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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Lump, der sich sogar an seiner ihm von Gott vorgesetzten Obrigkeit
vergreife.

Jetzt hast genug hasselirt, Schütz! rief ein Mann mit verwogenem
und zugleich verfallenem Gesicht, das den Ausdruck einer grämlichen
Lustigkeit hatte und blutige Spuren trug, als ob es auf irgend eine
Weise zerschunden oder zerkratzt worden wäre. Komm, schwenk' dir
die Gurgel aus, hast dich ja ganz heiser geschrieen. Hier hältst vor
der unrechten Schmiede: von denen, die hier sitzen, ist seit mindestens
einer Stunde keiner aus der Stube kommen. Bist aber auch ein
rechter Leichtfuß, heißt das, du mußt nicht besonders fest auf den
Füßen sein, daß dich ein blinder Schuß gleich zum Purzeln bringen
kann. Da sieh den Profoßen an, der ist ein anderer Kerl, den haben
sie um einen Fuß kürzer gemacht und doch steht er auf seine andert¬
halb anders hin als du auf deine zwei ganze. Den schmeißt keiner
so leicht um, weder mit einer blindgeladenen Kanone noch mit einer
scharfgeladenen Butell'. Laß das Hasseliren sein, sag' ich, und komm
her, ich bring' dir's. Es vertreibt dir den Schnapsgeruch.

Der Invalide, der an der Tischecke saß, hatte alsbald zum Beweis
für das Gesagte den Stelzfuß auf dem Tisch und trommelte damit
nach Wein. Zugleich machte er Anstalt, seine Geschichte wieder aufzu¬
nehmen, aber es glückte ihm nicht.

Dein gut's Wohlsein, Küblerfritz! sagte der Schütz, das darge¬
botene Glas annehmend und auf Einen Zug leerend, mit einer Mi¬
schung von Freundlichkeit und Spott: es scheint du machst jetzt Feuer¬
kübel und verlegst dich auf's Löschen. Wünsch' Glück dazu. Lösch'
aber nur zuerst den Brand in deinem eigenen Haus, du Mann im
Feuerofen. Wiewohl, dein Feuerteufel, deine Marget, ist heut' abge¬
kühlt worden; sie hat ganz krumme Finger gehabt und hat laut ge¬
schnattert, wie ich sie wieder aus dem Häusle herausgelassen hab',
wegen der großen Kälte ist sie nur auf ein paar Stunden dreinge¬
sprochen worden.

Was? ist dein Weib heut eingesperrt worden, Kübler? fragte der
Invalide.

Der Kübler nickte mürrisch. Ihr wisset ja, wie sie ist und wie sie
mein Mädle von meinem ersten Weib plagt und den Waisen, den
ich aus dem Heiligen in der Kost hab'. Zu dem sagt sie immer:

Lump, der ſich ſogar an ſeiner ihm von Gott vorgeſetzten Obrigkeit
vergreife.

Jetzt haſt genug haſſelirt, Schütz! rief ein Mann mit verwogenem
und zugleich verfallenem Geſicht, das den Ausdruck einer grämlichen
Luſtigkeit hatte und blutige Spuren trug, als ob es auf irgend eine
Weiſe zerſchunden oder zerkratzt worden wäre. Komm, ſchwenk' dir
die Gurgel aus, haſt dich ja ganz heiſer geſchrieen. Hier hältſt vor
der unrechten Schmiede: von denen, die hier ſitzen, iſt ſeit mindeſtens
einer Stunde keiner aus der Stube kommen. Biſt aber auch ein
rechter Leichtfuß, heißt das, du mußt nicht beſonders feſt auf den
Füßen ſein, daß dich ein blinder Schuß gleich zum Purzeln bringen
kann. Da ſieh den Profoßen an, der iſt ein anderer Kerl, den haben
ſie um einen Fuß kürzer gemacht und doch ſteht er auf ſeine andert¬
halb anders hin als du auf deine zwei ganze. Den ſchmeißt keiner
ſo leicht um, weder mit einer blindgeladenen Kanone noch mit einer
ſcharfgeladenen Butell'. Laß das Haſſeliren ſein, ſag' ich, und komm
her, ich bring' dir's. Es vertreibt dir den Schnapsgeruch.

