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Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Portrait concentrirte sich nun Alles, was ihm die Erde Hassenswerthes enthielt. In rauhe Bergesöde gebannt, entsprach dieses Phantasma für ihn einigermaßen dem Sündenbocke, den das auserwählte Volk Gottes zu den Zeilen des alten Bundes, mit allen Missethaten Israels beschwert, zum bösen Geiste Asasel in die Wüste zu jagen pflegte. Die übrige Welt konnte jetzt gleichsam von dem Alpdruck seiner täglichen Strafblicke aufathmen, -- gleichviel ob sie sich diese Vergünstigung zu Nutzen machte -- während er die ganze Last seines Grolles gegen das steinerne Gesicht entlud. Jeden Morgen zog er es zu sich heran, gab ihm, Stimme und Mienenspiel nachahmend, die Allocutionen, die der wohlmeinende Vorsteher einst an ihn gehalten, zurück und überhäufte die arme, wehrlose Felsenbüste mit Schmähreden ohne Zahl und Ende.

Auf diese Weise war es gekommen, daß er die ganze Zeit über täglich das Pfarrhaus von A . . . berg mit dem Tubus hart gestreift hatte, ohne von demselben nähere Notiz zu nehmen, bis endlich die bei heftigem Winde weitflatternden Signalflaggen, die wir in Thätigkeit gesehen haben, an dem beobachteten Gegenstände eine leichte Eklipse bewirkten, wodurch die Aufmerksamkeit des Beobachters auf deren Ursache gelenkt und so jener Blick- Zeichen- und Briefwechsel zweier Deutschen herbeigeführt wurde, der wohl in der Zeitgeschichte kaum seines Gleichen finden dürfte.

Das menschliche Herz ist und bleibt ein uner-

Portrait concentrirte sich nun Alles, was ihm die Erde Hassenswerthes enthielt. In rauhe Bergesöde gebannt, entsprach dieses Phantasma für ihn einigermaßen dem Sündenbocke, den das auserwählte Volk Gottes zu den Zeilen des alten Bundes, mit allen Missethaten Israels beschwert, zum bösen Geiste Asasel in die Wüste zu jagen pflegte. Die übrige Welt konnte jetzt gleichsam von dem Alpdruck seiner täglichen Strafblicke aufathmen, — gleichviel ob sie sich diese Vergünstigung zu Nutzen machte — während er die ganze Last seines Grolles gegen das steinerne Gesicht entlud. Jeden Morgen zog er es zu sich heran, gab ihm, Stimme und Mienenspiel nachahmend, die Allocutionen, die der wohlmeinende Vorsteher einst an ihn gehalten, zurück und überhäufte die arme, wehrlose Felsenbüste mit Schmähreden ohne Zahl und Ende.

Auf diese Weise war es gekommen, daß er die ganze Zeit über täglich das Pfarrhaus von A . . . berg mit dem Tubus hart gestreift hatte, ohne von demselben nähere Notiz zu nehmen, bis endlich die bei heftigem Winde weitflatternden Signalflaggen, die wir in Thätigkeit gesehen haben, an dem beobachteten Gegenstände eine leichte Eklipse bewirkten, wodurch die Aufmerksamkeit des Beobachters auf deren Ursache gelenkt und so jener Blick- Zeichen- und Briefwechsel zweier Deutschen herbeigeführt wurde, der wohl in der Zeitgeschichte kaum seines Gleichen finden dürfte.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/60>, abgerufen am 19.05.2024.