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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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braunes Auge einmal flüchtig über den Gast hinstreifte, so war es
ihm, als ob sie hinter diesem stillen Blick eine Gluth verberge, die
sie plötzlich verzehrend auflodern lassen könnte. Er sagte sich vor, er
wolle sie nur ein wenig auf die Probe stellen, indem er, durch Mar¬
garethens freches Strohfeuer erhitzt, sein Knie an das ihrige drückte;
sie rückte aber leise weg, und er beschloß, den Versuch nicht so bald
zu wiederholen.

Der "Balo" war unter Scherzen und Erzählungen verspeist, wo¬
bei die Geschichte des Ausbruchs von Hohentwiel, der einem der drei
Kühnen das Leben gekostet hatte, den Hauptgegenstand bildete, und
das auf einem Baumstumpf aufgelegte Fäßchen war schon geneigt, als
der Zigeuner zum Beweise für die Schlechtigkeit der Welt die Lebens¬
geschichte des neuen Freundes zu erzählen begann und ihn dadurch zu
Berichtigungen und Ergänzungen nöthigte. Die Mittheilung wurde
mit der lebhaftesten Theilnahme aufgenommen und selbst Schwamen¬
jackel bemerkte, es sei scheußlich, so mit einem Menschen umzugehen.
Wie könnte es mir einfallen, sagte die alte Anna Maria, meine Kin¬
der im Heirathen beschränken zu wollen! ich hab' ihnen stets ihren
Willen darin gelassen, es ist ja ganz ihre eigene Sache. Am stärksten
aber verurtheilte die Gesellschaft das Benehmen der Obrigkeit, die sich
in Dinge gemischt habe, welche sie gar nichts angehen. Dabei wurde
Friedrich's Standhaftigkeit mit Bewunderung hervorgehoben, und das
Gefühl des erlittenen Unrechts, das schon zuvor an ihm zehrte, immer
heftiger in ihm angefacht, bis es zuletzt ihm wie den Andern feststand,
daß die Welt aus lauter Spitzbuben bestehe, die man mit allen Waffen
zu bekämpfen berechtigt sei. Die Weigerung des Pfarrers endlich,
eine Trauung ohne Trinkgeld, wie es Schwamenjackel nannte, vorzu¬
nehmen, rief eine Empörung hervor, welche, von Leuten dieses Schlages
ausgesprochen, einen besondern Nachdruck erhielt und sie selbst wiederum
in den Augen des Neulings, besonders wenn er ihre gesellschaftliche Stel¬
lung mit der Amtswürde des habsüchtigen Geistlichen verglich, bedeutend
heben mußte. Sie bekannten sich sämmtlich für gute katholische Christen
und versicherten mit nicht geringem Stolze, daß ihre Confession an
solchen abschreckenden Beispielen weit ärmer sei.

Wißt ihr das Stückchen vom Lieutenant Löw und seinem Louis¬
d'or? fragte die Jüngere der beiden Zigeunermädchen, und auf Ver¬

braunes Auge einmal flüchtig über den Gaſt hinſtreifte, ſo war es
ihm, als ob ſie hinter dieſem ſtillen Blick eine Gluth verberge, die
ſie plötzlich verzehrend auflodern laſſen könnte. Er ſagte ſich vor, er
wolle ſie nur ein wenig auf die Probe ſtellen, indem er, durch Mar¬
garethens freches Strohfeuer erhitzt, ſein Knie an das ihrige drückte;
ſie rückte aber leiſe weg, und er beſchloß, den Verſuch nicht ſo bald
zu wiederholen.

