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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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den soll. Da kommt es nur drauf an, daß einmal ein Anfang ge¬
macht wird, der für den Fortgang und für's Fertigwerden Bürgschaft
gibt, und ist also ein kleines umgepflügtes Flecklein fast schon so
wichtig, wie das ganze künftige Neubruchland.

Er hat mich gar wohl gefaßt, versetzte der alte Herr mit freund¬
lichem Lächeln. Wenn das Reich Gottes auf Erden erscheinen und
ihm die Stätte bereitet werden soll, so thut es zuerst Noth, daß ein
Kern von guten Menschen gezogen wird, von welchen die Güte und
der Segen allmählich auf die Andern übergehen kann. Die müssen
aber festhalten wie ein Häuflein Streiter, von denen der Ausgang
einer Schlacht abhängt. Ja, mein Sohn, fuhr er fort und legte ihm
die abgemagerte Hand auf dieselbe Schulter, welche vorhin der Aufseher
so unsanft berührt hatte: da muß man den Pflug über das trotzige
Herz gehen lassen, da muß man eine Beleidigung nicht mit Thätlichkeiten
erwidern, die in's Zuchthaus führen. Vielmehr wer zu jenen Kern¬
truppen geboren will, der muß gegen seinen Feind gar noch ein gu¬
tes Wort und ein freundlich Gesicht aufzuwenden haben, und was
noch weit mehr heißen will, es muß ihm sogar von Herzen gehen.

Der Jüngling, der irgend einen Widersacher im Geiste vor sich
stehen sehen mochte, trat bei dieser Zumuthung betreten einen Schritt
zurück. Die Große der Aufgabe war ihm augenscheinlich schwer auf's
Herz gefallen. -- Aber, sagte er, da wird Mancher denken wie es im
Evangelium heißt: "das ist eine harte Rede, wer kann sie hören?"

Der Greis lächelte. Mein junger Freund ist sehr bibelfest, ver¬
setzte er: ich bemerke das heut nicht zum erstenmal. Die besten Kern¬
sprüche, die schönsten Liederverse hat er fest im Kopfe behalten, aber
ob auch in einem feinen Herzen? Das ist nun die Frage. Diese
schönen Stellen, welche die Jugend in den Schulen auswendig lernt,
und oft recht gedankenlos dahersagt, sind Samenkörnern zu vergleichen.
Nun ist es zwar um ein Samenkorn ein edles Ding, aber der auf¬
gewachsene Baum und seine Früchte sind doch noch etwas ganz An¬
deres. O mein lieber Friedrich, ich fürchte, -- bei diesen Worten
hob er liebreich den Finger gegen ihn auf, -- ich fürchte, dieses
trotzige Gemüth muß noch durch Leiden gebeugt und recht umgebrochen
werden, wenn es ein Boden werden soll, darin der Same zu Früchten
aufgehen kann. Mein Sohn, habe Er immer Den vor Augen, von

den ſoll. Da kommt es nur drauf an, daß einmal ein Anfang ge¬
macht wird, der für den Fortgang und für's Fertigwerden Bürgſchaft
gibt, und iſt alſo ein kleines umgepflügtes Flecklein faſt ſchon ſo
wichtig, wie das ganze künftige Neubruchland.

Er hat mich gar wohl gefaßt, verſetzte der alte Herr mit freund¬
lichem Lächeln. Wenn das Reich Gottes auf Erden erſcheinen und
ihm die Stätte bereitet werden ſoll, ſo thut es zuerſt Noth, daß ein
Kern von guten Menſchen gezogen wird, von welchen die Güte und
der Segen allmählich auf die Andern übergehen kann. Die müſſen
aber feſthalten wie ein Häuflein Streiter, von denen der Ausgang
einer Schlacht abhängt. Ja, mein Sohn, fuhr er fort und legte ihm
die abgemagerte Hand auf dieſelbe Schulter, welche vorhin der Aufſeher
ſo unſanft berührt hatte: da muß man den Pflug über das trotzige
Herz gehen laſſen, da muß man eine Beleidigung nicht mit Thätlichkeiten
erwidern, die in's Zuchthaus führen. Vielmehr wer zu jenen Kern¬
truppen geboren will, der muß gegen ſeinen Feind gar noch ein gu¬
tes Wort und ein freundlich Geſicht aufzuwenden haben, und was
noch weit mehr heißen will, es muß ihm ſogar von Herzen gehen.

Der Jüngling, der irgend einen Widerſacher im Geiſte vor ſich
ſtehen ſehen mochte, trat bei dieſer Zumuthung betreten einen Schritt
zurück. Die Große der Aufgabe war ihm augenſcheinlich ſchwer auf's
Herz gefallen. — Aber, ſagte er, da wird Mancher denken wie es im
Evangelium heißt: „das iſt eine harte Rede, wer kann ſie hören?“

Der Greis lächelte. Mein junger Freund iſt ſehr bibelfeſt, ver¬
ſetzte er: ich bemerke das heut nicht zum erſtenmal. Die beſten Kern¬
ſprüche, die ſchönſten Liederverſe hat er feſt im Kopfe behalten, aber
ob auch in einem feinen Herzen? Das iſt nun die Frage. Dieſe
ſchönen Stellen, welche die Jugend in den Schulen auswendig lernt,
und oft recht gedankenlos daherſagt, ſind Samenkörnern zu vergleichen.
Nun iſt es zwar um ein Samenkorn ein edles Ding, aber der auf¬
gewachſene Baum und ſeine Früchte ſind doch noch etwas ganz An¬
deres. O mein lieber Friedrich, ich fürchte, — bei dieſen Worten
hob er liebreich den Finger gegen ihn auf, — ich fürchte, dieſes
trotzige Gemüth muß noch durch Leiden gebeugt und recht umgebrochen
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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/21>, abgerufen am 26.04.2024.