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Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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unverlangten Kalbsbraten vor ihn hinstellte, öffnete er den Mund und hieß ihn einen Esel. Der gute Philipp, welcher sehr taub war, nickte ihm mit freundlichem Grinsen zu, nahm den Braten weg und kam gleich darauf mit einer noch einmal so großen Portion zurück. Er hatte verstanden, der Gast wolle einen größeren, ein Mißhören, das bei der am Neckar und seinen Nebenflüssen ländlichsittlich gleichen Aussprache von e und ö einem tauben Gemüthe gar leicht begegnen mag.

Dem Pfarrer von Y . . . burg blieb keine weitere Maßnahme, als seinen nagenden Grimm an dem Kalbsbraten auszulassen.

Das Schicksal hatte jedoch dafür gesorgt, daß er ihn nicht ungestört aufessen sollte. Die poetische Gerechtigkeit, die er so vielfach herausgefordert, ereilte ihn in dem Augenblick, da er die Rache in der Form, wie er sie handhabte, süß zu finden begann. Ihr Werkzeug war ein kleiner Pfarrer mit spitzigem Gesicht, der neben ihm saß und sich an der Seite des unheimlichen Gastes nicht behaglich fühlte. Entschloßen, ihn für die Angriffe, die er diesen Abend auf den Frieden einer vergnüglichen Gesellschaft gemacht, exemplarisch zu bestrafen, wartete er ab, bis sein Opfer einige Bissen verzehrt und den Appetit auf diejenige Stufe gebracht hatte, auf welcher es am wehesten thut, wenn er verdorben wird.

unverlangten Kalbsbraten vor ihn hinstellte, öffnete er den Mund und hieß ihn einen Esel. Der gute Philipp, welcher sehr taub war, nickte ihm mit freundlichem Grinsen zu, nahm den Braten weg und kam gleich darauf mit einer noch einmal so großen Portion zurück. Er hatte verstanden, der Gast wolle einen größeren, ein Mißhören, das bei der am Neckar und seinen Nebenflüssen ländlichsittlich gleichen Aussprache von e und ö einem tauben Gemüthe gar leicht begegnen mag.

Dem Pfarrer von Y . . . burg blieb keine weitere Maßnahme, als seinen nagenden Grimm an dem Kalbsbraten auszulassen.

Das Schicksal hatte jedoch dafür gesorgt, daß er ihn nicht ungestört aufessen sollte. Die poetische Gerechtigkeit, die er so vielfach herausgefordert, ereilte ihn in dem Augenblick, da er die Rache in der Form, wie er sie handhabte, süß zu finden begann. Ihr Werkzeug war ein kleiner Pfarrer mit spitzigem Gesicht, der neben ihm saß und sich an der Seite des unheimlichen Gastes nicht behaglich fühlte. Entschloßen, ihn für die Angriffe, die er diesen Abend auf den Frieden einer vergnüglichen Gesellschaft gemacht, exemplarisch zu bestrafen, wartete er ab, bis sein Opfer einige Bissen verzehrt und den Appetit auf diejenige Stufe gebracht hatte, auf welcher es am wehesten thut, wenn er verdorben wird.

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[0117] unverlangten Kalbsbraten vor ihn hinstellte, öffnete er den Mund und hieß ihn einen Esel. Der gute Philipp, welcher sehr taub war, nickte ihm mit freundlichem Grinsen zu, nahm den Braten weg und kam gleich darauf mit einer noch einmal so großen Portion zurück. Er hatte verstanden, der Gast wolle einen größeren, ein Mißhören, das bei der am Neckar und seinen Nebenflüssen ländlichsittlich gleichen Aussprache von e und ö einem tauben Gemüthe gar leicht begegnen mag. Dem Pfarrer von Y . . . burg blieb keine weitere Maßnahme, als seinen nagenden Grimm an dem Kalbsbraten auszulassen. Das Schicksal hatte jedoch dafür gesorgt, daß er ihn nicht ungestört aufessen sollte. Die poetische Gerechtigkeit, die er so vielfach herausgefordert, ereilte ihn in dem Augenblick, da er die Rache in der Form, wie er sie handhabte, süß zu finden begann. Ihr Werkzeug war ein kleiner Pfarrer mit spitzigem Gesicht, der neben ihm saß und sich an der Seite des unheimlichen Gastes nicht behaglich fühlte. Entschloßen, ihn für die Angriffe, die er diesen Abend auf den Frieden einer vergnüglichen Gesellschaft gemacht, exemplarisch zu bestrafen, wartete er ab, bis sein Opfer einige Bissen verzehrt und den Appetit auf diejenige Stufe gebracht hatte, auf welcher es am wehesten thut, wenn er verdorben wird.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/117>, abgerufen am 19.05.2024.