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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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veranlaßten sehr ausgebreiteten Verkehr mit einheimischen und aus¬
wärtigen Behörden führen mußte -- so enthüllt sich doch zugleich aus
diesen Acten das Bild eines Angeklagten, der ungezwungen und in
rasch fließendem Vortrage, gleichsam als die leitende Seele der Unter¬
suchung, seine Angaben dictirt, so daß der Richter sich zusammen¬
nehmen muß, um mit dem Geiste und mit der Feder zu folgen. Für
den prüfenden Leser zerfällt das Protokoll somit in zwei Bestandtheile
von nicht ganz gleichem Gehalte: der eine gehört -- sagen wir nicht,
dem Oberamtmann, sondern dem Lebenskreise, dem er angehörte, und
der Urheber des andern ist der begabte Verbrecher selbst. Besonders
verdient die lebendige Kraft hervorgehoben zu werden, mit welcher er
die Masse von Personen, um die sich seine Aussagen drehen, zu
schildern wußte: mit wenigen Worten, die wie breite Pinselstriche wir¬
ken, entwirft er ein Bild nach Gestalt und Tracht, daß die geschilderte
Person in anschaulicher Leibhaftigkeit aus dem Protokoll vor das Auge
springt und eben so gut dem Richter zu einem Steckbrief, als dem
Dichter, so weit dieser Lust hat unter die Räuber zu gehen, zu einem
Gemälde in Lebensgröße dient. Und damit man nicht glaube, daß
einem ungebildeten Menschen aus dem Volke hiemit des Guten gar
zu viel geschehe, so möge an dieser Stelle in andern Worten und ande¬
rer Auffassung die Bürgschaft des jüngsten Bearbeiters der Geschichte des
"Sonnenwirths" eintreten, der ihn nur aus dem Vaihinger Inquisi¬
tionsprotokoll, also von seiner schwärzesten Seite kennt, und gleichwohl
den Eindruck, den ihm die Persönlichkeit des Inquisiten in den Acten
machte, so wiedergibt: "Die Bekenntnisse des Verbrechers drängten sich
völlig frei und ungezwungen und in solcher Masse dem Verhörrichter
entgegen, daß der Bedarf inquisitorischen Scharfsinns zu ihrer Er¬
hebung sich ungleich geringer herausstellte, als der Aufwand an Zeit
und Mühe für die juristische Digestion des reichen Materials. Die
Sprache, die er vor Gericht führte, war gewogen, anständig, zuweilen
edel, und zeugte im Allgemeinen von einem nicht geringen Maße
natürlichen Verstandes, namentlich aber wenn es galt, dem unter¬
suchenden Beamten das Unlogische mancher Unterstellungen verweisend
unter die Augen zu halten; ja in Fällen, wo sich der Richter dahin
vergaß, ungerechte Beschuldigungen mit Hartnäckigkeit aufrecht erhalten
zu wollen, hatte die besonnen kalte Rechtfertigung des Angeklagten

veranlaßten ſehr ausgebreiteten Verkehr mit einheimiſchen und aus¬
wärtigen Behörden führen mußte — ſo enthüllt ſich doch zugleich aus
dieſen Acten das Bild eines Angeklagten, der ungezwungen und in
raſch fließendem Vortrage, gleichſam als die leitende Seele der Unter¬
ſuchung, ſeine Angaben dictirt, ſo daß der Richter ſich zuſammen¬
nehmen muß, um mit dem Geiſte und mit der Feder zu folgen. Für
den prüfenden Leſer zerfällt das Protokoll ſomit in zwei Beſtandtheile
von nicht ganz gleichem Gehalte: der eine gehört — ſagen wir nicht,
dem Oberamtmann, ſondern dem Lebenskreiſe, dem er angehörte, und
der Urheber des andern iſt der begabte Verbrecher ſelbſt. Beſonders
verdient die lebendige Kraft hervorgehoben zu werden, mit welcher er
die Maſſe von Perſonen, um die ſich ſeine Ausſagen drehen, zu
ſchildern wußte: mit wenigen Worten, die wie breite Pinſelſtriche wir¬
ken, entwirft er ein Bild nach Geſtalt und Tracht, daß die geſchilderte
Perſon in anſchaulicher Leibhaftigkeit aus dem Protokoll vor das Auge
ſpringt und eben ſo gut dem Richter zu einem Steckbrief, als dem
Dichter, ſo weit dieſer Luſt hat unter die Räuber zu gehen, zu einem
