Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Kindern, welchen er nicht Vater sein konnte, hatte sie, mehr als mit
dem übrigen Anerbieten, das auf eine Abfindung seines Weibes hinaus¬
lief, eine Saite in seinem Herzen berührt, die alsbald klang. Doch
sagte er nur: Davon können wir noch reden.

Sie kamen aus dem Walde heraus und hatten freies Feld vor sich,
durch welches mehrere Wege führten. Da er ohne Aufenthalt vorwärts
ging, so legte sie ihre Hand auf seinen Arm und fragte: Getraust du
dir den Weg zu machen? Ein kleiner Bogen durch den Wald wäre
besser. Die Gegend ist nicht sicher, und für dich am wenigsten.

Bleib' du zurück, sagte er. Ich gehe grad auf dem Weg hier
fort nach dem Waldsaum da drüben.

Wo du dich hin traust, versetzte sie, da geh' ich mit. Ich begleite
dich bis an den Hof und überlasse dich dort deinem Stern oder deinem
Unstern.

Sie gingen zusammen weiter. Er befand sich allerdings in einer
Gegend, die für ihn nicht sicher war, die er sehr gut kannte. Eine
kurze Wanderung auf der sich gegen den Thalrand senkenden Anhöhe
würde ihm sein Heimaththal gezeigt haben. Er erkannte es an dem
jenseitigen Höhenzuge, von welchem der obere bewaldete Theil zu sehen
war. Er warf einen finsteren Blick nach der Stelle, wo unsichtbar
für das Auge sein Vaterort drunten lag, und wandte sich zum Weiter¬
gehen, als er bemerkte, daß Christine, jeder Besorgniß Trotz bietend,
auf einer steinernen Ruhebank Platz genommen hatte. Ihre Augen
flogen wie trunken ins Weite. Er folgte mit seinem Blick und sah
jetzt erst den wundervollen Anblick, der sich ihnen bot. Das Albgebirg
in seiner ganzen Ausdehnung stieg über die niedrigeren Höhen empor,
die sich vor ihm lagerten. Das fliehende Gewitter hatte seine letzten
Wolken im Westen gesammelt, wo die Sonne unterging. Man sah
sie nicht, aber durch die Wolken sendete sie nach dem Gebirge ein
zauberhaftes Licht, das nach und nach die ganze Kette heimzusuchen kam.
Im äußersten Westen begann das Schauspiel, und Achalm und Neuffen
mit ihren Mauern und Felsen glänzten auf. Dann lief das Licht am
Gebirg herüber und in die tiefsten Thaleinschnitte hinein, die sonst
ununterscheidbar im Ganzen verschwammen, so daß jetzt in ihrem
Hintergrunde die fernsten Felsen wie Diamanten blitzten und das Grün
der Wälder wie in einem warmen Rauche leuchtete. Nach einigen

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 27

Kindern, welchen er nicht Vater ſein konnte, hatte ſie, mehr als mit
dem übrigen Anerbieten, das auf eine Abfindung ſeines Weibes hinaus¬
lief, eine Saite in ſeinem Herzen berührt, die alsbald klang. Doch
ſagte er nur: Davon können wir noch reden.

Sie kamen aus dem Walde heraus und hatten freies Feld vor ſich,
durch welches mehrere Wege führten. Da er ohne Aufenthalt vorwärts
ging, ſo legte ſie ihre Hand auf ſeinen Arm und fragte: Getrauſt du
dir den Weg zu machen? Ein kleiner Bogen durch den Wald wäre
beſſer. Die Gegend iſt nicht ſicher, und für dich am wenigſten.

Bleib' du zurück, ſagte er. Ich gehe grad auf dem Weg hier
fort nach dem Waldſaum da drüben.

Wo du dich hin trauſt, verſetzte ſie, da geh' ich mit. Ich begleite
dich bis an den Hof und überlaſſe dich dort deinem Stern oder deinem
Unſtern.

