Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

legensten Felsenzacken und die verborgensten Ruinen sehr deutlich vor das Auge treten.

Was jedoch das bewaffnete Auge des Pfarrers von A . . . berg heute gänzlich gefangen nahm und ihn selbst gleichsam zur Statue entgeisterte, war nicht der längst gewohnte Anblick der Morgenlandschaft, obwohl er sich demselben stets mit Liebe hinzugeben pflegte. Es war etwas Neues, Ueberraschendes und, wie wir wohl vorausschicken mögen, eine verhängnißvolle Epoche in seinem Leben heraufzuführen Bestimmtes.

Während er nämlich von Morgen gegen Abend gerichtet zwischen den am Fuße des Gebirges nach dem untern Lande hinziehenden Hügeln, die schon vom jungen Grün des Lenzes überflogen glänzten, ein sonderbar schiefes Thurmchen aufsuchte, nach welchem er jeden Morgen theilnehmend hinsah, ob es noch nicht eingefallen sei, trat eine Erscheinung in sein Sehfeld, die ihn beinahe erschreckt hätte, bald aber mit einer fast närrischen Freude erfüllte.

Er hatte bei seinen bisherigen Beobachtungen ein kleines Haus übersehen, dessen Obertheil in einiger Entfernung von dem wehmüthig geneigten Thürmchen über eine von Bäumen halb versteckte Mauer hervorragte. Erst heute machte er dessen Entdeckung. Aber eine noch größere war ihm vorbehalten: er entdeckte nämlich am Fenster des Häuschens einen Mann, der genau wie er selbst ein Fernrohr handhabte und, so schien es ihm wenigsterns, gerade jetzt seine eigene

legensten Felsenzacken und die verborgensten Ruinen sehr deutlich vor das Auge treten.

Was jedoch das bewaffnete Auge des Pfarrers von A . . . berg heute gänzlich gefangen nahm und ihn selbst gleichsam zur Statue entgeisterte, war nicht der längst gewohnte Anblick der Morgenlandschaft, obwohl er sich demselben stets mit Liebe hinzugeben pflegte. Es war etwas Neues, Ueberraschendes und, wie wir wohl vorausschicken mögen, eine verhängnißvolle Epoche in seinem Leben heraufzuführen Bestimmtes.

Während er nämlich von Morgen gegen Abend gerichtet zwischen den am Fuße des Gebirges nach dem untern Lande hinziehenden Hügeln, die schon vom jungen Grün des Lenzes überflogen glänzten, ein sonderbar schiefes Thurmchen aufsuchte, nach welchem er jeden Morgen theilnehmend hinsah, ob es noch nicht eingefallen sei, trat eine Erscheinung in sein Sehfeld, die ihn beinahe erschreckt hätte, bald aber mit einer fast närrischen Freude erfüllte.

Er hatte bei seinen bisherigen Beobachtungen ein kleines Haus übersehen, dessen Obertheil in einiger Entfernung von dem wehmüthig geneigten Thürmchen über eine von Bäumen halb versteckte Mauer hervorragte. Erst heute machte er dessen Entdeckung. Aber eine noch größere war ihm vorbehalten: er entdeckte nämlich am Fenster des Häuschens einen Mann, der genau wie er selbst ein Fernrohr handhabte und, so schien es ihm wenigsterns, gerade jetzt seine eigene

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0012"/>
legensten Felsenzacken und                die verborgensten Ruinen sehr deutlich vor das Auge treten.</p><lb/>
        <p>Was jedoch das bewaffnete Auge des Pfarrers von A . . . berg heute gänzlich gefangen                nahm und ihn selbst gleichsam zur Statue entgeisterte, war nicht der längst gewohnte                Anblick der Morgenlandschaft, obwohl er sich demselben stets mit Liebe hinzugeben                pflegte. Es war etwas Neues, Ueberraschendes und, wie wir wohl vorausschicken mögen,                eine verhängnißvolle Epoche in seinem Leben heraufzuführen Bestimmtes.</p><lb/>
        <p>Während er nämlich von Morgen gegen Abend gerichtet zwischen den am Fuße des Gebirges                nach dem untern Lande hinziehenden Hügeln, die schon vom jungen Grün des Lenzes                überflogen glänzten, ein sonderbar schiefes Thurmchen aufsuchte, nach welchem er                jeden Morgen theilnehmend hinsah, ob es noch nicht eingefallen sei, trat eine                Erscheinung in sein Sehfeld, die ihn beinahe erschreckt hätte, bald aber mit einer                fast närrischen Freude erfüllte.</p><lb/>
        <p>Er hatte bei seinen bisherigen Beobachtungen ein kleines Haus übersehen, dessen                Obertheil in einiger Entfernung von dem wehmüthig geneigten Thürmchen über eine von                Bäumen halb versteckte Mauer hervorragte. Erst heute machte er dessen Entdeckung.                Aber eine noch größere war ihm vorbehalten: er entdeckte nämlich am Fenster des                Häuschens einen Mann, der genau wie er selbst ein Fernrohr handhabte und, so schien                es ihm wenigsterns, gerade jetzt seine eigene<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] legensten Felsenzacken und die verborgensten Ruinen sehr deutlich vor das Auge treten. Was jedoch das bewaffnete Auge des Pfarrers von A . . . berg heute gänzlich gefangen nahm und ihn selbst gleichsam zur Statue entgeisterte, war nicht der längst gewohnte Anblick der Morgenlandschaft, obwohl er sich demselben stets mit Liebe hinzugeben pflegte. Es war etwas Neues, Ueberraschendes und, wie wir wohl vorausschicken mögen, eine verhängnißvolle Epoche in seinem Leben heraufzuführen Bestimmtes. Während er nämlich von Morgen gegen Abend gerichtet zwischen den am Fuße des Gebirges nach dem untern Lande hinziehenden Hügeln, die schon vom jungen Grün des Lenzes überflogen glänzten, ein sonderbar schiefes Thurmchen aufsuchte, nach welchem er jeden Morgen theilnehmend hinsah, ob es noch nicht eingefallen sei, trat eine Erscheinung in sein Sehfeld, die ihn beinahe erschreckt hätte, bald aber mit einer fast närrischen Freude erfüllte. Er hatte bei seinen bisherigen Beobachtungen ein kleines Haus übersehen, dessen Obertheil in einiger Entfernung von dem wehmüthig geneigten Thürmchen über eine von Bäumen halb versteckte Mauer hervorragte. Erst heute machte er dessen Entdeckung. Aber eine noch größere war ihm vorbehalten: er entdeckte nämlich am Fenster des Häuschens einen Mann, der genau wie er selbst ein Fernrohr handhabte und, so schien es ihm wenigsterns, gerade jetzt seine eigene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/12
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/12>, abgerufen am 07.05.2024.