknetes Tintenfaß aufzufrischen und aus eigenem Antriebe von der entfernteren Bekanntschaft durch das Sehrohr zu der näheren Befreundung durch die Schreibfeder überzugehen. Der frischen Tinte bedurfte er nämlich, weil er seine Predigten aus dem Stegreif zu halten und auch sonst, amtliche Anlässe ausgenommen, von der Erfindung des Thot wenig Gebrauch zu machen pflegte, so daß sein Tintenfaß anhaltenden periodischen Trocknissen unterworfen war.</p><lb/> <p>Aeußerlich brachte indessen diese vorübergehende Umwandlung in der Lebensweise des Stubenvogels von Y . . . burg keine Aenderung hervor. Doch verspürte seine Umgebung etwas von dem Freudenschimmer, der in dieses verdüsterte Dasein gefallen war; sie verspürte es aber nur an dem Umstande, daß er sich etwas weniger mürrisch gegen Frau und Kinder anließ, als sonst. Der Grund dieser flüchtigen Aufhellung ihres sonst stets bewölkten Lebenshimmels blieb ihnen verborgen. Wenn daher der Pfarrer von Y . . . burg, durch die Höflichkeit des Pfarrers und der Pfarrerin von<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0061]
gründliches Räthsel. Der Pfarrer von Y . . . Burg, dieser verbissene Einsiedler, dieser eingefleischte Hypochondrist, dieser unheilbare Misanthrop, war durch die lachende Erscheinung des ihm in A . . . berg aufgegangenen Vollmondes hingerissen und, für einige Zeit wenigstens, völlig umgewandelt. Der deutlichste Beweis hiefür war, daß er sich entschließen konnte, oder vielmehr sich gedrungen fühlte, sein vertrocknetes Tintenfaß aufzufrischen und aus eigenem Antriebe von der entfernteren Bekanntschaft durch das Sehrohr zu der näheren Befreundung durch die Schreibfeder überzugehen. Der frischen Tinte bedurfte er nämlich, weil er seine Predigten aus dem Stegreif zu halten und auch sonst, amtliche Anlässe ausgenommen, von der Erfindung des Thot wenig Gebrauch zu machen pflegte, so daß sein Tintenfaß anhaltenden periodischen Trocknissen unterworfen war.
Aeußerlich brachte indessen diese vorübergehende Umwandlung in der Lebensweise des Stubenvogels von Y . . . burg keine Aenderung hervor. Doch verspürte seine Umgebung etwas von dem Freudenschimmer, der in dieses verdüsterte Dasein gefallen war; sie verspürte es aber nur an dem Umstande, daß er sich etwas weniger mürrisch gegen Frau und Kinder anließ, als sonst. Der Grund dieser flüchtigen Aufhellung ihres sonst stets bewölkten Lebenshimmels blieb ihnen verborgen. Wenn daher der Pfarrer von Y . . . burg, durch die Höflichkeit des Pfarrers und der Pfarrerin von
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T14:08:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T14:08:57Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |