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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Der Gast warf einen unwillkürlichen Blick auf seine abgetragenen
Kleider, der dem Redner gestand, daß er ihm Recht geben müsse.

Hanf aber, fuhr dieser fort, kannst du dabei gerade so viel spin¬
nen, wie bei den schönsten Unternehmungen, die sich der Mühe und
Gefahr wenigstens verlohnen. Meinst du, wenn sie dich kriegen, so
werden sie mit ihren lateinischen Ausdrücken, die auf Alles passen
müssen, große Unterscheidung machen? Mich wundert's nur, daß sie
dich nicht schon längst am Fittig haben, und es geschähe dir Recht,
denn wie du ihnen unter der Nase herumvagirst, das ist kein Muth,
das ist Wahnsinn! Bei uns ist ganz anders für deine Sicherheit ge¬
sorgt. Wir wissen in aller Herren Ländern jedes Plätzchen, wo man
sich ruhig niederlassen kann.

Ist denn das zum Beispiel hier der Fall? unterbrach ihn der Gast.

Freilich! rief der Zigeuner. Die Frage beweist, wie wenig du die
Welt noch kennst. Hier sitzen wir auf edelmännischem Boden und sind
so sicher wie das Kind im Mutterleib, während du in deiner Unkennt¬
niß mit ein paar Schritten in's Wirtembergische taumelst, wo die
Leute dumm sind und die Beamten, wie du selbst erzählst, sich kein
Gewissen daraus machen, Einem seine eigenen Kinder als Lockwürmer
an die Angel zu stecken, um den Fisch damit zu fangen. Auch haben
wir überall unsere vertraute Leute, die uns Nachricht geben, wenn
etwas gegen uns los ist. Und wenn je einmal Eins von uns den Fuß
übertritt und in die unrechten Hände geräth, so gibt es auch Mittel
und Wege, ihm wieder aus der Falle zu helfen. Das Alles geht
dir ab, so lang du wie ein Irrlicht allein und auf eigene Faust
umherflackerst. Und was für Ehre hast du davon, dein kümmerliches
Leben immer und ewig um dein einfältiges Ebersbach herum zu fristen,
wo Alles schreit: der Dieb, der schlechte Kerl, der Sonnenwirthle ist
wieder einmal dagewesen und hat dies und das gestohlen! Wenn du
in unsre Gesellschaft eintrittst, so hörst du ganz andre Titel, da bist
du Allen ein lieber werther Freund, wirst wegen deines Muthes,
wegen deines Verstandes, wegen deiner Treue geliebt, geachtet, be¬
wundert, auf den Händen getragen. Du hast einmal auf einen wun¬
derlichen Adjutanten zu Hohentwiel das Bibelwort angewendet: Es
ist dem Menschen nicht gut, daß er alleine sei. Das paßt nicht bloß
darauf, daß er eine Gehilfin haben sollte, es paßt auch auf das Hand¬

Der Gaſt warf einen unwillkürlichen Blick auf ſeine abgetragenen
Kleider, der dem Redner geſtand, daß er ihm Recht geben müſſe.

Hanf aber, fuhr dieſer fort, kannſt du dabei gerade ſo viel ſpin¬
nen, wie bei den ſchönſten Unternehmungen, die ſich der Mühe und
Gefahr wenigſtens verlohnen. Meinſt du, wenn ſie dich kriegen, ſo
werden ſie mit ihren lateiniſchen Ausdrücken, die auf Alles paſſen
müſſen, große Unterſcheidung machen? Mich wundert's nur, daß ſie
dich nicht ſchon längſt am Fittig haben, und es geſchähe dir Recht,
denn wie du ihnen unter der Naſe herumvagirſt, das iſt kein Muth,
das iſt Wahnſinn! Bei uns iſt ganz anders für deine Sicherheit ge¬
ſorgt. Wir wiſſen in aller Herren Ländern jedes Plätzchen, wo man
ſich ruhig niederlaſſen kann.

Iſt denn das zum Beiſpiel hier der Fall? unterbrach ihn der Gaſt.

