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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Nothdurft ist. Beim Christle und sonst da und dort bin ich selber
auch ein paarmal über Nacht gewesen, wenn man ein gemeinsames
Geschäft vorgehabt hat, bei dem der Nutzen zum kleinsten Theil auf
meiner Seite gewesen ist. Aber wenngleich Rechberghausen nicht dem
Herzog von Wirtemberg, sondern dem Grafen von Preysing gehört, so
hätt' ich doch dem Christle nicht zumuthen mögen, einem vogelfreien
Menschen, wie ich bin, nach dem man über jede Grenze streifen darf,
einen beständigen Aufenthalt zu geben. Nein, Schwieger, ich bin in
diesen einundzwanzig Wochen das wenigstemal unter Dach und Fach
gekommen, und wenn ich nur in einer Scheuer hab' unterkriechen können,
so ist das ein Festtag für mich gewesen. Die meiste Zeit aber hab'
ich tief im Wald, oft auch im freien Feld, auf dem Schnee geschlafen,
ein paar harte Felle von geschossenem Wild zur Decke, und den kalten
sternglitzernden Himmel über mir. Wenn mir früher jemand behauptet
hätte, das sei ein Mensch auszuhalten im Stand, ich hätt' ihm nichts
davon geglaubt. Aber seht nur meine Kleider an: die zeugen am
besten von meiner Lebensart; im Herbst sind sie noch ganz neu ge¬
wesen und jetzt hängen sie halb in Fetzen an mir herum. Und wenn
mir nicht der große Bart gewachsen wär', so könntet Ihr sehen wie
ich abgemagert bin -- nichts als Haut und Knochen. Und fasten
hab' ich gelernt, wie kein katholischer Heiliger; ich bin ordentlich mit
dem Hunger auf Du und Du zu stehen kommen.

Der Knabe warf seinen Löffel auf den Tisch und aß nicht weiter,
während sein Vater unter dem Reden den Löffel fleißig nach dem
Munde des kleineren Kindes führte.

Da wär's in Pennsylvanien doch besser, bemerkte die Alte.

Meint Ihr nicht, der Jerg ging' mit? fragte er und setzte schnell
hinzu: daß wir Euch nicht allein zurückließen, versteht sich von selbst.

O du mein Heiland, Er hat's gut mit mir vor, sagte sie. Sollt'
ich auf meine alte Tag' noch so weit über's Meer? Und der Jerg,
der ist jetzt zu Stuttgart im Dienst als Packer bei einem Kaufmann,
und meint, er könn's sein Leben lang nicht besser kriegen. Nächstens
will er mir all' Woch' ein Geldle schicken.

Das Land da drüben ist so groß, wie ich mir hab' sagen lassen,
daß wir ein halbes Fürstenthum in Besitz nehmen könnten. Das wär'
doch ein ander Leben.

Nothdurft iſt. Beim Chriſtle und ſonſt da und dort bin ich ſelber
auch ein paarmal über Nacht geweſen, wenn man ein gemeinſames
Geſchäft vorgehabt hat, bei dem der Nutzen zum kleinſten Theil auf
meiner Seite geweſen iſt. Aber wenngleich Rechberghauſen nicht dem
Herzog von Wirtemberg, ſondern dem Grafen von Preyſing gehört, ſo
hätt' ich doch dem Chriſtle nicht zumuthen mögen, einem vogelfreien
Menſchen, wie ich bin, nach dem man über jede Grenze ſtreifen darf,
einen beſtändigen Aufenthalt zu geben. Nein, Schwieger, ich bin in
dieſen einundzwanzig Wochen das wenigſtemal unter Dach und Fach
gekommen, und wenn ich nur in einer Scheuer hab' unterkriechen können,
ſo iſt das ein Feſttag für mich geweſen. Die meiſte Zeit aber hab'
ich tief im Wald, oft auch im freien Feld, auf dem Schnee geſchlafen,
ein paar harte Felle von geſchoſſenem Wild zur Decke, und den kalten
ſternglitzernden Himmel über mir. Wenn mir früher jemand behauptet
hätte, das ſei ein Menſch auszuhalten im Stand, ich hätt' ihm nichts
davon geglaubt. Aber ſeht nur meine Kleider an: die zeugen am
beſten von meiner Lebensart; im Herbſt ſind ſie noch ganz neu ge¬
weſen und jetzt hängen ſie halb in Fetzen an mir herum. Und wenn
mir nicht der große Bart gewachſen wär', ſo könntet Ihr ſehen wie
ich abgemagert bin — nichts als Haut und Knochen. Und faſten
hab' ich gelernt, wie kein katholiſcher Heiliger; ich bin ordentlich mit
dem Hunger auf Du und Du zu ſtehen kommen.

