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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Blicken so ausgesetzt zu sein, denn natürlich, die ganz' Gemeind' guckt
uns an, wenn wir gegenwärtig sind. Ich weiß nicht, mit was ich
die Straf' verdient haben sollt', ich hab' mich nicht vergangen.

Das ist wahr, seufzte die Chirurgin, ich könnt' die Augen nicht
aufthun und thät's doch spüren wie ich die Zielscheib' wär', und alle
Andacht wär' mir verdorben.

Die Thüre ging auf und der Krämer trat mit seiner Frau herein.
Ich muß um Entschuldigung bitten, sagte er, daß ich in meinen Haus¬
pantoffeln komm', aber es läßt mir keine Ruh'. Weißt's denn der
Herr Vater schon? Es ist im ganzen Flecken herum, daß der Schwa¬
ger morgen mit seiner Jungfer Christine proclamirt werd'. Ist's
denn wahr? Was, und die Familie erfährt so was zuletzt?

Das wird aber morgen ein Geläuf sein! rief die Krämerin. Mein
Mann, der los' Vogel, hat gesagt, wir könnten einen hübschen Pro¬
fit machen, wenn wir unsern Kirchenstuhl vermiethen thäten. Gebt
Acht, morgen gibt's am heiligen Ort Händel, denn's fehlt an Platz.

Wir reden eben davon, ob wir auch gehen sollen, sagte die Son¬
nenwirthin, aber die Chirurgussin und ich, wir meinen, wir könnten's
nicht aushalten, wenn Einen Alles so ansieht.

Herr meine Sünd'! schrie die Krämerin. Ich weiß nicht was
mir für ein Unglück passiren könnt', wenn Alles um mich 'rum druckt
und guckt und murmelt! Da könnt' mich ja was ankommen, wovon
man in Ebersbach noch nach hundert Jahr' reden thät'.

Schad' ist's aber doch, wenn wir drum kommen, sagte der Krämer.
So ein Paar sieht man nicht alle Tag'. Er ist so mager und sie
so dick.

Sie wirb mich schon pflegen, daß ich wieder zu Kräften komm',
versetzte Friedrich, der alle diese Stiche mannhaft verbiß. Doch war
er froh sich mit einem Scherzwort loskaufen zu können, und beur¬
laubte sich von der Familie, ohne die Bitte, die er an ein sonst ge¬
liebtes Mitglied derselben gerichtet hatte, bei den andern zu wiederholen.

Er brachte den Rest des Tages bei seiner Braut und den Ihrigen
zu, wo es ungeachtet des Mangels und der ungewissen Aussicht in
die Zukunft sehr heiter zuging. Der Hirschbauer sprach an diesem
Tage zum erstenmal wieder seit langer Zeit und konnte aufrecht im
Bette sitzen. Aus jedem Worte aber, das der Bräutigam redete, gab

Blicken ſo ausgeſetzt zu ſein, denn natürlich, die ganz' Gemeind' guckt
uns an, wenn wir gegenwärtig ſind. Ich weiß nicht, mit was ich
die Straf' verdient haben ſollt', ich hab' mich nicht vergangen.

Das iſt wahr, ſeufzte die Chirurgin, ich könnt' die Augen nicht
aufthun und thät's doch ſpüren wie ich die Zielſcheib' wär', und alle
Andacht wär' mir verdorben.

Die Thüre ging auf und der Krämer trat mit ſeiner Frau herein.
Ich muß um Entſchuldigung bitten, ſagte er, daß ich in meinen Haus¬
pantoffeln komm', aber es läßt mir keine Ruh'. Weißt's denn der
Herr Vater ſchon? Es iſt im ganzen Flecken herum, daß der Schwa¬
ger morgen mit ſeiner Jungfer Chriſtine proclamirt werd'. Iſt's
denn wahr? Was, und die Familie erfährt ſo was zuletzt?

Das wird aber morgen ein Geläuf ſein! rief die Krämerin. Mein
Mann, der loſ' Vogel, hat geſagt, wir könnten einen hübſchen Pro¬
fit machen, wenn wir unſern Kirchenſtuhl vermiethen thäten. Gebt
Acht, morgen gibt's am heiligen Ort Händel, denn's fehlt an Platz.

Wir reden eben davon, ob wir auch gehen ſollen, ſagte die Son¬
nenwirthin, aber die Chirurguſſin und ich, wir meinen, wir könnten's
nicht aushalten, wenn Einen Alles ſo anſieht.

