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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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lich größten Jubel die nöthige Summe zusammengebracht hatten, um
eine zweite zu bestellen.

Wie bist du denn eigentlich, fragte Friedrich unter dem Einschenken,
in den Gasthof zur Kardätsche gerathen? Mit bloßem Vagabundiren
hast doch so jung nicht so hoch in die Wolle avanciren können.

Nein, erwiderte der Zigeuner unbefangen, ich hab' krumme Fin¬
ger gemacht.

Pfui, rief Friedrich, Stehlen, das ist was Hundsgemeines, heißt
das, wenn --

Von z'wegen was seid Ihr hineingekommen? unterbrach ihn der
Zigeuner etwas rasch. Ungeachtet des Aergers über die biderbe Be¬
merkung vergaß er nicht, daß sein Genosse der herrschenden Nation
angehörte und daß er den größeren Theil der Zeche bezahlt hatte:
Grund genug, ihn in der majestätischen Mehrzahl anzureden. -- Man
wird Euch auch nicht bloß um der Kostbarkeit willen hinter Glas
und Rahmen aufgehoben haben.

Ich hab' Einen durchgeprügelt und das leder-windelweich. Der
Heuchler gab dann vor, er könne den Arm nicht mehr gebrauchen.
Es war aber erlogen, und so schickten sie mich eben auf ein halb
Jahr an das Oertchen, von dem man nicht gern red't.

Der Zigeuner machte ein unbefriedigtes Gesicht. Und habt Ihr
Euch niemals an fremdem Eigenthum vergriffen, fragte er, daß Ihr
da so auf den höchsten Gaul sitzen könnt? Seid Ihr niemals einem
Andern in die Aepfel gegangen, oder in die Kirschen? Denn, setzte
er eifrig hinzu, Stehlen ist Stehlen, das sag' ich.

Ja, meinem Vater bin ich wohl über die Kirschen gegangen und
auch über die Geldlade. Aber das ist was Anderes, das geht ja
vom Eigenen und heißt eben vor der Zeit geerbt. Das ist nicht
gestohlen. Stehlen heißt, wenn man fremden Leuten das Ihrige
nimmt, und das ist eine Schmählichkeit.

Wenn bei uns Einer, versetzte der Zigeuner höhnisch, seine
Eltern bestehlen würde, so könnte seines Bleibens nicht mehr sein;
der ärgste Spitzbube würde ihn verachten und anspeien. Bei
uns ist es Sitte, daß man die Eltern ehrt und liebt und daß
man ihnen eher zubringt, als daß man sie bestiehlt. Dafür
lassen sie es aber auch an ihren Kindern nicht fehlen, sie geben ihnen

lich größten Jubel die nöthige Summe zuſammengebracht hatten, um
eine zweite zu beſtellen.

Wie biſt du denn eigentlich, fragte Friedrich unter dem Einſchenken,
in den Gaſthof zur Kardätſche gerathen? Mit bloßem Vagabundiren
haſt doch ſo jung nicht ſo hoch in die Wolle avanciren können.

Nein, erwiderte der Zigeuner unbefangen, ich hab' krumme Fin¬
ger gemacht.

Pfui, rief Friedrich, Stehlen, das iſt was Hundsgemeines, heißt
das, wenn —

Von z'wegen was ſeid Ihr hineingekommen? unterbrach ihn der
Zigeuner etwas raſch. Ungeachtet des Aergers über die biderbe Be¬
merkung vergaß er nicht, daß ſein Genoſſe der herrſchenden Nation
angehörte und daß er den größeren Theil der Zeche bezahlt hatte:
Grund genug, ihn in der majeſtätiſchen Mehrzahl anzureden. — Man
wird Euch auch nicht bloß um der Koſtbarkeit willen hinter Glas
und Rahmen aufgehoben haben.

Ich hab' Einen durchgeprügelt und das leder-windelweich. Der
Heuchler gab dann vor, er könne den Arm nicht mehr gebrauchen.
Es war aber erlogen, und ſo ſchickten ſie mich eben auf ein halb
Jahr an das Oertchen, von dem man nicht gern red't.

