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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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tönte in der Straße die Schelle des Ausrufers, und er öffnete das
Fenster, um zu hören was es gebe. Das löbliche Amt ließ durch den
Fleckenschützen ausschellen, die jungen Burschen sollen sich bei Strafe
nicht beigehen lassen, in der kommenden Neujahrsnacht zu schießen, ein
Verbot, das jährlich eingeschärft und übertreten wurde. Die können
nichts als verbieten! brummte Friedrich, indem er das Fenster zu¬
schlug: das Schießen ist nun einmal ein alter Brauch, wiewohl, wenn
man's dem Ungeschick überließ', die Jugend durch Verlust von je und
je ein paar gesunden Fingern zu curiren, was ja so wie so geschieht,
so wär's wahrscheinlich längst mit dem Knallen vorbei. Aber der
Reiz des Verbotenen zieht eben viel stärker als die Furcht vor Schaden.
Es ist mir als ob der Schütz beim Ausrufen ein Aug' zu mir hätt'
herauflaufen lassen. Umsonst hat er wohl auch nicht g'rad' vor meinem
Haus geschellt. So? meint ihr? Dein Amtmann und du, ihr habt,
scheint's, ein besonderes Zutrauen zu mir? Ich will euch Ehre machen.
Wartet einmal, ob ihr mich kriegt.

Er dachte nicht daran, wie oft er zu sich gesagt, daß er die Kna¬
benschuhe vertreten habe, sondern schlich sich, als es dunkel wurde, zu
einem Invaliden, der nicht weit von der Sonne auf Leibgeding wohnte
und dem er schon manchen Bissen und Trunk gespendet hatte. Von
diesem entlehnte er sein altes Schlachtgewehr, das schlecht schoß aber
um so mächtiger knallte, und bald unterschied man aus den Schüssen,
die im Flecken und um denselben losgingen, einen der alle anderen
überdonnerte. Er hatte die Sylvesternacht eröffnet und krachte regel¬
mäßig in kurzen Pausen durch das Geknatter des jugendlichen Muth¬
willens hindurch. Da und dort geschah ein Unglück, da und dort
fiel einer der Lärmmacher den hin und her rennenden Wächtern in
die Hände und sein Puffer verstummte; aber den Donnerknall hörte
man ununterbrochen beinahe die ganze Vormittnacht und jedesmal
weit entfernt von dem Orte, wo der vorhergehende Schuß gefallen
war und die Wächter angelockt hatte. Wer feuert denn so kartaunen¬
mäßig? fragten die Leute im Flecken. Wer sonst als der Sonnen¬
wirthle, antworteten Andere: er ist am besten an dem zu erkennen, daß
ihn keiner von den Schaarwächtern erwischt. Für den Eingeweihten
war das sicherste Wahrzeichen wohl das, daß der unsichtbare Donnerer
überall, nur nicht an des Hirschbauern Haus sich hören ließ. Das

tönte in der Straße die Schelle des Ausrufers, und er öffnete das
Fenſter, um zu hören was es gebe. Das löbliche Amt ließ durch den
Fleckenſchützen ausſchellen, die jungen Burſchen ſollen ſich bei Strafe
nicht beigehen laſſen, in der kommenden Neujahrsnacht zu ſchießen, ein
Verbot, das jährlich eingeſchärft und übertreten wurde. Die können
nichts als verbieten! brummte Friedrich, indem er das Fenſter zu¬
ſchlug: das Schießen iſt nun einmal ein alter Brauch, wiewohl, wenn
man's dem Ungeſchick überließ', die Jugend durch Verluſt von je und
je ein paar geſunden Fingern zu curiren, was ja ſo wie ſo geſchieht,
ſo wär's wahrſcheinlich längſt mit dem Knallen vorbei. Aber der
Reiz des Verbotenen zieht eben viel ſtärker als die Furcht vor Schaden.
Es iſt mir als ob der Schütz beim Ausrufen ein Aug' zu mir hätt'
herauflaufen laſſen. Umſonſt hat er wohl auch nicht g'rad' vor meinem
Haus geſchellt. So? meint ihr? Dein Amtmann und du, ihr habt,
ſcheint's, ein beſonderes Zutrauen zu mir? Ich will euch Ehre machen.
Wartet einmal, ob ihr mich kriegt.

