Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Person recognoscirte. Er glaubte in einen entfernten Spiegel zu blicken oder gar einen Doppelgänger wahrzunehmen. Bei näherer Untersuchung jedoch fand er, daß dieses "zweite Gesicht", das ihm aufgestoßen, in Wirklichkeit ein zweites war, das heißt, ein anderes. Wenn ihn nämlich sein Butzengeiger, wie er das Instrument zu nennen pflegte, nicht trog, so erkannte er ziemlich deutlich eine schwärzliche Complexion und einen eckigen Knochenbau mit harten düsteren Zügen, während er selbst blond und glatt wie Hamlet, dabei aber freundlich und gemüthlich wie der liebe Vollmond aussah. Kein Zweifel, das Wunder löste sich in Natur, der Doppelgänger sich in einen Kunst- oder vielmehr Liebhabereigenossen auf. Und dennoch blieb es wunderbar, daß diese verwandten Seelen, wer weiß nach wie langem unbewußtem Umhersuchen, sich in so seltener, vielleicht noch nie dagewesener Weise begegnen und eine optische Schäferstunde feiern sollten! Indessen verschob der Pfarrer von A . . . berg das Nachdenken auf eine bequemere Minute, da es ihm für den Augenblick vor Allem darum zu thun sein mußte, die so unerwartet gefundene teleskopische Freundschaft hand-, oder wenn man will augenfest zu machen und sich ihrer dauernd zu versichern. Er holte daher, den schwerfälligen Tubus für eine Weile einhändig regierend und vor Mühe keuchend, sein Taschentuch aus dem Schlafrocke hervor und schwenkte es wiederholt, wobei es ihm Person recognoscirte. Er glaubte in einen entfernten Spiegel zu blicken oder gar einen Doppelgänger wahrzunehmen. Bei näherer Untersuchung jedoch fand er, daß dieses „zweite Gesicht“, das ihm aufgestoßen, in Wirklichkeit ein zweites war, das heißt, ein anderes. Wenn ihn nämlich sein Butzengeiger, wie er das Instrument zu nennen pflegte, nicht trog, so erkannte er ziemlich deutlich eine schwärzliche Complexion und einen eckigen Knochenbau mit harten düsteren Zügen, während er selbst blond und glatt wie Hamlet, dabei aber freundlich und gemüthlich wie der liebe Vollmond aussah. Kein Zweifel, das Wunder löste sich in Natur, der Doppelgänger sich in einen Kunst- oder vielmehr Liebhabereigenossen auf. Und dennoch blieb es wunderbar, daß diese verwandten Seelen, wer weiß nach wie langem unbewußtem Umhersuchen, sich in so seltener, vielleicht noch nie dagewesener Weise begegnen und eine optische Schäferstunde feiern sollten! Indessen verschob der Pfarrer von A . . . berg das Nachdenken auf eine bequemere Minute, da es ihm für den Augenblick vor Allem darum zu thun sein mußte, die so unerwartet gefundene teleskopische Freundschaft hand-, oder wenn man will augenfest zu machen und sich ihrer dauernd zu versichern. Er holte daher, den schwerfälligen Tubus für eine Weile einhändig regierend und vor Mühe keuchend, sein Taschentuch aus dem Schlafrocke hervor und schwenkte es wiederholt, wobei es ihm <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0013"/> Person recognoscirte. Er glaubte in einen entfernten Spiegel zu blicken oder gar einen Doppelgänger wahrzunehmen. Bei näherer Untersuchung jedoch fand er, daß dieses „zweite Gesicht“, das ihm aufgestoßen, in Wirklichkeit ein zweites war, das heißt, ein anderes. Wenn ihn nämlich sein Butzengeiger, wie er das Instrument zu nennen pflegte, nicht trog, so erkannte er ziemlich deutlich eine schwärzliche Complexion und einen eckigen Knochenbau mit harten düsteren Zügen, während er selbst blond und glatt wie Hamlet, dabei aber freundlich und gemüthlich wie der liebe Vollmond aussah.</p><lb/> <p>Kein Zweifel, das Wunder löste sich in Natur, der Doppelgänger sich in einen Kunst- oder vielmehr Liebhabereigenossen auf. Und dennoch blieb es wunderbar, daß diese verwandten Seelen, wer weiß nach wie langem unbewußtem Umhersuchen, sich in so seltener, vielleicht noch nie dagewesener Weise begegnen und eine optische Schäferstunde feiern sollten! Indessen verschob der Pfarrer von A . . . berg das Nachdenken auf eine bequemere Minute, da es ihm für den Augenblick vor Allem darum zu thun sein mußte, die so unerwartet gefundene teleskopische Freundschaft hand-, oder wenn man will augenfest zu machen und sich ihrer dauernd zu versichern. Er holte daher, den schwerfälligen Tubus für eine Weile einhändig regierend und vor Mühe keuchend, sein Taschentuch aus dem Schlafrocke hervor und schwenkte es wiederholt, wobei es ihm<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
Person recognoscirte. Er glaubte in einen entfernten Spiegel zu blicken oder gar einen Doppelgänger wahrzunehmen. Bei näherer Untersuchung jedoch fand er, daß dieses „zweite Gesicht“, das ihm aufgestoßen, in Wirklichkeit ein zweites war, das heißt, ein anderes. Wenn ihn nämlich sein Butzengeiger, wie er das Instrument zu nennen pflegte, nicht trog, so erkannte er ziemlich deutlich eine schwärzliche Complexion und einen eckigen Knochenbau mit harten düsteren Zügen, während er selbst blond und glatt wie Hamlet, dabei aber freundlich und gemüthlich wie der liebe Vollmond aussah.
Kein Zweifel, das Wunder löste sich in Natur, der Doppelgänger sich in einen Kunst- oder vielmehr Liebhabereigenossen auf. Und dennoch blieb es wunderbar, daß diese verwandten Seelen, wer weiß nach wie langem unbewußtem Umhersuchen, sich in so seltener, vielleicht noch nie dagewesener Weise begegnen und eine optische Schäferstunde feiern sollten! Indessen verschob der Pfarrer von A . . . berg das Nachdenken auf eine bequemere Minute, da es ihm für den Augenblick vor Allem darum zu thun sein mußte, die so unerwartet gefundene teleskopische Freundschaft hand-, oder wenn man will augenfest zu machen und sich ihrer dauernd zu versichern. Er holte daher, den schwerfälligen Tubus für eine Weile einhändig regierend und vor Mühe keuchend, sein Taschentuch aus dem Schlafrocke hervor und schwenkte es wiederholt, wobei es ihm
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Zitationshilfe: | Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/13>, abgerufen am 16.02.2025. |