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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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müßt' mir Zeitlebens gefallen lassen, was dir anständig wär'. Nein,
der Sklav' in meinem eigenen Haus will ich nimmermehr werden.

Friedrich legte den Kopf eine Weile auf beide Hände, die er auf
dem Tische liegen hatte. Als er das Gesicht wieder erhob, war alle
Farbe daraus gewichen. Jetzt seh' ich erst, daß es eine abgekartete
Sach' ist, sagte er mit einem Blick auf die Stiefmutter und verließ
die Stube.

Christine weinte bitterlich über dieses neue Hinderniß. Das ist
eine Welt! sagte der Hirschbauer und kehrte sich nach der Wand.
Die Bäuerin heulte und schrie, daß man arme Leute so unterdrücke,
die Söhne fluchten, und der kleine Weißkopf, der heute die Welt gar
nicht verstand, saß bestürzt und furchtsam in der Ecke. Friedrich aber
glaubte zu bemerken, daß der abermals in Zweifel gestellte Erfolg
seiner ehrlichen Bemühungen auf die Würdigung seiner Absicht oder
wenigstens auf die Schätzung seiner selbst zurückwirke. Die Hirsch¬
bäuerin wenigstens schien ihn bereits mit minder günstigen Augen an¬
zublicken; als sie ausgeheult hatte, machte sie ein Gesicht und gönnte
ihm beim Abschiede kaum ein Wort. Christine aber nahm ihm wie¬
derholt das Versprechen ab, auch diese Prüfung wo möglich durch
Geduld und Gehorsam zu überwinden.

Schon die folgenden Tage zeigten ihm, daß er sich in seinen Be¬
rechnungen völlig getäuscht habe und für den nächsten Sonntag auf
die letzte, bestätigende Proclamation verzichten müsse. Er sprach
nichts, war in seinen Verrichtungen fleißiger denn je, aber seine wund¬
gebissenen Lippen, seine mit Blut unterlaufenen Augen verriethen den
Sturm, der in ihm arbeitete. Die Narbe auf seiner Stirne trat oft
blutroth hervor. Die Leute steckten bei diesem Anblick die Köpfe zu¬
sammen und murmelten einander zu, das sei ein Kerl, von dem
man sich des Aergsten gewärtigen dürfe.


müßt' mir Zeitlebens gefallen laſſen, was dir anſtändig wär'. Nein,
der Sklav' in meinem eigenen Haus will ich nimmermehr werden.

Friedrich legte den Kopf eine Weile auf beide Hände, die er auf
dem Tiſche liegen hatte. Als er das Geſicht wieder erhob, war alle
Farbe daraus gewichen. Jetzt ſeh' ich erſt, daß es eine abgekartete
Sach' iſt, ſagte er mit einem Blick auf die Stiefmutter und verließ
die Stube.

Chriſtine weinte bitterlich über dieſes neue Hinderniß. Das iſt
eine Welt! ſagte der Hirſchbauer und kehrte ſich nach der Wand.
Die Bäuerin heulte und ſchrie, daß man arme Leute ſo unterdrücke,
die Söhne fluchten, und der kleine Weißkopf, der heute die Welt gar
nicht verſtand, ſaß beſtürzt und furchtſam in der Ecke. Friedrich aber
glaubte zu bemerken, daß der abermals in Zweifel geſtellte Erfolg
ſeiner ehrlichen Bemühungen auf die Würdigung ſeiner Abſicht oder
wenigſtens auf die Schätzung ſeiner ſelbſt zurückwirke. Die Hirſch¬
bäuerin wenigſtens ſchien ihn bereits mit minder günſtigen Augen an¬
zublicken; als ſie ausgeheult hatte, machte ſie ein Geſicht und gönnte
ihm beim Abſchiede kaum ein Wort. Chriſtine aber nahm ihm wie¬
derholt das Verſprechen ab, auch dieſe Prüfung wo möglich durch
Geduld und Gehorſam zu überwinden.

Schon die folgenden Tage zeigten ihm, daß er ſich in ſeinen Be¬
rechnungen völlig getäuſcht habe und für den nächſten Sonntag auf
die letzte, beſtätigende Proclamation verzichten müſſe. Er ſprach
nichts, war in ſeinen Verrichtungen fleißiger denn je, aber ſeine wund¬
gebiſſenen Lippen, ſeine mit Blut unterlaufenen Augen verriethen den
Sturm, der in ihm arbeitete. Die Narbe auf ſeiner Stirne trat oft
blutroth hervor. Die Leute ſteckten bei dieſem Anblick die Köpfe zu¬
ſammen und murmelten einander zu, das ſei ein Kerl, von dem
man ſich des Aergſten gewärtigen dürfe.


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[240/0256] müßt' mir Zeitlebens gefallen laſſen, was dir anſtändig wär'. Nein, der Sklav' in meinem eigenen Haus will ich nimmermehr werden. Friedrich legte den Kopf eine Weile auf beide Hände, die er auf dem Tiſche liegen hatte. Als er das Geſicht wieder erhob, war alle Farbe daraus gewichen. Jetzt ſeh' ich erſt, daß es eine abgekartete Sach' iſt, ſagte er mit einem Blick auf die Stiefmutter und verließ die Stube. Chriſtine weinte bitterlich über dieſes neue Hinderniß. Das iſt eine Welt! ſagte der Hirſchbauer und kehrte ſich nach der Wand. Die Bäuerin heulte und ſchrie, daß man arme Leute ſo unterdrücke, die Söhne fluchten, und der kleine Weißkopf, der heute die Welt gar nicht verſtand, ſaß beſtürzt und furchtſam in der Ecke. Friedrich aber glaubte zu bemerken, daß der abermals in Zweifel geſtellte Erfolg ſeiner ehrlichen Bemühungen auf die Würdigung ſeiner Abſicht oder wenigſtens auf die Schätzung ſeiner ſelbſt zurückwirke. Die Hirſch¬ bäuerin wenigſtens ſchien ihn bereits mit minder günſtigen Augen an¬ zublicken; als ſie ausgeheult hatte, machte ſie ein Geſicht und gönnte ihm beim Abſchiede kaum ein Wort. Chriſtine aber nahm ihm wie¬ derholt das Verſprechen ab, auch dieſe Prüfung wo möglich durch Geduld und Gehorſam zu überwinden. Schon die folgenden Tage zeigten ihm, daß er ſich in ſeinen Be¬ rechnungen völlig getäuſcht habe und für den nächſten Sonntag auf die letzte, beſtätigende Proclamation verzichten müſſe. Er ſprach nichts, war in ſeinen Verrichtungen fleißiger denn je, aber ſeine wund¬ gebiſſenen Lippen, ſeine mit Blut unterlaufenen Augen verriethen den Sturm, der in ihm arbeitete. Die Narbe auf ſeiner Stirne trat oft blutroth hervor. Die Leute ſteckten bei dieſem Anblick die Köpfe zu¬ ſammen und murmelten einander zu, das ſei ein Kerl, von dem man ſich des Aergſten gewärtigen dürfe.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/256>, abgerufen am 23.11.2024.