Er dachte nicht daran, wie oft er zu ſich geſagt, daß er die Kna¬
benſchuhe vertreten habe, ſondern ſchlich ſich, als es dunkel wurde, zu
einem Invaliden, der nicht weit von der Sonne auf Leibgeding wohnte
und dem er ſchon manchen Biſſen und Trunk geſpendet hatte. Von
dieſem entlehnte er ſein altes Schlachtgewehr, das ſchlecht ſchoß aber
um ſo mächtiger knallte, und bald unterſchied man aus den Schüſſen,
die im Flecken und um denſelben losgingen, einen der alle anderen
überdonnerte. Er hatte die Sylveſternacht eröffnet und krachte regel¬
mäßig in kurzen Pauſen durch das Geknatter des jugendlichen Muth¬
willens hindurch. Da und dort geſchah ein Unglück, da und dort
fiel einer der Lärmmacher den hin und her rennenden Wächtern in
die Hände und ſein Puffer verſtummte; aber den Donnerknall hörte
man ununterbrochen beinahe die ganze Vormittnacht und jedesmal
weit entfernt von dem Orte, wo der vorhergehende Schuß gefallen
war und die Wächter angelockt hatte. Wer feuert denn ſo kartaunen¬
mäßig? fragten die Leute im Flecken. Wer ſonſt als der Sonnen¬
wirthle, antworteten Andere: er iſt am beſten an dem zu erkennen, daß
ihn keiner von den Schaarwächtern erwiſcht. Für den Eingeweihten
war das ſicherſte Wahrzeichen wohl das, daß der unſichtbare Donnerer
überall, nur nicht an des Hirſchbauern Haus ſich hören ließ. Das

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[88/0104] tönte in der Straße die Schelle des Ausrufers, und er öffnete das Fenſter, um zu hören was es gebe. Das löbliche Amt ließ durch den Fleckenſchützen ausſchellen, die jungen Burſchen ſollen ſich bei Strafe nicht beigehen laſſen, in der kommenden Neujahrsnacht zu ſchießen, ein Verbot, das jährlich eingeſchärft und übertreten wurde. Die können nichts als verbieten! brummte Friedrich, indem er das Fenſter zu¬ ſchlug: das Schießen iſt nun einmal ein alter Brauch, wiewohl, wenn man's dem Ungeſchick überließ', die Jugend durch Verluſt von je und je ein paar geſunden Fingern zu curiren, was ja ſo wie ſo geſchieht, ſo wär's wahrſcheinlich längſt mit dem Knallen vorbei. Aber der Reiz des Verbotenen zieht eben viel ſtärker als die Furcht vor Schaden. Es iſt mir als ob der Schütz beim Ausrufen ein Aug' zu mir hätt' herauflaufen laſſen. Umſonſt hat er wohl auch nicht g'rad' vor meinem Haus geſchellt. So? meint ihr? Dein Amtmann und du, ihr habt, ſcheint's, ein beſonderes Zutrauen zu mir? Ich will euch Ehre machen. Wartet einmal, ob ihr mich kriegt. Er dachte nicht daran, wie oft er zu ſich geſagt, daß er die Kna¬ benſchuhe vertreten habe, ſondern ſchlich ſich, als es dunkel wurde, zu einem Invaliden, der nicht weit von der Sonne auf Leibgeding wohnte und dem er ſchon manchen Biſſen und Trunk geſpendet hatte. Von dieſem entlehnte er ſein altes Schlachtgewehr, das ſchlecht ſchoß aber um ſo mächtiger knallte, und bald unterſchied man aus den Schüſſen, die im Flecken und um denſelben losgingen, einen der alle anderen überdonnerte. Er hatte die Sylveſternacht eröffnet und krachte regel¬ mäßig in kurzen Pauſen durch das Geknatter des jugendlichen Muth¬ willens hindurch. Da und dort geſchah ein Unglück, da und dort fiel einer der Lärmmacher den hin und her rennenden Wächtern in die Hände und ſein Puffer verſtummte; aber den Donnerknall hörte man ununterbrochen beinahe die ganze Vormittnacht und jedesmal weit entfernt von dem Orte, wo der vorhergehende Schuß gefallen war und die Wächter angelockt hatte. Wer feuert denn ſo kartaunen¬ mäßig? fragten die Leute im Flecken. Wer ſonſt als der Sonnen¬ wirthle, antworteten Andere: er iſt am beſten an dem zu erkennen, daß ihn keiner von den Schaarwächtern erwiſcht. Für den Eingeweihten war das ſicherſte Wahrzeichen wohl das, daß der unſichtbare Donnerer überall, nur nicht an des Hirſchbauern Haus ſich hören ließ. Das

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/104>, abgerufen am 24.11.2024.