Der junge Friedrich ballte die Faust gegen das Gebäude. Diese Prügelhunde! rief er: es ist ihnen nur wohl, wenn sie zuschlagen können.
Der Waisenpfarrer legte ihm wieder die Hand, die aber diesmal zitterte, auf die Schulter. Mein Sohn, sagte er, die Menschen haben es mit der Sünde verdient, daß der Schmerz und das Wehthum in die Welt gekommen ist. Wo aber Strafe ist, heißt es, da ist Zucht, und wo Friede ist, da ist Gott.
Die Schläge hallten dazwischen fort. Der Greis brach mit einem tiefen Seufzer die Unterredung ab. Nun lebe Er wohl, mein lieber Friedrich, sagte er. Gott sei mit Ihm auf allen Seinen Wegen. Denke Er an das, was ich Ihm gesagt habe, damit wir uns fröhlich und eben darum niemals mehr an diesem Orte wiedersehen.
Er drückte ihm die Hand und wankte, so eilig als er es ver¬ mochte, an seinem Stabe dahin. Zwar hatte auch er die Meinung seiner Zeit ausgesprochen, daß durch grausame Züchtigungen der Wille Gottes erfüllt und sein Kommen vorbereitet werde, aber er schien doch nicht gern dabei zu sein und hatte es in diesem Augenblick wohl tief empfunden, daß das Reich Gottes, so wie er es verstand, noch sehr ferne sei.
Der junge Friedrich aber blieb unter den Fenstern des Zuchthauses stehen und lauschte dem Geräusch der Pein, vor welchem sein ehr¬ würdiger Beichtiger entflohen war. Er fühlte zwar nicht geringe Ent¬ rüstung über die Gewalt, die hier einem Menschen angethan wurde, aber der Schmerz des Armen verursachte ihm, der selbst schon manchen derben Puff ausgehalten hatte, kein besonders zartes Mitgefühl.
Die Schläge hörten endlich auf. Bald hernach öffnete sich die Thüre, und von einer unsichtbaren Hand geschleudert, kam ein Mensch herausgeflogen. Der Stoß war nicht eben sanft gewesen, doch hielt der Hinausgeworfene sich wie eine Katze auf den Füßen. Sein Ge¬ sicht zeigte trotz der zigeunerischen Farbe die Spuren überstandener Anstrengung, es war dunkelroth, und ein schielendes Auge gab diesen jugendlichen Zügen einen furchtbaren Ausdruck. Der junge Zigeuner, der so eben einen rauhen Abschied durchgemacht hatte, schüttelte sich am ganzen Leibe, er kehrte sich gegen das Zuchthaus um, streckte die Zunge so lang er konnte heraus, und ging dann gemächlich seiner Wege.
Der junge Friedrich ballte die Fauſt gegen das Gebäude. Dieſe Prügelhunde! rief er: es iſt ihnen nur wohl, wenn ſie zuſchlagen können.
Der Waiſenpfarrer legte ihm wieder die Hand, die aber diesmal zitterte, auf die Schulter. Mein Sohn, ſagte er, die Menſchen haben es mit der Sünde verdient, daß der Schmerz und das Wehthum in die Welt gekommen iſt. Wo aber Strafe iſt, heißt es, da iſt Zucht, und wo Friede iſt, da iſt Gott.
Die Schläge hallten dazwiſchen fort. Der Greis brach mit einem tiefen Seufzer die Unterredung ab. Nun lebe Er wohl, mein lieber Friedrich, ſagte er. Gott ſei mit Ihm auf allen Seinen Wegen. Denke Er an das, was ich Ihm geſagt habe, damit wir uns fröhlich und eben darum niemals mehr an dieſem Orte wiederſehen.
Er drückte ihm die Hand und wankte, ſo eilig als er es ver¬ mochte, an ſeinem Stabe dahin. Zwar hatte auch er die Meinung ſeiner Zeit ausgeſprochen, daß durch grauſame Züchtigungen der Wille Gottes erfüllt und ſein Kommen vorbereitet werde, aber er ſchien doch nicht gern dabei zu ſein und hatte es in dieſem Augenblick wohl tief empfunden, daß das Reich Gottes, ſo wie er es verſtand, noch ſehr ferne ſei.