Der Knabe warf ſeinen Löffel auf den Tiſch und aß nicht weiter,
während ſein Vater unter dem Reden den Löffel fleißig nach dem
Munde des kleineren Kindes führte.

Da wär's in Pennſylvanien doch beſſer, bemerkte die Alte.

Meint Ihr nicht, der Jerg ging' mit? fragte er und ſetzte ſchnell
hinzu: daß wir Euch nicht allein zurückließen, verſteht ſich von ſelbſt.

O du mein Heiland, Er hat's gut mit mir vor, ſagte ſie. Sollt'
ich auf meine alte Tag' noch ſo weit über's Meer? Und der Jerg,
der iſt jetzt zu Stuttgart im Dienſt als Packer bei einem Kaufmann,
und meint, er könn's ſein Leben lang nicht beſſer kriegen. Nächſtens
will er mir all' Woch' ein Geldle ſchicken.

Das Land da drüben iſt ſo groß, wie ich mir hab' ſagen laſſen,
daß wir ein halbes Fürſtenthum in Beſitz nehmen könnten. Das wär'
doch ein ander Leben.

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[335/0351] Nothdurft iſt. Beim Chriſtle und ſonſt da und dort bin ich ſelber auch ein paarmal über Nacht geweſen, wenn man ein gemeinſames Geſchäft vorgehabt hat, bei dem der Nutzen zum kleinſten Theil auf meiner Seite geweſen iſt. Aber wenngleich Rechberghauſen nicht dem Herzog von Wirtemberg, ſondern dem Grafen von Preyſing gehört, ſo hätt' ich doch dem Chriſtle nicht zumuthen mögen, einem vogelfreien Menſchen, wie ich bin, nach dem man über jede Grenze ſtreifen darf, einen beſtändigen Aufenthalt zu geben. Nein, Schwieger, ich bin in dieſen einundzwanzig Wochen das wenigſtemal unter Dach und Fach gekommen, und wenn ich nur in einer Scheuer hab' unterkriechen können, ſo iſt das ein Feſttag für mich geweſen. Die meiſte Zeit aber hab' ich tief im Wald, oft auch im freien Feld, auf dem Schnee geſchlafen, ein paar harte Felle von geſchoſſenem Wild zur Decke, und den kalten ſternglitzernden Himmel über mir. Wenn mir früher jemand behauptet hätte, das ſei ein Menſch auszuhalten im Stand, ich hätt' ihm nichts davon geglaubt. Aber ſeht nur meine Kleider an: die zeugen am beſten von meiner Lebensart; im Herbſt ſind ſie noch ganz neu ge¬ weſen und jetzt hängen ſie halb in Fetzen an mir herum. Und wenn mir nicht der große Bart gewachſen wär', ſo könntet Ihr ſehen wie ich abgemagert bin — nichts als Haut und Knochen. Und faſten hab' ich gelernt, wie kein katholiſcher Heiliger; ich bin ordentlich mit dem Hunger auf Du und Du zu ſtehen kommen. Der Knabe warf ſeinen Löffel auf den Tiſch und aß nicht weiter, während ſein Vater unter dem Reden den Löffel fleißig nach dem Munde des kleineren Kindes führte. Da wär's in Pennſylvanien doch beſſer, bemerkte die Alte. Meint Ihr nicht, der Jerg ging' mit? fragte er und ſetzte ſchnell hinzu: daß wir Euch nicht allein zurückließen, verſteht ſich von ſelbſt. O du mein Heiland, Er hat's gut mit mir vor, ſagte ſie. Sollt' ich auf meine alte Tag' noch ſo weit über's Meer? Und der Jerg, der iſt jetzt zu Stuttgart im Dienſt als Packer bei einem Kaufmann, und meint, er könn's ſein Leben lang nicht beſſer kriegen. Nächſtens will er mir all' Woch' ein Geldle ſchicken. Das Land da drüben iſt ſo groß, wie ich mir hab' ſagen laſſen, daß wir ein halbes Fürſtenthum in Beſitz nehmen könnten. Das wär' doch ein ander Leben.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/351>, abgerufen am 22.11.2024.