Gemälde in Lebensgröße dient. Und damit man nicht glaube, daß
einem ungebildeten Menſchen aus dem Volke hiemit des Guten gar
zu viel geſchehe, ſo möge an dieſer Stelle in andern Worten und ande¬
rer Auffaſſung die Bürgſchaft des jüngſten Bearbeiters der Geſchichte des
„Sonnenwirths“ eintreten, der ihn nur aus dem Vaihinger Inquiſi¬
tionsprotokoll, alſo von ſeiner ſchwärzeſten Seite kennt, und gleichwohl
den Eindruck, den ihm die Perſönlichkeit des Inquiſiten in den Acten
machte, ſo wiedergibt: „Die Bekenntniſſe des Verbrechers drängten ſich
völlig frei und ungezwungen und in ſolcher Maſſe dem Verhörrichter
entgegen, daß der Bedarf inquiſitoriſchen Scharfſinns zu ihrer Er¬
hebung ſich ungleich geringer herausſtellte, als der Aufwand an Zeit
und Mühe für die juriſtiſche Digeſtion des reichen Materials. Die
Sprache, die er vor Gericht führte, war gewogen, anſtändig, zuweilen
edel, und zeugte im Allgemeinen von einem nicht geringen Maße
natürlichen Verſtandes, namentlich aber wenn es galt, dem unter¬
ſuchenden Beamten das Unlogiſche mancher Unterſtellungen verweiſend
unter die Augen zu halten; ja in Fällen, wo ſich der Richter dahin
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[477/0493] veranlaßten ſehr ausgebreiteten Verkehr mit einheimiſchen und aus¬ wärtigen Behörden führen mußte — ſo enthüllt ſich doch zugleich aus dieſen Acten das Bild eines Angeklagten, der ungezwungen und in raſch fließendem Vortrage, gleichſam als die leitende Seele der Unter¬ ſuchung, ſeine Angaben dictirt, ſo daß der Richter ſich zuſammen¬ nehmen muß, um mit dem Geiſte und mit der Feder zu folgen. Für den prüfenden Leſer zerfällt das Protokoll ſomit in zwei Beſtandtheile von nicht ganz gleichem Gehalte: der eine gehört — ſagen wir nicht, dem Oberamtmann, ſondern dem Lebenskreiſe, dem er angehörte, und der Urheber des andern iſt der begabte Verbrecher ſelbſt. Beſonders verdient die lebendige Kraft hervorgehoben zu werden, mit welcher er die Maſſe von Perſonen, um die ſich ſeine Ausſagen drehen, zu ſchildern wußte: mit wenigen Worten, die wie breite Pinſelſtriche wir¬ ken, entwirft er ein Bild nach Geſtalt und Tracht, daß die geſchilderte Perſon in anſchaulicher Leibhaftigkeit aus dem Protokoll vor das Auge ſpringt und eben ſo gut dem Richter zu einem Steckbrief, als dem Dichter, ſo weit dieſer Luſt hat unter die Räuber zu gehen, zu einem Gemälde in Lebensgröße dient. Und damit man nicht glaube, daß einem ungebildeten Menſchen aus dem Volke hiemit des Guten gar zu viel geſchehe, ſo möge an dieſer Stelle in andern Worten und ande¬ rer Auffaſſung die Bürgſchaft des jüngſten Bearbeiters der Geſchichte des „Sonnenwirths“ eintreten, der ihn nur aus dem Vaihinger Inquiſi¬ tionsprotokoll, alſo von ſeiner ſchwärzeſten Seite kennt, und gleichwohl den Eindruck, den ihm die Perſönlichkeit des Inquiſiten in den Acten machte, ſo wiedergibt: „Die Bekenntniſſe des Verbrechers drängten ſich völlig frei und ungezwungen und in ſolcher Maſſe dem Verhörrichter entgegen, daß der Bedarf inquiſitoriſchen Scharfſinns zu ihrer Er¬ hebung ſich ungleich geringer herausſtellte, als der Aufwand an Zeit und Mühe für die juriſtiſche Digeſtion des reichen Materials. Die Sprache, die er vor Gericht führte, war gewogen, anſtändig, zuweilen edel, und zeugte im Allgemeinen von einem nicht geringen Maße natürlichen Verſtandes, namentlich aber wenn es galt, dem unter¬ ſuchenden Beamten das Unlogiſche mancher Unterſtellungen verweiſend unter die Augen zu halten; ja in Fällen, wo ſich der Richter dahin vergaß, ungerechte Beſchuldigungen mit Hartnäckigkeit aufrecht erhalten zu wollen, hatte die beſonnen kalte Rechtfertigung des Angeklagten

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/493>, abgerufen am 22.11.2024.