Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.lange, magere, steife Wesen an sich vorüberschweben. Das kleinere dieser beiden Wesen ging voraus, das größere kam hintendrein und hielt das kleinere an den Haaren gefaßt, wobei der Führer geächzt, der Geführte aber geschwankt haben soll. Der Nachtwächter murmelte: "Alle guten Geister loben Gott den Herrn," und rief die Stunde in einem anderen Gäßchen. Am Morgen erzählte er Jedem, der es hören wollte, von der grauslichen Erscheinung, die er gehabt. Wir aber ahnen, wer diese beiden Gestalten waren. Durch die breite Hauptstraße bewegte sich um die gleiche Nachtstunde eine stumme Prozession. Im ersten Gliede wurde ein Schluchzender unter den Armen geführt. Die Andern folgten gleichsam als Leidtragende. Der Schluchzende war der Pfarrer von A . . . berg. Sein Wilhelm ging nebenher und war sehr in Nöthen. Die Begleiter trösteten ihn jedoch. Es sei nur ein kleiner Circumflex, sagten sie, der bis morgen früh vorüber sein werde. Hiemit verzog es sich jedoch bis tief in den Tag hinein; und die Sonne stand schon hoch über den rauchenden Schornsteinen, an deren Fuße die gastfreundlichen Hausfrauen der Hauptstadt von der gehabten Last und Hitze jetzt wieder ausathmen durften, als ein bequemer Wagen Vater und Sohn der Heimath zu durch eines der östlichen Thore entführte. lange, magere, steife Wesen an sich vorüberschweben. Das kleinere dieser beiden Wesen ging voraus, das größere kam hintendrein und hielt das kleinere an den Haaren gefaßt, wobei der Führer geächzt, der Geführte aber geschwankt haben soll. Der Nachtwächter murmelte: „Alle guten Geister loben Gott den Herrn,“ und rief die Stunde in einem anderen Gäßchen. Am Morgen erzählte er Jedem, der es hören wollte, von der grauslichen Erscheinung, die er gehabt. Wir aber ahnen, wer diese beiden Gestalten waren. Durch die breite Hauptstraße bewegte sich um die gleiche Nachtstunde eine stumme Prozession. Im ersten Gliede wurde ein Schluchzender unter den Armen geführt. Die Andern folgten gleichsam als Leidtragende. Der Schluchzende war der Pfarrer von A . . . berg. Sein Wilhelm ging nebenher und war sehr in Nöthen. Die Begleiter trösteten ihn jedoch. Es sei nur ein kleiner Circumflex, sagten sie, der bis morgen früh vorüber sein werde. Hiemit verzog es sich jedoch bis tief in den Tag hinein; und die Sonne stand schon hoch über den rauchenden Schornsteinen, an deren Fuße die gastfreundlichen Hausfrauen der Hauptstadt von der gehabten Last und Hitze jetzt wieder ausathmen durften, als ein bequemer Wagen Vater und Sohn der Heimath zu durch eines der östlichen Thore entführte. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0121"/> lange, magere, steife Wesen an sich vorüberschweben. Das kleinere dieser beiden Wesen ging voraus, das größere kam hintendrein und hielt das kleinere an den Haaren gefaßt, wobei der Führer geächzt, der Geführte aber geschwankt haben soll. Der Nachtwächter murmelte: „Alle guten Geister loben Gott den Herrn,“ und rief die Stunde in einem anderen Gäßchen. Am Morgen erzählte er Jedem, der es hören wollte, von der grauslichen Erscheinung, die er gehabt.</p><lb/> <p>Wir aber ahnen, wer diese beiden Gestalten waren.</p><lb/> <p>Durch die breite Hauptstraße bewegte sich um die gleiche Nachtstunde eine stumme Prozession.</p><lb/> <p>Im ersten Gliede wurde ein Schluchzender unter den Armen geführt. Die Andern folgten gleichsam als Leidtragende.</p><lb/> <p>Der Schluchzende war der Pfarrer von A . . . berg.</p><lb/> <p>Sein Wilhelm ging nebenher und war sehr in Nöthen. Die Begleiter trösteten ihn jedoch. Es sei nur ein kleiner Circumflex, sagten sie, der bis morgen früh vorüber sein werde.</p><lb/> <p>Hiemit verzog es sich jedoch bis tief in den Tag hinein; und die Sonne stand schon hoch über den rauchenden Schornsteinen, an deren Fuße die gastfreundlichen Hausfrauen der Hauptstadt von der gehabten Last und Hitze jetzt wieder ausathmen durften, als ein bequemer Wagen Vater und Sohn der Heimath zu durch eines der östlichen Thore entführte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0121]
lange, magere, steife Wesen an sich vorüberschweben. Das kleinere dieser beiden Wesen ging voraus, das größere kam hintendrein und hielt das kleinere an den Haaren gefaßt, wobei der Führer geächzt, der Geführte aber geschwankt haben soll. Der Nachtwächter murmelte: „Alle guten Geister loben Gott den Herrn,“ und rief die Stunde in einem anderen Gäßchen. Am Morgen erzählte er Jedem, der es hören wollte, von der grauslichen Erscheinung, die er gehabt.
Wir aber ahnen, wer diese beiden Gestalten waren.
Durch die breite Hauptstraße bewegte sich um die gleiche Nachtstunde eine stumme Prozession.
Im ersten Gliede wurde ein Schluchzender unter den Armen geführt. Die Andern folgten gleichsam als Leidtragende.
Der Schluchzende war der Pfarrer von A . . . berg.
Sein Wilhelm ging nebenher und war sehr in Nöthen. Die Begleiter trösteten ihn jedoch. Es sei nur ein kleiner Circumflex, sagten sie, der bis morgen früh vorüber sein werde.
Hiemit verzog es sich jedoch bis tief in den Tag hinein; und die Sonne stand schon hoch über den rauchenden Schornsteinen, an deren Fuße die gastfreundlichen Hausfrauen der Hauptstadt von der gehabten Last und Hitze jetzt wieder ausathmen durften, als ein bequemer Wagen Vater und Sohn der Heimath zu durch eines der östlichen Thore entführte.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/121 |
Zitationshilfe: | Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/121>, abgerufen am 16.02.2025. |