Sie gingen zuſammen weiter. Er befand ſich allerdings in einer
Gegend, die für ihn nicht ſicher war, die er ſehr gut kannte. Eine
kurze Wanderung auf der ſich gegen den Thalrand ſenkenden Anhöhe
würde ihm ſein Heimaththal gezeigt haben. Er erkannte es an dem
jenſeitigen Höhenzuge, von welchem der obere bewaldete Theil zu ſehen
war. Er warf einen finſteren Blick nach der Stelle, wo unſichtbar
für das Auge ſein Vaterort drunten lag, und wandte ſich zum Weiter¬
gehen, als er bemerkte, daß Chriſtine, jeder Beſorgniß Trotz bietend,
auf einer ſteinernen Ruhebank Platz genommen hatte. Ihre Augen
flogen wie trunken ins Weite. Er folgte mit ſeinem Blick und ſah
jetzt erſt den wundervollen Anblick, der ſich ihnen bot. Das Albgebirg
in ſeiner ganzen Ausdehnung ſtieg über die niedrigeren Höhen empor,
die ſich vor ihm lagerten. Das fliehende Gewitter hatte ſeine letzten
Wolken im Weſten geſammelt, wo die Sonne unterging. Man ſah
ſie nicht, aber durch die Wolken ſendete ſie nach dem Gebirge ein
zauberhaftes Licht, das nach und nach die ganze Kette heimzuſuchen kam.
Im äußerſten Weſten begann das Schauſpiel, und Achalm und Neuffen
mit ihren Mauern und Felſen glänzten auf. Dann lief das Licht am
Gebirg herüber und in die tiefſten Thaleinſchnitte hinein, die ſonſt
ununterſcheidbar im Ganzen verſchwammen, ſo daß jetzt in ihrem
Hintergrunde die fernſten Felſen wie Diamanten blitzten und das Grün
der Wälder wie in einem warmen Rauche leuchtete. Nach einigen