Der Zigeuner machte ein unbefriedigtes Geſicht. Und habt Ihr
Euch niemals an fremdem Eigenthum vergriffen, fragte er, daß Ihr
da ſo auf den höchſten Gaul ſitzen könnt? Seid Ihr niemals einem
Andern in die Aepfel gegangen, oder in die Kirſchen? Denn, ſetzte
er eifrig hinzu, Stehlen iſt Stehlen, das ſag' ich.

Ja, meinem Vater bin ich wohl über die Kirſchen gegangen und
auch über die Geldlade. Aber das iſt was Anderes, das geht ja
vom Eigenen und heißt eben vor der Zeit geerbt. Das iſt nicht
geſtohlen. Stehlen heißt, wenn man fremden Leuten das Ihrige
nimmt, und das iſt eine Schmählichkeit.

Wenn bei uns Einer, verſetzte der Zigeuner höhniſch, ſeine
Eltern beſtehlen würde, ſo könnte ſeines Bleibens nicht mehr ſein;
der ärgſte Spitzbube würde ihn verachten und anſpeien. Bei
uns iſt es Sitte, daß man die Eltern ehrt und liebt und daß
man ihnen eher zubringt, als daß man ſie beſtiehlt. Dafür
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[9/0025] lich größten Jubel die nöthige Summe zuſammengebracht hatten, um eine zweite zu beſtellen. Wie biſt du denn eigentlich, fragte Friedrich unter dem Einſchenken, in den Gaſthof zur Kardätſche gerathen? Mit bloßem Vagabundiren haſt doch ſo jung nicht ſo hoch in die Wolle avanciren können. Nein, erwiderte der Zigeuner unbefangen, ich hab' krumme Fin¬ ger gemacht. Pfui, rief Friedrich, Stehlen, das iſt was Hundsgemeines, heißt das, wenn — Von z'wegen was ſeid Ihr hineingekommen? unterbrach ihn der Zigeuner etwas raſch. Ungeachtet des Aergers über die biderbe Be¬ merkung vergaß er nicht, daß ſein Genoſſe der herrſchenden Nation angehörte und daß er den größeren Theil der Zeche bezahlt hatte: Grund genug, ihn in der majeſtätiſchen Mehrzahl anzureden. — Man wird Euch auch nicht bloß um der Koſtbarkeit willen hinter Glas und Rahmen aufgehoben haben. Ich hab' Einen durchgeprügelt und das leder-windelweich. Der Heuchler gab dann vor, er könne den Arm nicht mehr gebrauchen. Es war aber erlogen, und ſo ſchickten ſie mich eben auf ein halb Jahr an das Oertchen, von dem man nicht gern red't. Der Zigeuner machte ein unbefriedigtes Geſicht. Und habt Ihr Euch niemals an fremdem Eigenthum vergriffen, fragte er, daß Ihr da ſo auf den höchſten Gaul ſitzen könnt? Seid Ihr niemals einem Andern in die Aepfel gegangen, oder in die Kirſchen? Denn, ſetzte er eifrig hinzu, Stehlen iſt Stehlen, das ſag' ich. Ja, meinem Vater bin ich wohl über die Kirſchen gegangen und auch über die Geldlade. Aber das iſt was Anderes, das geht ja vom Eigenen und heißt eben vor der Zeit geerbt. Das iſt nicht geſtohlen. Stehlen heißt, wenn man fremden Leuten das Ihrige nimmt, und das iſt eine Schmählichkeit. Wenn bei uns Einer, verſetzte der Zigeuner höhniſch, ſeine Eltern beſtehlen würde, ſo könnte ſeines Bleibens nicht mehr ſein; der ärgſte Spitzbube würde ihn verachten und anſpeien. Bei uns iſt es Sitte, daß man die Eltern ehrt und liebt und daß man ihnen eher zubringt, als daß man ſie beſtiehlt. Dafür laſſen ſie es aber auch an ihren Kindern nicht fehlen, ſie geben ihnen

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/25>, abgerufen am 26.04.2024.