Freilich! rief der Zigeuner. Die Frage beweiſt, wie wenig du die
Welt noch kennſt. Hier ſitzen wir auf edelmänniſchem Boden und ſind
ſo ſicher wie das Kind im Mutterleib, während du in deiner Unkennt¬
niß mit ein paar Schritten in's Wirtembergiſche taumelſt, wo die
Leute dumm ſind und die Beamten, wie du ſelbſt erzählſt, ſich kein
Gewiſſen daraus machen, Einem ſeine eigenen Kinder als Lockwürmer
an die Angel zu ſtecken, um den Fiſch damit zu fangen. Auch haben
wir überall unſere vertraute Leute, die uns Nachricht geben, wenn
etwas gegen uns los iſt. Und wenn je einmal Eins von uns den Fuß
übertritt und in die unrechten Hände geräth, ſo gibt es auch Mittel
und Wege, ihm wieder aus der Falle zu helfen. Das Alles geht
dir ab, ſo lang du wie ein Irrlicht allein und auf eigene Fauſt
umherflackerſt. Und was für Ehre haſt du davon, dein kümmerliches
Leben immer und ewig um dein einfältiges Ebersbach herum zu friſten,
wo Alles ſchreit: der Dieb, der ſchlechte Kerl, der Sonnenwirthle iſt
wieder einmal dageweſen und hat dies und das geſtohlen! Wenn du
in unſre Geſellſchaft eintrittſt, ſo hörſt du ganz andre Titel, da biſt
du Allen ein lieber werther Freund, wirſt wegen deines Muthes,
wegen deines Verſtandes, wegen deiner Treue geliebt, geachtet, be¬
wundert, auf den Händen getragen. Du haſt einmal auf einen wun¬
derlichen Adjutanten zu Hohentwiel das Bibelwort angewendet: Es
iſt dem Menſchen nicht gut, daß er alleine ſei. Das paßt nicht bloß
darauf, daß er eine Gehilfin haben ſollte, es paßt auch auf das Hand¬

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[382/0398] Der Gaſt warf einen unwillkürlichen Blick auf ſeine abgetragenen Kleider, der dem Redner geſtand, daß er ihm Recht geben müſſe. Hanf aber, fuhr dieſer fort, kannſt du dabei gerade ſo viel ſpin¬ nen, wie bei den ſchönſten Unternehmungen, die ſich der Mühe und Gefahr wenigſtens verlohnen. Meinſt du, wenn ſie dich kriegen, ſo werden ſie mit ihren lateiniſchen Ausdrücken, die auf Alles paſſen müſſen, große Unterſcheidung machen? Mich wundert's nur, daß ſie dich nicht ſchon längſt am Fittig haben, und es geſchähe dir Recht, denn wie du ihnen unter der Naſe herumvagirſt, das iſt kein Muth, das iſt Wahnſinn! Bei uns iſt ganz anders für deine Sicherheit ge¬ ſorgt. Wir wiſſen in aller Herren Ländern jedes Plätzchen, wo man ſich ruhig niederlaſſen kann. Iſt denn das zum Beiſpiel hier der Fall? unterbrach ihn der Gaſt. Freilich! rief der Zigeuner. Die Frage beweiſt, wie wenig du die Welt noch kennſt. Hier ſitzen wir auf edelmänniſchem Boden und ſind ſo ſicher wie das Kind im Mutterleib, während du in deiner Unkennt¬ niß mit ein paar Schritten in's Wirtembergiſche taumelſt, wo die Leute dumm ſind und die Beamten, wie du ſelbſt erzählſt, ſich kein Gewiſſen daraus machen, Einem ſeine eigenen Kinder als Lockwürmer an die Angel zu ſtecken, um den Fiſch damit zu fangen. Auch haben wir überall unſere vertraute Leute, die uns Nachricht geben, wenn etwas gegen uns los iſt. Und wenn je einmal Eins von uns den Fuß übertritt und in die unrechten Hände geräth, ſo gibt es auch Mittel und Wege, ihm wieder aus der Falle zu helfen. Das Alles geht dir ab, ſo lang du wie ein Irrlicht allein und auf eigene Fauſt umherflackerſt. Und was für Ehre haſt du davon, dein kümmerliches Leben immer und ewig um dein einfältiges Ebersbach herum zu friſten, wo Alles ſchreit: der Dieb, der ſchlechte Kerl, der Sonnenwirthle iſt wieder einmal dageweſen und hat dies und das geſtohlen! Wenn du in unſre Geſellſchaft eintrittſt, ſo hörſt du ganz andre Titel, da biſt du Allen ein lieber werther Freund, wirſt wegen deines Muthes, wegen deines Verſtandes, wegen deiner Treue geliebt, geachtet, be¬ wundert, auf den Händen getragen. Du haſt einmal auf einen wun¬ derlichen Adjutanten zu Hohentwiel das Bibelwort angewendet: Es iſt dem Menſchen nicht gut, daß er alleine ſei. Das paßt nicht bloß darauf, daß er eine Gehilfin haben ſollte, es paßt auch auf das Hand¬

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/398>, abgerufen am 25.11.2024.