Da wird bald geholfen sein, flüsterte Friedrich und wußte sich vom Tisch und zur Stube hinaus zu machen, ohne daß sein Weg¬ gehen Jemand in die Augen fiel.
Der Invalide, der nichts von seinem Vorhaben ahnte, erdachte inzwischen gleichfalls einen Kunstgriff, um den beschwerlichen Schma¬ rotzer fortzubringen. In der Sonn' ist's heut' lustig, sagte er, der Sonnenwirth hat die Spendirhosen an und läßt eine Flasch' um die andere springen; ich hab' gehört, er hab' einen Fahnen auf'm Hut wehen. -- Friedrich hatte ihm anvertraut, daß sein Vater den Wein etwas spüre und guter Dinge sei.
Das kommt selten vor, daß der Sonnenwirth 'n Spitzer hat, sagte der Müllerknecht. Wahr ist's aber: wenn er angestochen ist, dann spendirt er. Außerdem thut er's nicht.
Auf den Schützen wirkte die Mittheilung sichtbar beunruhigend. Er wußte nicht recht, wie er es angreifen solle, um alsbaldigen Ge¬ brauch von ihr zu machen. Endlich siegte doch die Lockung über die Furcht, daß man seine Absicht merken könnte. Er behauptete stot¬ ternd, er müsse im Flecken nachsehen, ob keine Ungebür vorgehe, wünschte umständlich gute Nacht und schwankte zur Thüre hinaus, wäh¬ rend der Invalide und der Müllerknecht einander heimlich anlachten.
Der hat auch schwer geladen, sagte der Müllerknecht hinter ihm drein. Der hätt' nicht noch mehr nöthig.
Kaum war er draußen, so kam Friedrich wieder herein. Alle Teufel! flüsterte er dem Invaliden zu, indem er sich geschwind wieder zu ihm setzte, warum habt Ihr ihn fortgelassen? Wo ist er hin?
Ist er Ihm denn nicht begegnet? fragte der Invalide, der das sonderbare Benehmen seines jungen Freundes nicht begriff.
Ich hab' mich hinter die Thür' versteckt. Wo ist er denn hin?
Rechts hinunter, der Sonne zu.
Ruft ihn, ruft ihn zurück! sagte Friedrich mit größter Hast, ohne zu bedenken, daß dazu ein hölzernes Bein nicht das tauglichste war. Es ist zu spät, murmelte er in kalter Bestürzung: gebt Acht, jetzt fliegt er.
Dem Invaliden ging ein Licht auf. Es war aber keine Zeit mehr, etwas zu ersinnen, das die Gefahr abwenden konnte, ohne den Thäter zu verrathen, denn in demselben Augenblick erfolgte auf der
Da wird bald geholfen ſein, flüſterte Friedrich und wußte ſich vom Tiſch und zur Stube hinaus zu machen, ohne daß ſein Weg¬ gehen Jemand in die Augen fiel.
Der Invalide, der nichts von ſeinem Vorhaben ahnte, erdachte inzwiſchen gleichfalls einen Kunſtgriff, um den beſchwerlichen Schma¬ rotzer fortzubringen. In der Sonn' iſt's heut' luſtig, ſagte er, der Sonnenwirth hat die Spendirhoſen an und läßt eine Flasch' um die andere ſpringen; ich hab' gehört, er hab' einen Fahnen auf'm Hut wehen. — Friedrich hatte ihm anvertraut, daß ſein Vater den Wein etwas ſpüre und guter Dinge ſei.
Das kommt ſelten vor, daß der Sonnenwirth 'n Spitzer hat, ſagte der Müllerknecht. Wahr iſt's aber: wenn er angeſtochen iſt, dann ſpendirt er. Außerdem thut er's nicht.
Auf den Schützen wirkte die Mittheilung ſichtbar beunruhigend. Er wußte nicht recht, wie er es angreifen ſolle, um alsbaldigen Ge¬ brauch von ihr zu machen. Endlich siegte doch die Lockung über die Furcht, daß man ſeine Abſicht merken könnte. Er behauptete ſtot¬ ternd, er müſſe im Flecken nachſehen, ob keine Ungebür vorgehe, wünſchte umſtändlich gute Nacht und ſchwankte zur Thüre hinaus, wäh¬ rend der Invalide und der Müllerknecht einander heimlich anlachten.