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 27
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0433" n="417"/>
Kindern, welchen er nicht Vater &#x017F;ein konnte, hatte &#x017F;ie, mehr als mit<lb/>
dem übrigen Anerbieten, das auf eine Abfindung &#x017F;eines Weibes hinaus¬<lb/>
lief, eine Saite in &#x017F;einem Herzen berührt, die alsbald klang. Doch<lb/>
&#x017F;agte er nur: Davon können wir noch reden.</p><lb/>
        <p>Sie kamen aus dem Walde heraus und hatten freies Feld vor &#x017F;ich,<lb/>
durch welches mehrere Wege führten. Da er ohne Aufenthalt vorwärts<lb/>
ging, &#x017F;o legte &#x017F;ie ihre Hand auf &#x017F;einen Arm und fragte: Getrau&#x017F;t du<lb/>
dir den Weg zu machen? Ein kleiner Bogen durch den Wald wäre<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er. Die Gegend i&#x017F;t nicht &#x017F;icher, und für dich am wenig&#x017F;ten.</p><lb/>
        <p>Bleib' du zurück, &#x017F;agte er. Ich gehe grad auf dem Weg hier<lb/>
fort nach dem Wald&#x017F;aum da drüben.</p><lb/>
        <p>Wo du dich hin trau&#x017F;t, ver&#x017F;etzte &#x017F;ie, da geh' ich mit. Ich begleite<lb/>
dich bis an den Hof und überla&#x017F;&#x017F;e dich dort deinem Stern oder deinem<lb/>
Un&#x017F;tern.</p><lb/>
        <p>Sie gingen zu&#x017F;ammen weiter. Er befand &#x017F;ich allerdings in einer<lb/>
Gegend, die für ihn nicht &#x017F;icher war, die er &#x017F;ehr gut kannte. Eine<lb/>
kurze Wanderung auf der &#x017F;ich gegen den Thalrand &#x017F;enkenden Anhöhe<lb/>
würde ihm &#x017F;ein Heimaththal gezeigt haben. Er erkannte es an dem<lb/>
jen&#x017F;eitigen Höhenzuge, von welchem der obere bewaldete Theil zu &#x017F;ehen<lb/>
war. Er warf einen fin&#x017F;teren Blick nach der Stelle, wo un&#x017F;ichtbar<lb/>
für das Auge &#x017F;ein Vaterort drunten lag, und wandte &#x017F;ich zum Weiter¬<lb/>
gehen, als er bemerkte, daß Chri&#x017F;tine, jeder Be&#x017F;orgniß Trotz bietend,<lb/>
auf einer &#x017F;teinernen Ruhebank Platz genommen hatte. Ihre Augen<lb/>
flogen wie trunken ins Weite. Er folgte mit &#x017F;einem Blick und &#x017F;ah<lb/>
jetzt er&#x017F;t den wundervollen Anblick, der &#x017F;ich ihnen bot. Das Albgebirg<lb/>
in &#x017F;einer ganzen Ausdehnung &#x017F;tieg über die niedrigeren Höhen empor,<lb/>
die &#x017F;ich vor ihm lagerten. Das fliehende Gewitter hatte &#x017F;eine letzten<lb/>
Wolken im We&#x017F;ten ge&#x017F;ammelt, wo die Sonne unterging. Man &#x017F;ah<lb/>
&#x017F;ie nicht, aber durch die Wolken &#x017F;endete &#x017F;ie nach dem Gebirge ein<lb/>
zauberhaftes Licht, das nach und nach die ganze Kette heimzu&#x017F;uchen kam.<lb/>
Im äußer&#x017F;ten We&#x017F;ten begann das Schau&#x017F;piel, und Achalm und Neuffen<lb/>
mit ihren Mauern und Fel&#x017F;en glänzten auf. Dann lief das Licht am<lb/>
Gebirg herüber und in die tief&#x017F;ten Thalein&#x017F;chnitte hinein, die &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
ununter&#x017F;cheidbar im Ganzen ver&#x017F;chwammen, &#x017F;o daß jetzt in ihrem<lb/>
Hintergrunde die fern&#x017F;ten Fel&#x017F;en wie Diamanten blitzten und das Grün<lb/>
der Wälder wie in einem warmen Rauche leuchtete. Nach einigen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D. B. <hi rendition="#aq">IV</hi>. Kurz, Sonnenwirth. 27<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[417/0433] Kindern, welchen er nicht Vater ſein konnte, hatte ſie, mehr als mit dem übrigen Anerbieten, das auf eine Abfindung ſeines Weibes hinaus¬ lief, eine Saite in ſeinem Herzen berührt, die alsbald klang. Doch ſagte er nur: Davon können wir noch reden. Sie kamen aus dem Walde heraus und hatten freies Feld vor ſich, durch welches mehrere Wege führten. Da er ohne Aufenthalt vorwärts ging, ſo legte ſie ihre Hand auf ſeinen Arm und fragte: Getrauſt du dir den Weg zu machen? Ein kleiner Bogen durch den Wald wäre beſſer. Die Gegend iſt nicht ſicher, und für dich am wenigſten. Bleib' du zurück, ſagte er. Ich gehe grad auf dem Weg hier fort nach dem Waldſaum da drüben. Wo du dich hin trauſt, verſetzte ſie, da geh' ich mit. Ich begleite dich bis an den Hof und überlaſſe dich dort deinem Stern oder deinem Unſtern. Sie gingen zuſammen weiter. Er befand ſich allerdings in einer Gegend, die für ihn nicht ſicher war, die er ſehr gut kannte. Eine kurze Wanderung auf der ſich gegen den Thalrand ſenkenden Anhöhe würde ihm ſein Heimaththal gezeigt haben. Er erkannte es an dem jenſeitigen Höhenzuge, von welchem der obere bewaldete Theil zu ſehen war. Er warf einen finſteren Blick nach der Stelle, wo unſichtbar für das Auge ſein Vaterort drunten lag, und wandte ſich zum Weiter¬ gehen, als er bemerkte, daß Chriſtine, jeder Beſorgniß Trotz bietend, auf einer ſteinernen Ruhebank Platz genommen hatte. Ihre Augen flogen wie trunken ins Weite. Er folgte mit ſeinem Blick und ſah jetzt erſt den wundervollen Anblick, der ſich ihnen bot. Das Albgebirg in ſeiner ganzen Ausdehnung ſtieg über die niedrigeren Höhen empor, die ſich vor ihm lagerten. Das fliehende Gewitter hatte ſeine letzten Wolken im Weſten geſammelt, wo die Sonne unterging. Man ſah ſie nicht, aber durch die Wolken ſendete ſie nach dem Gebirge ein zauberhaftes Licht, das nach und nach die ganze Kette heimzuſuchen kam. Im äußerſten Weſten begann das Schauſpiel, und Achalm und Neuffen mit ihren Mauern und Felſen glänzten auf. Dann lief das Licht am Gebirg herüber und in die tiefſten Thaleinſchnitte hinein, die ſonſt ununterſcheidbar im Ganzen verſchwammen, ſo daß jetzt in ihrem Hintergrunde die fernſten Felſen wie Diamanten blitzten und das Grün der Wälder wie in einem warmen Rauche leuchtete. Nach einigen D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 27

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/433
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/433>, abgerufen am 25.11.2024.