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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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und sich die Schultheißin viel Mühe gegeben, wie möchte zu helfen
sein, aber dabei gemeldet, um wenig Geld helfe sie nicht dazu, aber
wenn man ihr gebe was recht sei, so wolle sie es in Stand bringen,
daß sie gewiß hindurchkommen." Daß die Weiber, wenn sie einmal
die Scheu überwunden haben, viel entschiedener als die Männer auf
das Ziel losgehen, zeigen auch sonst noch manche Stellen dieser Denk¬
würdigkeiten, wie er denn von einer andern dieser Gelegenheitsmache¬
rinnen sagt, sie sei eine solche schlimme Frau, daß er es selbst nicht
genug beschreiben könne, und habe ihm manchen Seufzer ausgepreßt,
weil sie Einem keine Ruhe gelassen habe, bis man zum Stehlen fortgegan¬
gen sei. Bemerkenswerth und ein Zeugniß für die schlechten Nahrungsver¬
hältnisse ist, daß die Leute den Räubern beständig in den Ohren liegen,
sie sollen ihnen doch Fleisch verschaffen; selbst in das Wirthshaus
müssen sie, wenn sie dort nicht Mangel daran leiden wollen, gestohlene
Hämmel mitbringen. Die Enthüllungen umfassen einen beträchtlichen
Theil von Süddeutschland, und beinahe in jedem der genannten Orte
ist die Ortsbehörde in das Getriebe des Jaunerwesens mitverwickelt.
"Was den Herrn Schultheißen anbelangt", heißt es bei solchen Ge¬
legenheiten, "so werden seine Umstände bald am Tag sein, wann man
ihm sein Zollbuch abfordert, denn er hat mir ein Zollzeichen gegeben,
damit ich soll richtig mit der gestohlenen Waare durchkommen, und
in dem Zollbuch wird stehen der Name Joseph Klein oder Sigmund
Hermann." Andere Gemeindebehörden verhelfen den Räubern zu
Pässen, mit welchen sie die Lande unangefochten durchziehen können.
Da ist gar ein Bürgermeister "ein solch schlimmer Mann: wenn eine
Streife ergangen, hat er die Räuber selbst in sein eigenes Bett hin¬
eingelegt, wie ich und meine Frau selbst einmal darinnen in der Ver¬
wahrung gewesen." Es ergibt sich aus diesem Allem, daß die Zeit für
das Schwurgericht noch nicht reif war, weil auf der Anklagebank die
Stehler und auf der Geschwornenbank die Hehler gesessen wären.
Aber nicht bloß das Bürgerthum bis zu seinen Vorstehern hinauf, son¬
dern auch der Adel, der einen so großen Theil von Land und Leuten
in unbedingter Abhängigkeit hielt, hat in einzelnen Mitgliedern, aus
Furcht oder Vortheil, an der Begünstigung dieses Raubwesens Theil ge¬
nommen. Will man aber vollends mit ganzem Maße messen, so muß
man ferner nicht bloß das Gehenlassen der Regierungen, sondern auch

D. B. lV. Kurz, Sonnenwirth. 31

und ſich die Schultheißin viel Mühe gegeben, wie möchte zu helfen
ſein, aber dabei gemeldet, um wenig Geld helfe ſie nicht dazu, aber
wenn man ihr gebe was recht ſei, ſo wolle ſie es in Stand bringen,
daß ſie gewiß hindurchkommen.“ Daß die Weiber, wenn ſie einmal
die Scheu überwunden haben, viel entſchiedener als die Männer auf
das Ziel losgehen, zeigen auch ſonſt noch manche Stellen dieſer Denk¬
würdigkeiten, wie er denn von einer andern dieſer Gelegenheitsmache¬
rinnen ſagt, ſie ſei eine ſolche ſchlimme Frau, daß er es ſelbſt nicht
genug beſchreiben könne, und habe ihm manchen Seufzer ausgepreßt,
weil ſie Einem keine Ruhe gelaſſen habe, bis man zum Stehlen fortgegan¬
gen ſei. Bemerkenswerth und ein Zeugniß für die ſchlechten Nahrungsver¬
hältniſſe iſt, daß die Leute den Räubern beſtändig in den Ohren liegen,
ſie ſollen ihnen doch Fleiſch verſchaffen; ſelbſt in das Wirthshaus
müſſen ſie, wenn ſie dort nicht Mangel daran leiden wollen, geſtohlene
Hämmel mitbringen. Die Enthüllungen umfaſſen einen beträchtlichen
Theil von Süddeutſchland, und beinahe in jedem der genannten Orte
iſt die Ortsbehörde in das Getriebe des Jaunerweſens mitverwickelt.
„Was den Herrn Schultheißen anbelangt“, heißt es bei ſolchen Ge¬
legenheiten, „ſo werden ſeine Umſtände bald am Tag ſein, wann man
ihm ſein Zollbuch abfordert, denn er hat mir ein Zollzeichen gegeben,
damit ich ſoll richtig mit der geſtohlenen Waare durchkommen, und
in dem Zollbuch wird ſtehen der Name Joſeph Klein oder Sigmund
Hermann.“ Andere Gemeindebehörden verhelfen den Räubern zu
Päſſen, mit welchen ſie die Lande unangefochten durchziehen können.
Da iſt gar ein Bürgermeiſter „ein ſolch ſchlimmer Mann: wenn eine
Streife ergangen, hat er die Räuber ſelbſt in ſein eigenes Bett hin¬
eingelegt, wie ich und meine Frau ſelbſt einmal darinnen in der Ver¬
wahrung geweſen.“ Es ergibt ſich aus dieſem Allem, daß die Zeit für
das Schwurgericht noch nicht reif war, weil auf der Anklagebank die
Stehler und auf der Geſchwornenbank die Hehler geſeſſen wären.
Aber nicht bloß das Bürgerthum bis zu ſeinen Vorſtehern hinauf, ſon¬
dern auch der Adel, der einen ſo großen Theil von Land und Leuten
in unbedingter Abhängigkeit hielt, hat in einzelnen Mitgliedern, aus
Furcht oder Vortheil, an der Begünſtigung dieſes Raubweſens Theil ge¬
nommen. Will man aber vollends mit ganzem Maße meſſen, ſo muß
man ferner nicht bloß das Gehenlaſſen der Regierungen, ſondern auch