Der „Balo“ war unter Scherzen und Erzählungen verſpeiſt, wo¬
bei die Geſchichte des Ausbruchs von Hohentwiel, der einem der drei
Kühnen das Leben gekoſtet hatte, den Hauptgegenſtand bildete, und
das auf einem Baumſtumpf aufgelegte Fäßchen war ſchon geneigt, als
der Zigeuner zum Beweiſe für die Schlechtigkeit der Welt die Lebens¬
geſchichte des neuen Freundes zu erzählen begann und ihn dadurch zu
Berichtigungen und Ergänzungen nöthigte. Die Mittheilung wurde
mit der lebhafteſten Theilnahme aufgenommen und ſelbſt Schwamen¬
jackel bemerkte, es ſei ſcheußlich, ſo mit einem Menſchen umzugehen.
Wie könnte es mir einfallen, ſagte die alte Anna Maria, meine Kin¬
der im Heirathen beſchränken zu wollen! ich hab' ihnen ſtets ihren
Willen darin gelaſſen, es iſt ja ganz ihre eigene Sache. Am ſtärkſten
aber verurtheilte die Geſellſchaft das Benehmen der Obrigkeit, die ſich
in Dinge gemiſcht habe, welche ſie gar nichts angehen. Dabei wurde
Friedrich's Standhaftigkeit mit Bewunderung hervorgehoben, und das
Gefühl des erlittenen Unrechts, das ſchon zuvor an ihm zehrte, immer
heftiger in ihm angefacht, bis es zuletzt ihm wie den Andern feſtſtand,
daß die Welt aus lauter Spitzbuben beſtehe, die man mit allen Waffen
zu bekämpfen berechtigt ſei. Die Weigerung des Pfarrers endlich,
eine Trauung ohne Trinkgeld, wie es Schwamenjackel nannte, vorzu¬
nehmen, rief eine Empörung hervor, welche, von Leuten dieſes Schlages
ausgeſprochen, einen beſondern Nachdruck erhielt und ſie ſelbſt wiederum
in den Augen des Neulings, beſonders wenn er ihre geſellſchaftliche Stel¬
lung mit der Amtswürde des habſüchtigen Geiſtlichen verglich, bedeutend
heben mußte. Sie bekannten ſich ſämmtlich für gute katholiſche Chriſten
und verſicherten mit nicht geringem Stolze, daß ihre Confeſſion an
ſolchen abſchreckenden Beiſpielen weit ärmer ſei.

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[373/0389] braunes Auge einmal flüchtig über den Gaſt hinſtreifte, ſo war es ihm, als ob ſie hinter dieſem ſtillen Blick eine Gluth verberge, die ſie plötzlich verzehrend auflodern laſſen könnte. Er ſagte ſich vor, er wolle ſie nur ein wenig auf die Probe ſtellen, indem er, durch Mar¬ garethens freches Strohfeuer erhitzt, ſein Knie an das ihrige drückte; ſie rückte aber leiſe weg, und er beſchloß, den Verſuch nicht ſo bald zu wiederholen. Der „Balo“ war unter Scherzen und Erzählungen verſpeiſt, wo¬ bei die Geſchichte des Ausbruchs von Hohentwiel, der einem der drei Kühnen das Leben gekoſtet hatte, den Hauptgegenſtand bildete, und das auf einem Baumſtumpf aufgelegte Fäßchen war ſchon geneigt, als der Zigeuner zum Beweiſe für die Schlechtigkeit der Welt die Lebens¬ geſchichte des neuen Freundes zu erzählen begann und ihn dadurch zu Berichtigungen und Ergänzungen nöthigte. Die Mittheilung wurde mit der lebhafteſten Theilnahme aufgenommen und ſelbſt Schwamen¬ jackel bemerkte, es ſei ſcheußlich, ſo mit einem Menſchen umzugehen. Wie könnte es mir einfallen, ſagte die alte Anna Maria, meine Kin¬ der im Heirathen beſchränken zu wollen! ich hab' ihnen ſtets ihren Willen darin gelaſſen, es iſt ja ganz ihre eigene Sache. Am ſtärkſten aber verurtheilte die Geſellſchaft das Benehmen der Obrigkeit, die ſich in Dinge gemiſcht habe, welche ſie gar nichts angehen. Dabei wurde Friedrich's Standhaftigkeit mit Bewunderung hervorgehoben, und das Gefühl des erlittenen Unrechts, das ſchon zuvor an ihm zehrte, immer heftiger in ihm angefacht, bis es zuletzt ihm wie den Andern feſtſtand, daß die Welt aus lauter Spitzbuben beſtehe, die man mit allen Waffen zu bekämpfen berechtigt ſei. Die Weigerung des Pfarrers endlich, eine Trauung ohne Trinkgeld, wie es Schwamenjackel nannte, vorzu¬ nehmen, rief eine Empörung hervor, welche, von Leuten dieſes Schlages ausgeſprochen, einen beſondern Nachdruck erhielt und ſie ſelbſt wiederum in den Augen des Neulings, beſonders wenn er ihre geſellſchaftliche Stel¬ lung mit der Amtswürde des habſüchtigen Geiſtlichen verglich, bedeutend heben mußte. Sie bekannten ſich ſämmtlich für gute katholiſche Chriſten und verſicherten mit nicht geringem Stolze, daß ihre Confeſſion an ſolchen abſchreckenden Beiſpielen weit ärmer ſei. Wißt ihr das Stückchen vom Lieutenant Löw und ſeinem Louis¬ d'or? fragte die Jüngere der beiden Zigeunermädchen, und auf Ver¬

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/389>, abgerufen am 15.05.2024.