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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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ersten Nacht haben sie sich in eine kleine Kammer verkrochen und ich
hab' mich dann gutsmuths an ihrer Statt in's warme Bett gelegt,
das mir, offen gestanden, doch ein wenig besser geschmeckt hat, als das
Moos im Wald, und hab' dem Teufel ein Ohr weggeschlafen bis in
den lichten Morgen hinein. Wie ich aufwach', ist mein Vater ganz
schüchtern in die Kammer hereinkommen und hat sich zu allem Guten
offerirt: er wolle mich in einem mir anständigen Versteck behalten,
bis ich ausgeruht sei, denn ich war fast hin vor Mühseligkeit und
jahrelanger Entbehrung und meine Hände waren übel zugerichtet; daß
ich in die Länge nicht bleiben könne, werde ich selber einsehen, weil's
für mich nicht sicher sei; aber er wolle mir Geld geben zur Auswan¬
derung nach Pennsylvanien, er hab's nur just nicht parat -- du weißt,
er hat's nie parat, wenn's an's Blechen gehen soll, mir hat's aber
auch nicht pressirt, weil ich ohne dich doch nicht gangen wär'; ich solle
inzwischen nach Sachsenhausen zu seinem Bruder gehen, der mich schon
einmal gut aufgenommen habe und gern behalten hätte; unter der Zeit
könne man ja weiter sehen. Dabei ließ er einfließen, wenn er mit
besserem Bedacht gehandelt hätte, so wäre Manches anders ausgefallen.
Du kennst mich: wenn man mir gute Wort' gibt, so bin ich wie
Butter. Zwei Wochen, wie ich dir sag', bin ich zu Haus still gelegen
und ist mir nichts abgangen. Dann hab' ich aber selber dem Land¬
frieden und der Frau Stiefmutter nicht mehr recht getraut, hab' auch
gedacht: und wenn ein Mensch das Fliegen lernte, so würd' anfangs
Alles vor ihm niederknieen und ihn anbeten, aber in vierzehn Tag'
wär's ihnen Allen ein gemeines Wunder, um das sie nicht mehr viel
gäben; hab' mich also auf den Schrecken über meine Hohentwieler
Flucht nicht zu sehr verlassen mögen. Mein Vater hat mir etwas
Geld geben nach Frankfurt, und so bin ich fort, ohne daß meines
Wissens der Amtmann nach mir gefragt hat. Wie ich bei deiner
Mutter und den Kindern gewesen bin, das hast du nachher zu Haus
selbst gehört. In Sachsenhausen ist mir's über die Maßen wohl ge¬
gangen, ich bin bei meinem Vetter wie das Kind im Haus gewesen,
hab' ihm geschafft, halb als Hausknecht, halb als Metzgersknecht, halb
als Kellner, wie und wo man mich hat brauchen wollen, und wenn
kein Ebersbach in der Welt wär', so hätt' ich mir gar keine bessere
Heimath wünschen mögen. Aber es hat mir fort und fort am Herzen

20 *

erſten Nacht haben ſie ſich in eine kleine Kammer verkrochen und ich
hab' mich dann gutsmuths an ihrer Statt in's warme Bett gelegt,
das mir, offen geſtanden, doch ein wenig beſſer geſchmeckt hat, als das
Moos im Wald, und hab' dem Teufel ein Ohr weggeſchlafen bis in
den lichten Morgen hinein. Wie ich aufwach', iſt mein Vater ganz
ſchüchtern in die Kammer hereinkommen und hat ſich zu allem Guten
offerirt: er wolle mich in einem mir anſtändigen Verſteck behalten,
bis ich ausgeruht ſei, denn ich war faſt hin vor Mühſeligkeit und
jahrelanger Entbehrung und meine Hände waren übel zugerichtet; daß
ich in die Länge nicht bleiben könne, werde ich ſelber einſehen, weil's
für mich nicht ſicher ſei; aber er wolle mir Geld geben zur Auswan¬
derung nach Pennſylvanien, er hab's nur juſt nicht parat — du weißt,
er hat's nie parat, wenn's an's Blechen gehen ſoll, mir hat's aber
auch nicht preſſirt, weil ich ohne dich doch nicht gangen wär'; ich ſolle
inzwiſchen nach Sachſenhauſen zu ſeinem Bruder gehen, der mich ſchon
einmal gut aufgenommen habe und gern behalten hätte; unter der Zeit
könne man ja weiter ſehen. Dabei ließ er einfließen, wenn er mit
beſſerem Bedacht gehandelt hätte, ſo wäre Manches anders ausgefallen.
Du kennſt mich: wenn man mir gute Wort' gibt, ſo bin ich wie
Butter. Zwei Wochen, wie ich dir ſag', bin ich zu Haus ſtill gelegen
und iſt mir nichts abgangen. Dann hab' ich aber ſelber dem Land¬
frieden und der Frau Stiefmutter nicht mehr recht getraut, hab' auch
gedacht: und wenn ein Menſch das Fliegen lernte, ſo würd' anfangs
Alles vor ihm niederknieen und ihn anbeten, aber in vierzehn Tag'
wär's ihnen Allen ein gemeines Wunder, um das ſie nicht mehr viel
gäben; hab' mich alſo auf den Schrecken über meine Hohentwieler
Flucht nicht zu ſehr verlaſſen mögen. Mein Vater hat mir etwas
Geld geben nach Frankfurt, und ſo bin ich fort, ohne daß meines
Wiſſens der Amtmann nach mir gefragt hat. Wie ich bei deiner
Mutter und den Kindern geweſen bin, das haſt du nachher zu Haus
ſelbſt gehört. In Sachſenhauſen iſt mir's über die Maßen wohl ge¬
gangen, ich bin bei meinem Vetter wie das Kind im Haus geweſen,
hab' ihm geſchafft, halb als Hausknecht, halb als Metzgersknecht, halb
als Kellner, wie und wo man mich hat brauchen wollen, und wenn
kein Ebersbach in der Welt wär', ſo hätt' ich mir gar keine beſſere
Heimath wünſchen mögen. Aber es hat mir fort und fort am Herzen

