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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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täschle herausgeguckt. So ein Apfel unter der Schulzeit -- Ihr
werdet's wohl noch wissen -- das ist für ein Schulkind so viel oder
noch mehr als für einen jungen Burschen ein Schoppen Wein im
Beckenhaus. Kommt so ein baarfüßiger Flegel daher, ein paar Jahr
älter als das Kind, und sagt: Gleich gibst mir dein' Apfel, oder ich
schlag' dir ein paar Zähn' in Hals! Mein Christinele schreit und
rennt, was gilt's, was hast! Aber der Bub' hintendrein und faßt sie
am Fittig und schüttelt sie, und will ihr den Apfel nehmen. Da
kommt aber einer über ihn, und wer anders als der Sonnenwirthle,
der Frieder, der nie kein Unrecht mit müßiger Faust hat ansehen
können. Der faßt den groben Zolgen und schüttelt ihn ebenmäßig
und steckt ihm ein Paar, aber nicht wie's die Buben austheilen, son¬
dern wie's die Buben von einem Mann kriegen, wenn ein Markstein
gesetzt wird.

Gott's Blitz! rief er fröhlich lachend, jetzt geht mir ein Licht auf.
Das ist ja der Fischerhanne gewesen, ja, ja, den hab' ich einmal
durchgeliedert, weil er ein Kind mißhandelt hat, wie ein Räuber und
Buschklepper.

Ja, und dann habt Ihr dem Kind noch ein Brod dazugegeben.
Da, nimm, habt Ihr gesagt, damit dir der Apfel kein' öden Magen
macht.

Kann sein, sagte er, das weiß ich nicht mehr, jedenfalls ist's
gern geschehen. Was, und das Kind bist du gewesen, du Engele,
du goldig's? rief er hinter den Ofen.

Freilich, erwiderte die Bäckerin. Aus Kindern werden Leute und
so weiter, Ihr wißt ja wie das Sprichwort sagt. Aber die Gutthat,
die hat Euch mein Christinele in einem feinen Herzen nachgetragen,
Beides, das Brod und daß Ihr meinen Apfel vertheidigt habt, --
denn von mir ist er gewesen.

Er hatte nicht mehr ganz ausgehört. Ist's wahr, rief er, indem
er das Mädchen, das sich sträubte und anmuthig lachte, hinter dem
Ofen hervorzog, ist's wahr, daß du mich noch kennst und hast selbi¬
ges Stück im Herzen behalten?

Ja, es ist wahr, antwortete sie, und ich hätt' gern --

Was hätt'st gern? Wieder ein Stück Brod?

Sie lachte überlaut. Heimgegeben hätt' ich's gern.

täſchle herausgeguckt. So ein Apfel unter der Schulzeit — Ihr
werdet's wohl noch wiſſen — das iſt für ein Schulkind ſo viel oder
noch mehr als für einen jungen Burſchen ein Schoppen Wein im
Beckenhaus. Kommt ſo ein baarfüßiger Flegel daher, ein paar Jahr
älter als das Kind, und ſagt: Gleich gibſt mir dein' Apfel, oder ich
ſchlag' dir ein paar Zähn' in Hals! Mein Chriſtinele ſchreit und
rennt, was gilt's, was haſt! Aber der Bub' hintendrein und faßt ſie
am Fittig und ſchüttelt ſie, und will ihr den Apfel nehmen. Da
kommt aber einer über ihn, und wer anders als der Sonnenwirthle,
der Frieder, der nie kein Unrecht mit müßiger Fauſt hat anſehen
können. Der faßt den groben Zolgen und ſchüttelt ihn ebenmäßig
und ſteckt ihm ein Paar, aber nicht wie's die Buben austheilen, ſon¬
dern wie's die Buben von einem Mann kriegen, wenn ein Markſtein
geſetzt wird.

Gott's Blitz! rief er fröhlich lachend, jetzt geht mir ein Licht auf.
Das iſt ja der Fiſcherhanne geweſen, ja, ja, den hab' ich einmal
durchgeliedert, weil er ein Kind mißhandelt hat, wie ein Räuber und
Buſchklepper.

