Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

von seiner "Schuldigkeit" gesprochen hätte. Diese Uebereilung, obschon sie mehr wohlmeinend als zartsinnig war, benützte der allzeit gewandte Doctor sofort, um sich neuen Dank zu verdienen und auch noch ein anderes Schicksal ins Günstige abzuschließen. Er bevorwortete seinen braven, verliebten Rudolf. Er stellte die Tüchtigkeit dieses jungen Menschen mit seinem ganzen Ansehen ins Licht; er selbst habe ihm zu höheren Ehren und Würden die Bahn zu eröffnen geglaubt, aber seine Liebe sei größer als sein Ehrgeiz gewesen; um seiner Liebe willen blieb er auf dem Lande. Er bedauere ihn deßwegen nicht; die Landwirthschaft brauche auch gute Köpfe und könne rationelle Bildung gar wohl vertragen, doch sei es billig, daß der Wackere nun auch den Preis seiner Entsagung erringe. Allerdings besitze der Aermste nichts auf der weiten Welt, aber an sich selbst habe er die bittere Erfahrung gemacht, wie unglücklich man trotz Geld und Gut sein könne, Reichthum würde er nun gewiß nicht zu strenge fordern von seinem künftigen Tochtermanln. Und dann habe er doch dem Burschen sein Heil zu verdanken. Von der hiesigen Bevölkerung gequält, aufgegeben, verlassen -- wer war es, der ihm einen Doctor und, jenes Briefes wegen, den allein richtigen Doctor in seinem Leiden vermittelt, wenn nicht Rudolf? Möge er dem jungen, lebensmuthigen Paare nun ein Gütchen überlassen, das sei der Lohn, den er sich ausbitte, und er stehe dafür: der arme Eidam werde mit einem anvertrauten Pfunde zu wuchern wissen, gleich jenem Hausvater, der das seine verhundertfachte.

So redete der Doctor, und noch sprach er, da hörte man vor der Stubenthüre einen schäkernden Zank, ein ernst- und scherzhaftes Kampfspiel, halb Güte, halb Gewalt -- die Thüre that sich auf: man konnte nicht sagen von einem ordentlichen Druck und Griff,

von seiner „Schuldigkeit“ gesprochen hätte. Diese Uebereilung, obschon sie mehr wohlmeinend als zartsinnig war, benützte der allzeit gewandte Doctor sofort, um sich neuen Dank zu verdienen und auch noch ein anderes Schicksal ins Günstige abzuschließen. Er bevorwortete seinen braven, verliebten Rudolf. Er stellte die Tüchtigkeit dieses jungen Menschen mit seinem ganzen Ansehen ins Licht; er selbst habe ihm zu höheren Ehren und Würden die Bahn zu eröffnen geglaubt, aber seine Liebe sei größer als sein Ehrgeiz gewesen; um seiner Liebe willen blieb er auf dem Lande. Er bedauere ihn deßwegen nicht; die Landwirthschaft brauche auch gute Köpfe und könne rationelle Bildung gar wohl vertragen, doch sei es billig, daß der Wackere nun auch den Preis seiner Entsagung erringe. Allerdings besitze der Aermste nichts auf der weiten Welt, aber an sich selbst habe er die bittere Erfahrung gemacht, wie unglücklich man trotz Geld und Gut sein könne, Reichthum würde er nun gewiß nicht zu strenge fordern von seinem künftigen Tochtermanln. Und dann habe er doch dem Burschen sein Heil zu verdanken. Von der hiesigen Bevölkerung gequält, aufgegeben, verlassen — wer war es, der ihm einen Doctor und, jenes Briefes wegen, den allein richtigen Doctor in seinem Leiden vermittelt, wenn nicht Rudolf? Möge er dem jungen, lebensmuthigen Paare nun ein Gütchen überlassen, das sei der Lohn, den er sich ausbitte, und er stehe dafür: der arme Eidam werde mit einem anvertrauten Pfunde zu wuchern wissen, gleich jenem Hausvater, der das seine verhundertfachte.