20 *
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[307/0323] erſten Nacht haben ſie ſich in eine kleine Kammer verkrochen und ich hab' mich dann gutsmuths an ihrer Statt in's warme Bett gelegt, das mir, offen geſtanden, doch ein wenig beſſer geſchmeckt hat, als das Moos im Wald, und hab' dem Teufel ein Ohr weggeſchlafen bis in den lichten Morgen hinein. Wie ich aufwach', iſt mein Vater ganz ſchüchtern in die Kammer hereinkommen und hat ſich zu allem Guten offerirt: er wolle mich in einem mir anſtändigen Verſteck behalten, bis ich ausgeruht ſei, denn ich war faſt hin vor Mühſeligkeit und jahrelanger Entbehrung und meine Hände waren übel zugerichtet; daß ich in die Länge nicht bleiben könne, werde ich ſelber einſehen, weil's für mich nicht ſicher ſei; aber er wolle mir Geld geben zur Auswan¬ derung nach Pennſylvanien, er hab's nur juſt nicht parat — du weißt, er hat's nie parat, wenn's an's Blechen gehen ſoll, mir hat's aber auch nicht preſſirt, weil ich ohne dich doch nicht gangen wär'; ich ſolle inzwiſchen nach Sachſenhauſen zu ſeinem Bruder gehen, der mich ſchon einmal gut aufgenommen habe und gern behalten hätte; unter der Zeit könne man ja weiter ſehen. Dabei ließ er einfließen, wenn er mit beſſerem Bedacht gehandelt hätte, ſo wäre Manches anders ausgefallen. Du kennſt mich: wenn man mir gute Wort' gibt, ſo bin ich wie Butter. Zwei Wochen, wie ich dir ſag', bin ich zu Haus ſtill gelegen und iſt mir nichts abgangen. Dann hab' ich aber ſelber dem Land¬ frieden und der Frau Stiefmutter nicht mehr recht getraut, hab' auch gedacht: und wenn ein Menſch das Fliegen lernte, ſo würd' anfangs Alles vor ihm niederknieen und ihn anbeten, aber in vierzehn Tag' wär's ihnen Allen ein gemeines Wunder, um das ſie nicht mehr viel gäben; hab' mich alſo auf den Schrecken über meine Hohentwieler Flucht nicht zu ſehr verlaſſen mögen. Mein Vater hat mir etwas Geld geben nach Frankfurt, und ſo bin ich fort, ohne daß meines Wiſſens der Amtmann nach mir gefragt hat. Wie ich bei deiner Mutter und den Kindern geweſen bin, das haſt du nachher zu Haus ſelbſt gehört. In Sachſenhauſen iſt mir's über die Maßen wohl ge¬ gangen, ich bin bei meinem Vetter wie das Kind im Haus geweſen, hab' ihm geſchafft, halb als Hausknecht, halb als Metzgersknecht, halb als Kellner, wie und wo man mich hat brauchen wollen, und wenn kein Ebersbach in der Welt wär', ſo hätt' ich mir gar keine beſſere Heimath wünſchen mögen. Aber es hat mir fort und fort am Herzen 20 *

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/323>, abgerufen am 15.05.2024.