Ja, und dann habt Ihr dem Kind noch ein Brod dazugegeben.
Da, nimm, habt Ihr geſagt, damit dir der Apfel kein' öden Magen
macht.

Kann ſein, ſagte er, das weiß ich nicht mehr, jedenfalls iſt's
gern geſchehen. Was, und das Kind biſt du geweſen, du Engele,
du goldig's? rief er hinter den Ofen.

Freilich, erwiderte die Bäckerin. Aus Kindern werden Leute und
ſo weiter, Ihr wißt ja wie das Sprichwort ſagt. Aber die Gutthat,
die hat Euch mein Chriſtinele in einem feinen Herzen nachgetragen,
Beides, das Brod und daß Ihr meinen Apfel vertheidigt habt, —
denn von mir iſt er geweſen.

Er hatte nicht mehr ganz ausgehört. Iſt's wahr, rief er, indem
er das Mädchen, das ſich ſträubte und anmuthig lachte, hinter dem
Ofen hervorzog, iſt's wahr, daß du mich noch kennſt und haſt ſelbi¬
ges Stück im Herzen behalten?

Ja, es iſt wahr, antwortete ſie, und ich hätt' gern —

Was hätt'ſt gern? Wieder ein Stück Brod?

Sie lachte überlaut. Heimgegeben hätt' ich's gern.

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[63/0079] täſchle herausgeguckt. So ein Apfel unter der Schulzeit — Ihr werdet's wohl noch wiſſen — das iſt für ein Schulkind ſo viel oder noch mehr als für einen jungen Burſchen ein Schoppen Wein im Beckenhaus. Kommt ſo ein baarfüßiger Flegel daher, ein paar Jahr älter als das Kind, und ſagt: Gleich gibſt mir dein' Apfel, oder ich ſchlag' dir ein paar Zähn' in Hals! Mein Chriſtinele ſchreit und rennt, was gilt's, was haſt! Aber der Bub' hintendrein und faßt ſie am Fittig und ſchüttelt ſie, und will ihr den Apfel nehmen. Da kommt aber einer über ihn, und wer anders als der Sonnenwirthle, der Frieder, der nie kein Unrecht mit müßiger Fauſt hat anſehen können. Der faßt den groben Zolgen und ſchüttelt ihn ebenmäßig und ſteckt ihm ein Paar, aber nicht wie's die Buben austheilen, ſon¬ dern wie's die Buben von einem Mann kriegen, wenn ein Markſtein geſetzt wird. Gott's Blitz! rief er fröhlich lachend, jetzt geht mir ein Licht auf. Das iſt ja der Fiſcherhanne geweſen, ja, ja, den hab' ich einmal durchgeliedert, weil er ein Kind mißhandelt hat, wie ein Räuber und Buſchklepper. Ja, und dann habt Ihr dem Kind noch ein Brod dazugegeben. Da, nimm, habt Ihr geſagt, damit dir der Apfel kein' öden Magen macht. Kann ſein, ſagte er, das weiß ich nicht mehr, jedenfalls iſt's gern geſchehen. Was, und das Kind biſt du geweſen, du Engele, du goldig's? rief er hinter den Ofen. Freilich, erwiderte die Bäckerin. Aus Kindern werden Leute und ſo weiter, Ihr wißt ja wie das Sprichwort ſagt. Aber die Gutthat, die hat Euch mein Chriſtinele in einem feinen Herzen nachgetragen, Beides, das Brod und daß Ihr meinen Apfel vertheidigt habt, — denn von mir iſt er geweſen. Er hatte nicht mehr ganz ausgehört. Iſt's wahr, rief er, indem er das Mädchen, das ſich ſträubte und anmuthig lachte, hinter dem Ofen hervorzog, iſt's wahr, daß du mich noch kennſt und haſt ſelbi¬ ges Stück im Herzen behalten? Ja, es iſt wahr, antwortete ſie, und ich hätt' gern — Was hätt'ſt gern? Wieder ein Stück Brod? Sie lachte überlaut. Heimgegeben hätt' ich's gern.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/79>, abgerufen am 24.11.2024.