Herr meine Sünd'! ſchrie die Krämerin. Ich weiß nicht was
mir für ein Unglück paſſiren könnt', wenn Alles um mich 'rum druckt
und guckt und murmelt! Da könnt' mich ja was ankommen, wovon
man in Ebersbach noch nach hundert Jahr' reden thät'.

Schad' iſt's aber doch, wenn wir drum kommen, ſagte der Krämer.
So ein Paar ſieht man nicht alle Tag'. Er iſt ſo mager und ſie
ſo dick.

Sie wirb mich ſchon pflegen, daß ich wieder zu Kräften komm',
verſetzte Friedrich, der alle dieſe Stiche mannhaft verbiß. Doch war
er froh ſich mit einem Scherzwort loskaufen zu können, und beur¬
laubte ſich von der Familie, ohne die Bitte, die er an ein ſonſt ge¬
liebtes Mitglied derſelben gerichtet hatte, bei den andern zu wiederholen.

Er brachte den Reſt des Tages bei ſeiner Braut und den Ihrigen
zu, wo es ungeachtet des Mangels und der ungewiſſen Ausſicht in
die Zukunft ſehr heiter zuging. Der Hirſchbauer ſprach an dieſem
Tage zum erſtenmal wieder ſeit langer Zeit und konnte aufrecht im
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[229/0245] Blicken ſo ausgeſetzt zu ſein, denn natürlich, die ganz' Gemeind' guckt uns an, wenn wir gegenwärtig ſind. Ich weiß nicht, mit was ich die Straf' verdient haben ſollt', ich hab' mich nicht vergangen. Das iſt wahr, ſeufzte die Chirurgin, ich könnt' die Augen nicht aufthun und thät's doch ſpüren wie ich die Zielſcheib' wär', und alle Andacht wär' mir verdorben. Die Thüre ging auf und der Krämer trat mit ſeiner Frau herein. Ich muß um Entſchuldigung bitten, ſagte er, daß ich in meinen Haus¬ pantoffeln komm', aber es läßt mir keine Ruh'. Weißt's denn der Herr Vater ſchon? Es iſt im ganzen Flecken herum, daß der Schwa¬ ger morgen mit ſeiner Jungfer Chriſtine proclamirt werd'. Iſt's denn wahr? Was, und die Familie erfährt ſo was zuletzt? Das wird aber morgen ein Geläuf ſein! rief die Krämerin. Mein Mann, der loſ' Vogel, hat geſagt, wir könnten einen hübſchen Pro¬ fit machen, wenn wir unſern Kirchenſtuhl vermiethen thäten. Gebt Acht, morgen gibt's am heiligen Ort Händel, denn's fehlt an Platz. Wir reden eben davon, ob wir auch gehen ſollen, ſagte die Son¬ nenwirthin, aber die Chirurguſſin und ich, wir meinen, wir könnten's nicht aushalten, wenn Einen Alles ſo anſieht. Herr meine Sünd'! ſchrie die Krämerin. Ich weiß nicht was mir für ein Unglück paſſiren könnt', wenn Alles um mich 'rum druckt und guckt und murmelt! Da könnt' mich ja was ankommen, wovon man in Ebersbach noch nach hundert Jahr' reden thät'. Schad' iſt's aber doch, wenn wir drum kommen, ſagte der Krämer. So ein Paar ſieht man nicht alle Tag'. Er iſt ſo mager und ſie ſo dick. Sie wirb mich ſchon pflegen, daß ich wieder zu Kräften komm', verſetzte Friedrich, der alle dieſe Stiche mannhaft verbiß. Doch war er froh ſich mit einem Scherzwort loskaufen zu können, und beur¬ laubte ſich von der Familie, ohne die Bitte, die er an ein ſonſt ge¬ liebtes Mitglied derſelben gerichtet hatte, bei den andern zu wiederholen. Er brachte den Reſt des Tages bei ſeiner Braut und den Ihrigen zu, wo es ungeachtet des Mangels und der ungewiſſen Ausſicht in die Zukunft ſehr heiter zuging. Der Hirſchbauer ſprach an dieſem Tage zum erſtenmal wieder ſeit langer Zeit und konnte aufrecht im Bette ſitzen. Aus jedem Worte aber, das der Bräutigam redete, gab

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/245>, abgerufen am 01.05.2024.