So redete der Doctor, und noch sprach er, da hörte man vor der Stubenthüre einen schäkernden Zank, ein ernst- und scherzhaftes Kampfspiel, halb Güte, halb Gewalt — die Thüre that sich auf: man konnte nicht sagen von einem ordentlichen Druck und Griff,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0048"/>
von seiner &#x201E;Schuldigkeit&#x201C; gesprochen      hätte. Diese Uebereilung, obschon sie mehr wohlmeinend als zartsinnig war, benützte der allzeit      gewandte Doctor sofort, um sich neuen Dank zu verdienen und auch noch ein anderes Schicksal ins      Günstige abzuschließen. Er bevorwortete seinen braven, verliebten Rudolf. Er stellte die      Tüchtigkeit dieses jungen Menschen mit seinem ganzen Ansehen ins Licht; er selbst habe ihm zu      höheren Ehren und Würden die Bahn zu eröffnen geglaubt, aber seine Liebe sei größer als sein      Ehrgeiz gewesen; um seiner Liebe willen blieb er auf dem Lande. Er bedauere ihn deßwegen nicht;      die Landwirthschaft brauche auch gute Köpfe und könne rationelle Bildung gar wohl vertragen,      doch sei es billig, daß der Wackere nun auch den Preis seiner Entsagung erringe. Allerdings      besitze der Aermste nichts auf der weiten Welt, aber an sich selbst habe er die bittere      Erfahrung gemacht, wie unglücklich man trotz Geld und Gut sein könne, Reichthum würde er nun      gewiß nicht zu strenge fordern von seinem künftigen Tochtermanln. Und dann habe er doch dem      Burschen sein Heil zu verdanken. Von der hiesigen Bevölkerung gequält, aufgegeben, verlassen &#x2014;      wer war es, der ihm einen Doctor und, jenes Briefes wegen, den allein richtigen Doctor in      seinem Leiden vermittelt, wenn nicht Rudolf? Möge er dem jungen, lebensmuthigen Paare nun ein      Gütchen überlassen, das sei der Lohn, den er sich ausbitte, und er stehe dafür: der arme Eidam      werde mit einem anvertrauten Pfunde zu wuchern wissen, gleich jenem Hausvater, der das seine      verhundertfachte.</p><lb/>
        <p>So redete der Doctor, und noch sprach er, da hörte man vor der Stubenthüre einen schäkernden      Zank, ein ernst- und scherzhaftes Kampfspiel, halb Güte, halb Gewalt &#x2014; die Thüre that sich auf:      man konnte nicht sagen von einem ordentlichen Druck und Griff,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] von seiner „Schuldigkeit“ gesprochen hätte. Diese Uebereilung, obschon sie mehr wohlmeinend als zartsinnig war, benützte der allzeit gewandte Doctor sofort, um sich neuen Dank zu verdienen und auch noch ein anderes Schicksal ins Günstige abzuschließen. Er bevorwortete seinen braven, verliebten Rudolf. Er stellte die Tüchtigkeit dieses jungen Menschen mit seinem ganzen Ansehen ins Licht; er selbst habe ihm zu höheren Ehren und Würden die Bahn zu eröffnen geglaubt, aber seine Liebe sei größer als sein Ehrgeiz gewesen; um seiner Liebe willen blieb er auf dem Lande. Er bedauere ihn deßwegen nicht; die Landwirthschaft brauche auch gute Köpfe und könne rationelle Bildung gar wohl vertragen, doch sei es billig, daß der Wackere nun auch den Preis seiner Entsagung erringe. Allerdings besitze der Aermste nichts auf der weiten Welt, aber an sich selbst habe er die bittere Erfahrung gemacht, wie unglücklich man trotz Geld und Gut sein könne, Reichthum würde er nun gewiß nicht zu strenge fordern von seinem künftigen Tochtermanln. Und dann habe er doch dem Burschen sein Heil zu verdanken. Von der hiesigen Bevölkerung gequält, aufgegeben, verlassen — wer war es, der ihm einen Doctor und, jenes Briefes wegen, den allein richtigen Doctor in seinem Leiden vermittelt, wenn nicht Rudolf? Möge er dem jungen, lebensmuthigen Paare nun ein Gütchen überlassen, das sei der Lohn, den er sich ausbitte, und er stehe dafür: der arme Eidam werde mit einem anvertrauten Pfunde zu wuchern wissen, gleich jenem Hausvater, der das seine verhundertfachte. So redete der Doctor, und noch sprach er, da hörte man vor der Stubenthüre einen schäkernden Zank, ein ernst- und scherzhaftes Kampfspiel, halb Güte, halb Gewalt — die Thüre that sich auf: man konnte nicht sagen von einem ordentlichen Druck und Griff,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:57:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:57:16Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/48
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/48>, abgerufen am 21.11.2024.