D. B. lV. Kurz, Sonnenwirth. 31
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[481/0497] und ſich die Schultheißin viel Mühe gegeben, wie möchte zu helfen ſein, aber dabei gemeldet, um wenig Geld helfe ſie nicht dazu, aber wenn man ihr gebe was recht ſei, ſo wolle ſie es in Stand bringen, daß ſie gewiß hindurchkommen.“ Daß die Weiber, wenn ſie einmal die Scheu überwunden haben, viel entſchiedener als die Männer auf das Ziel losgehen, zeigen auch ſonſt noch manche Stellen dieſer Denk¬ würdigkeiten, wie er denn von einer andern dieſer Gelegenheitsmache¬ rinnen ſagt, ſie ſei eine ſolche ſchlimme Frau, daß er es ſelbſt nicht genug beſchreiben könne, und habe ihm manchen Seufzer ausgepreßt, weil ſie Einem keine Ruhe gelaſſen habe, bis man zum Stehlen fortgegan¬ gen ſei. Bemerkenswerth und ein Zeugniß für die ſchlechten Nahrungsver¬ hältniſſe iſt, daß die Leute den Räubern beſtändig in den Ohren liegen, ſie ſollen ihnen doch Fleiſch verſchaffen; ſelbſt in das Wirthshaus müſſen ſie, wenn ſie dort nicht Mangel daran leiden wollen, geſtohlene Hämmel mitbringen. Die Enthüllungen umfaſſen einen beträchtlichen Theil von Süddeutſchland, und beinahe in jedem der genannten Orte iſt die Ortsbehörde in das Getriebe des Jaunerweſens mitverwickelt. „Was den Herrn Schultheißen anbelangt“, heißt es bei ſolchen Ge¬ legenheiten, „ſo werden ſeine Umſtände bald am Tag ſein, wann man ihm ſein Zollbuch abfordert, denn er hat mir ein Zollzeichen gegeben, damit ich ſoll richtig mit der geſtohlenen Waare durchkommen, und in dem Zollbuch wird ſtehen der Name Joſeph Klein oder Sigmund Hermann.“ Andere Gemeindebehörden verhelfen den Räubern zu Päſſen, mit welchen ſie die Lande unangefochten durchziehen können. Da iſt gar ein Bürgermeiſter „ein ſolch ſchlimmer Mann: wenn eine Streife ergangen, hat er die Räuber ſelbſt in ſein eigenes Bett hin¬ eingelegt, wie ich und meine Frau ſelbſt einmal darinnen in der Ver¬ wahrung geweſen.“ Es ergibt ſich aus dieſem Allem, daß die Zeit für das Schwurgericht noch nicht reif war, weil auf der Anklagebank die Stehler und auf der Geſchwornenbank die Hehler geſeſſen wären. Aber nicht bloß das Bürgerthum bis zu ſeinen Vorſtehern hinauf, ſon¬ dern auch der Adel, der einen ſo großen Theil von Land und Leuten in unbedingter Abhängigkeit hielt, hat in einzelnen Mitgliedern, aus Furcht oder Vortheil, an der Begünſtigung dieſes Raubweſens Theil ge¬ nommen. Will man aber vollends mit ganzem Maße meſſen, ſo muß man ferner nicht bloß das Gehenlaſſen der Regierungen, ſondern auch D. B. lV. Kurz, Sonnenwirth. 31

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/497>, abgerufen am 18.05.2024.