Der hat auch ſchwer geladen, ſagte der Müllerknecht hinter ihm drein. Der hätt' nicht noch mehr nöthig.
Kaum war er draußen, ſo kam Friedrich wieder herein. Alle Teufel! flüſterte er dem Invaliden zu, indem er ſich geſchwind wieder zu ihm ſetzte, warum habt Ihr ihn fortgelaſſen? Wo iſt er hin?
Iſt er Ihm denn nicht begegnet? fragte der Invalide, der das ſonderbare Benehmen ſeines jungen Freundes nicht begriff.
Ich hab' mich hinter die Thür' verſteckt. Wo iſt er denn hin?
Rechts hinunter, der Sonne zu.
Ruft ihn, ruft ihn zurück! sagte Friedrich mit größter Haſt, ohne zu bedenken, daß dazu ein hölzernes Bein nicht das tauglichſte war. Es iſt zu ſpät, murmelte er in kalter Beſtürzung: gebt Acht, jetzt fliegt er.
Dem Invaliden ging ein Licht auf. Es war aber keine Zeit mehr, etwas zu erſinnen, das die Gefahr abwenden konnte, ohne den Thäter zu verrathen, denn in demſelben Augenblick erfolgte auf der
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Da wird bald geholfen ſein, flüſterte Friedrich und wußte ſich
vom Tiſch und zur Stube hinaus zu machen, ohne daß ſein Weg¬
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Der Invalide, der nichts von ſeinem Vorhaben ahnte, erdachte
inzwiſchen gleichfalls einen Kunſtgriff, um den beſchwerlichen Schma¬
rotzer fortzubringen. In der Sonn' iſt's heut' luſtig, ſagte er, der
Sonnenwirth hat die Spendirhoſen an und läßt eine Flasch' um die
andere ſpringen; ich hab' gehört, er hab' einen Fahnen auf'm Hut
wehen. — Friedrich hatte ihm anvertraut, daß ſein Vater den Wein
etwas ſpüre und guter Dinge ſei.
Das kommt ſelten vor, daß der Sonnenwirth 'n Spitzer hat,
ſagte der Müllerknecht. Wahr iſt's aber: wenn er angeſtochen iſt,
dann ſpendirt er. Außerdem thut er's nicht.
Auf den Schützen wirkte die Mittheilung ſichtbar beunruhigend.
Er wußte nicht recht, wie er es angreifen ſolle, um alsbaldigen Ge¬
brauch von ihr zu machen. Endlich siegte doch die Lockung über die
Furcht, daß man ſeine Abſicht merken könnte. Er behauptete ſtot¬
ternd, er müſſe im Flecken nachſehen, ob keine Ungebür vorgehe,
wünſchte umſtändlich gute Nacht und ſchwankte zur Thüre hinaus, wäh¬
rend der Invalide und der Müllerknecht einander heimlich anlachten.
Der hat auch ſchwer geladen, ſagte der Müllerknecht hinter ihm
drein. Der hätt' nicht noch mehr nöthig.
Kaum war er draußen, ſo kam Friedrich wieder herein. Alle
Teufel! flüſterte er dem Invaliden zu, indem er ſich geſchwind wieder
zu ihm ſetzte, warum habt Ihr ihn fortgelaſſen? Wo iſt er hin?
Iſt er Ihm denn nicht begegnet? fragte der Invalide, der das
ſonderbare Benehmen ſeines jungen Freundes nicht begriff.
Ich hab' mich hinter die Thür' verſteckt. Wo iſt er denn hin?
Rechts hinunter, der Sonne zu.
Ruft ihn, ruft ihn zurück! sagte Friedrich mit größter Haſt, ohne
zu bedenken, daß dazu ein hölzernes Bein nicht das tauglichſte war.
Es iſt zu ſpät, murmelte er in kalter Beſtürzung: gebt Acht, jetzt
fliegt er.
Dem Invaliden ging ein Licht auf. Es war aber keine Zeit
mehr, etwas zu erſinnen, das die Gefahr abwenden konnte, ohne den
Thäter zu verrathen, denn in demſelben Augenblick erfolgte auf der
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/127>, abgerufen am 24.11.2024.
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