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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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daß mein Eigenwille allzu groß war; ich selbst habe das Gute ver¬
worfen und das Böse erwählet. Ich will dahero gern alle Schuld
auf mich allein nehmen. Aber wenn er ja auch Schuld sein sollte,
so gedenke doch Gott seiner Sünden nicht. Er hat auf dieser Welt
Trübsal genug an mir erlebt. Der arme alte Mann, fuhr er ein andermal
fort, mein Vater, dauert mich. Ich will ihm keine Vorwürfe machen.
Ich wünschte mir noch seinen Segen. Der Eltern Segen baut der
Kinder Häuser. Das schickt sich nun freilich nimmer auf mich. Aber
sein Segen würde mir doch erquickend sein. O, daß Gott seine Sün¬
den vergeben wollte, wie er mir die meinigen vergeben hat!"

Diesem Hauche des Friedens entsprechend malt der Geschichtschreiber
seine ganze übrige Gemüthsstimmung. "Nichts aber", sagt er, an das
Vorige anknüpfend, "war jetzt so lebhaft, als die niemals ganz ver¬
bannten Empfindungen der Liebe. Sein ganzes Herz hing an seinen
beiden Frauen, und vorzüglich an seinem Kind. Man schickte ihm
nichts zu essen, von dem er nicht diesen mittheilte. Besonders aber
war er für ihren Seelenzustand so bekümmert, daß er ihnen, wo er
nur konnte, auf das Nachdrücklichste zusprach, daß er stets sich nach
ihren Gesinnungen erkundigte, und sowohl dem Oberamtmann als den
Geistlichen die Methode anzugeben suchte, wie man ihren Herzen am
besten beikommen könnte. Eine solche Gemüthsverfassung gab ihm
Muth in Augenblicken und unter Umständen, in denen sich sonst Ver¬
zweiflung auch der Stärksten bemächtigt; ja er erhob sich durch die¬
selbe bis zu einem solchen Grad der Freudigkeit, die ihm selbst bewun¬
dernswürdig vorkam, und die bisweilen so weit ging, daß er selbst be¬
fürchtete, ob sie nicht bloßer Leichtsinn sein möchte."

Unter allen diesen Stimmungen aber ging die Arbeit ununter¬
brochen fort, nicht bloß jene Arbeit der Buße, sondern die geistige
Arbeit einer treuen Zeichnung der Welt, in der er gelebt hatte. Diese
Zeichnung ist in den Untersuchungsacten niedergelegt. Wohl selten
ist ein so dickes Protokoll in der Zeit von so wenigen Monaten voll¬
endet worden. So hohe Anerkennung man dem Fleiße und der Berufs¬
treue des Beamten schuldet, der der Verwaltung und Rechtspflege
seines Bezirks zugleich vorzustehen hatte, mit der Person seines Ge¬
fangenen eine in halb Süddeutschland verzweigte Untersuchung in die
Hände bekam, und neben den fortdauernden Verhören einen durch diese

daß mein Eigenwille allzu groß war; ich ſelbſt habe das Gute ver¬
worfen und das Böſe erwählet. Ich will dahero gern alle Schuld
auf mich allein nehmen. Aber wenn er ja auch Schuld ſein ſollte,
ſo gedenke doch Gott ſeiner Sünden nicht. Er hat auf dieſer Welt
Trübſal genug an mir erlebt. Der arme alte Mann, fuhr er ein andermal
fort, mein Vater, dauert mich. Ich will ihm keine Vorwürfe machen.
Ich wünſchte mir noch ſeinen Segen. Der Eltern Segen baut der
Kinder Häuſer. Das ſchickt ſich nun freilich nimmer auf mich. Aber
ſein Segen würde mir doch erquickend ſein. O, daß Gott ſeine Sün¬
den vergeben wollte, wie er mir die meinigen vergeben hat!“

Dieſem Hauche des Friedens entſprechend malt der Geſchichtſchreiber
ſeine ganze übrige Gemüthsſtimmung. „Nichts aber“, ſagt er, an das
Vorige anknüpfend, „war jetzt ſo lebhaft, als die niemals ganz ver¬
bannten Empfindungen der Liebe. Sein ganzes Herz hing an ſeinen
beiden Frauen, und vorzüglich an ſeinem Kind. Man ſchickte ihm
nichts zu eſſen, von dem er nicht dieſen mittheilte. Beſonders aber
war er für ihren Seelenzuſtand ſo bekümmert, daß er ihnen, wo er
nur konnte, auf das Nachdrücklichſte zuſprach, daß er ſtets ſich nach
ihren Geſinnungen erkundigte, und ſowohl dem Oberamtmann als den
Geiſtlichen die Methode anzugeben ſuchte, wie man ihren Herzen am
beſten beikommen könnte. Eine ſolche Gemüthsverfaſſung gab ihm
Muth in Augenblicken und unter Umſtänden, in denen ſich ſonſt Ver¬
zweiflung auch der Stärkſten bemächtigt; ja er erhob ſich durch die¬
ſelbe bis zu einem ſolchen Grad der Freudigkeit, die ihm ſelbſt bewun¬
dernswürdig vorkam, und die bisweilen ſo weit ging, daß er ſelbſt be¬
fürchtete, ob ſie nicht bloßer Leichtſinn ſein möchte.“