Der Invalide, der an der Tiſchecke ſaß, hatte alsbald zum Beweis
für das Geſagte den Stelzfuß auf dem Tiſch und trommelte damit
nach Wein. Zugleich machte er Anſtalt, ſeine Geſchichte wieder aufzu¬
nehmen, aber es glückte ihm nicht.

Dein gut's Wohlſein, Küblerfritz! ſagte der Schütz, das darge¬
botene Glas annehmend und auf Einen Zug leerend, mit einer Mi¬
ſchung von Freundlichkeit und Spott: es ſcheint du machſt jetzt Feuer¬
kübel und verlegſt dich auf's Löſchen. Wünſch' Glück dazu. Löſch'
aber nur zuerſt den Brand in deinem eigenen Haus, du Mann im
Feuerofen. Wiewohl, dein Feuerteufel, deine Marget, iſt heut' abge¬
kühlt worden; ſie hat ganz krumme Finger gehabt und hat laut ge¬
ſchnattert, wie ich ſie wieder aus dem Häusle herausgelaſſen hab',
wegen der großen Kälte iſt ſie nur auf ein paar Stunden dreinge¬
ſprochen worden.

Was? iſt dein Weib heut eingeſperrt worden, Kübler? fragte der
Invalide.

Der Kübler nickte mürriſch. Ihr wiſſet ja, wie ſie iſt und wie ſie
mein Mädle von meinem erſten Weib plagt und den Waiſen, den
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[92/0108] Lump, der ſich ſogar an ſeiner ihm von Gott vorgeſetzten Obrigkeit vergreife. Jetzt haſt genug haſſelirt, Schütz! rief ein Mann mit verwogenem und zugleich verfallenem Geſicht, das den Ausdruck einer grämlichen Luſtigkeit hatte und blutige Spuren trug, als ob es auf irgend eine Weiſe zerſchunden oder zerkratzt worden wäre. Komm, ſchwenk' dir die Gurgel aus, haſt dich ja ganz heiſer geſchrieen. Hier hältſt vor der unrechten Schmiede: von denen, die hier ſitzen, iſt ſeit mindeſtens einer Stunde keiner aus der Stube kommen. Biſt aber auch ein rechter Leichtfuß, heißt das, du mußt nicht beſonders feſt auf den Füßen ſein, daß dich ein blinder Schuß gleich zum Purzeln bringen kann. Da ſieh den Profoßen an, der iſt ein anderer Kerl, den haben ſie um einen Fuß kürzer gemacht und doch ſteht er auf ſeine andert¬ halb anders hin als du auf deine zwei ganze. Den ſchmeißt keiner ſo leicht um, weder mit einer blindgeladenen Kanone noch mit einer ſcharfgeladenen Butell'. Laß das Haſſeliren ſein, ſag' ich, und komm her, ich bring' dir's. Es vertreibt dir den Schnapsgeruch. Der Invalide, der an der Tiſchecke ſaß, hatte alsbald zum Beweis für das Geſagte den Stelzfuß auf dem Tiſch und trommelte damit nach Wein. Zugleich machte er Anſtalt, ſeine Geſchichte wieder aufzu¬ nehmen, aber es glückte ihm nicht. Dein gut's Wohlſein, Küblerfritz! ſagte der Schütz, das darge¬ botene Glas annehmend und auf Einen Zug leerend, mit einer Mi¬ ſchung von Freundlichkeit und Spott: es ſcheint du machſt jetzt Feuer¬ kübel und verlegſt dich auf's Löſchen. Wünſch' Glück dazu. Löſch' aber nur zuerſt den Brand in deinem eigenen Haus, du Mann im Feuerofen. Wiewohl, dein Feuerteufel, deine Marget, iſt heut' abge¬ kühlt worden; ſie hat ganz krumme Finger gehabt und hat laut ge¬ ſchnattert, wie ich ſie wieder aus dem Häusle herausgelaſſen hab', wegen der großen Kälte iſt ſie nur auf ein paar Stunden dreinge¬ ſprochen worden. Was? iſt dein Weib heut eingeſperrt worden, Kübler? fragte der Invalide. Der Kübler nickte mürriſch. Ihr wiſſet ja, wie ſie iſt und wie ſie mein Mädle von meinem erſten Weib plagt und den Waiſen, den ich aus dem Heiligen in der Koſt hab'. Zu dem ſagt ſie immer:

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/108>, abgerufen am 03.05.2024.