Der junge Friedrich aber blieb unter den Fenſtern des Zuchthauſes ſtehen und lauſchte dem Geräuſch der Pein, vor welchem ſein ehr¬ würdiger Beichtiger entflohen war. Er fühlte zwar nicht geringe Ent¬ rüſtung über die Gewalt, die hier einem Menſchen angethan wurde, aber der Schmerz des Armen verurſachte ihm, der ſelbſt ſchon manchen derben Puff ausgehalten hatte, kein beſonders zartes Mitgefühl.
Die Schläge hörten endlich auf. Bald hernach öffnete ſich die Thüre, und von einer unſichtbaren Hand geſchleudert, kam ein Menſch herausgeflogen. Der Stoß war nicht eben ſanft geweſen, doch hielt der Hinausgeworfene ſich wie eine Katze auf den Füßen. Sein Ge¬ ſicht zeigte trotz der zigeuneriſchen Farbe die Spuren überſtandener Anſtrengung, es war dunkelroth, und ein ſchielendes Auge gab dieſen jugendlichen Zügen einen furchtbaren Ausdruck. Der junge Zigeuner, der ſo eben einen rauhen Abſchied durchgemacht hatte, ſchüttelte ſich am ganzen Leibe, er kehrte ſich gegen das Zuchthaus um, ſtreckte die Zunge ſo lang er konnte heraus, und ging dann gemächlich ſeiner Wege.
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Der junge Friedrich ballte die Fauſt gegen das Gebäude. Dieſe
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Der Waiſenpfarrer legte ihm wieder die Hand, die aber diesmal
zitterte, auf die Schulter. Mein Sohn, ſagte er, die Menſchen haben
es mit der Sünde verdient, daß der Schmerz und das Wehthum in
die Welt gekommen iſt. Wo aber Strafe iſt, heißt es, da iſt Zucht,
und wo Friede iſt, da iſt Gott.
Die Schläge hallten dazwiſchen fort. Der Greis brach mit einem
tiefen Seufzer die Unterredung ab. Nun lebe Er wohl, mein lieber
Friedrich, ſagte er. Gott ſei mit Ihm auf allen Seinen Wegen. Denke
Er an das, was ich Ihm geſagt habe, damit wir uns fröhlich und
eben darum niemals mehr an dieſem Orte wiederſehen.
Er drückte ihm die Hand und wankte, ſo eilig als er es ver¬
mochte, an ſeinem Stabe dahin. Zwar hatte auch er die Meinung
ſeiner Zeit ausgeſprochen, daß durch grauſame Züchtigungen der Wille
Gottes erfüllt und ſein Kommen vorbereitet werde, aber er ſchien doch
nicht gern dabei zu ſein und hatte es in dieſem Augenblick wohl tief
empfunden, daß das Reich Gottes, ſo wie er es verſtand, noch ſehr
ferne ſei.
Der junge Friedrich aber blieb unter den Fenſtern des Zuchthauſes
ſtehen und lauſchte dem Geräuſch der Pein, vor welchem ſein ehr¬
würdiger Beichtiger entflohen war. Er fühlte zwar nicht geringe Ent¬
rüſtung über die Gewalt, die hier einem Menſchen angethan wurde,
aber der Schmerz des Armen verurſachte ihm, der ſelbſt ſchon manchen
derben Puff ausgehalten hatte, kein beſonders zartes Mitgefühl.
Die Schläge hörten endlich auf. Bald hernach öffnete ſich die
Thüre, und von einer unſichtbaren Hand geſchleudert, kam ein Menſch
herausgeflogen. Der Stoß war nicht eben ſanft geweſen, doch hielt
der Hinausgeworfene ſich wie eine Katze auf den Füßen. Sein Ge¬
ſicht zeigte trotz der zigeuneriſchen Farbe die Spuren überſtandener
Anſtrengung, es war dunkelroth, und ein ſchielendes Auge gab dieſen
jugendlichen Zügen einen furchtbaren Ausdruck. Der junge Zigeuner,
der ſo eben einen rauhen Abſchied durchgemacht hatte, ſchüttelte ſich am
ganzen Leibe, er kehrte ſich gegen das Zuchthaus um, ſtreckte die Zunge
ſo lang er konnte heraus, und ging dann gemächlich ſeiner Wege.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/23>, abgerufen am 21.11.2024.
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