Unter allen dieſen Stimmungen aber ging die Arbeit ununter¬
brochen fort, nicht bloß jene Arbeit der Buße, ſondern die geiſtige
Arbeit einer treuen Zeichnung der Welt, in der er gelebt hatte. Dieſe
Zeichnung iſt in den Unterſuchungsacten niedergelegt. Wohl ſelten
iſt ein ſo dickes Protokoll in der Zeit von ſo wenigen Monaten voll¬
endet worden. So hohe Anerkennung man dem Fleiße und der Berufs¬
treue des Beamten ſchuldet, der der Verwaltung und Rechtspflege
ſeines Bezirks zugleich vorzuſtehen hatte, mit der Perſon ſeines Ge¬
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[476/0492] daß mein Eigenwille allzu groß war; ich ſelbſt habe das Gute ver¬ worfen und das Böſe erwählet. Ich will dahero gern alle Schuld auf mich allein nehmen. Aber wenn er ja auch Schuld ſein ſollte, ſo gedenke doch Gott ſeiner Sünden nicht. Er hat auf dieſer Welt Trübſal genug an mir erlebt. Der arme alte Mann, fuhr er ein andermal fort, mein Vater, dauert mich. Ich will ihm keine Vorwürfe machen. Ich wünſchte mir noch ſeinen Segen. Der Eltern Segen baut der Kinder Häuſer. Das ſchickt ſich nun freilich nimmer auf mich. Aber ſein Segen würde mir doch erquickend ſein. O, daß Gott ſeine Sün¬ den vergeben wollte, wie er mir die meinigen vergeben hat!“ Dieſem Hauche des Friedens entſprechend malt der Geſchichtſchreiber ſeine ganze übrige Gemüthsſtimmung. „Nichts aber“, ſagt er, an das Vorige anknüpfend, „war jetzt ſo lebhaft, als die niemals ganz ver¬ bannten Empfindungen der Liebe. Sein ganzes Herz hing an ſeinen beiden Frauen, und vorzüglich an ſeinem Kind. Man ſchickte ihm nichts zu eſſen, von dem er nicht dieſen mittheilte. Beſonders aber war er für ihren Seelenzuſtand ſo bekümmert, daß er ihnen, wo er nur konnte, auf das Nachdrücklichſte zuſprach, daß er ſtets ſich nach ihren Geſinnungen erkundigte, und ſowohl dem Oberamtmann als den Geiſtlichen die Methode anzugeben ſuchte, wie man ihren Herzen am beſten beikommen könnte. Eine ſolche Gemüthsverfaſſung gab ihm Muth in Augenblicken und unter Umſtänden, in denen ſich ſonſt Ver¬ zweiflung auch der Stärkſten bemächtigt; ja er erhob ſich durch die¬ ſelbe bis zu einem ſolchen Grad der Freudigkeit, die ihm ſelbſt bewun¬ dernswürdig vorkam, und die bisweilen ſo weit ging, daß er ſelbſt be¬ fürchtete, ob ſie nicht bloßer Leichtſinn ſein möchte.“ Unter allen dieſen Stimmungen aber ging die Arbeit ununter¬ brochen fort, nicht bloß jene Arbeit der Buße, ſondern die geiſtige Arbeit einer treuen Zeichnung der Welt, in der er gelebt hatte. Dieſe Zeichnung iſt in den Unterſuchungsacten niedergelegt. Wohl ſelten iſt ein ſo dickes Protokoll in der Zeit von ſo wenigen Monaten voll¬ endet worden. So hohe Anerkennung man dem Fleiße und der Berufs¬ treue des Beamten ſchuldet, der der Verwaltung und Rechtspflege ſeines Bezirks zugleich vorzuſtehen hatte, mit der Perſon ſeines Ge¬ fangenen eine in halb Süddeutſchland verzweigte Unterſuchung in die Hände bekam, und neben den fortdauernden Verhören einen durch dieſe

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/492>, abgerufen am 22.11.2024.