Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Königswalde. Zn dem kam der Müller des Orts und sagte: Herr Pastor, mir ist heut' Nacht ein graues Männlein erschienen, das versprach mir einen großen Schatz, wenn ich ihm folgen wollte. Soll ich? Nun seht, der Pastor sagte nicht: nein! Er sagte bloß: thut's mit Vorsicht und betet ein Vaterunser dazu. Richtig kam das Männchen in der zweiten Nacht wieder. Es führte den Müller in seinen Keller hinab, da zeigte es ihm einen Stein, den räumte der Müller mit seiner Müllerspitze, was ein Schurfeisen ist, aus seinen Fugen. Darauf stießen sie auf eine kupferne Platte, und unter dieser kam ein enges tiefes Brunnenloch. In den Brunnen ging eine Leiter hinab, aber die war kurios. Ihre Sprossen standen wohl ellenweit aus einander. Das Männchen kletterte voraus in die Tiefe, und -- das hätt' ich nicht mit ansehen mögen -- seine Beine wurden dabei richtig so lang, daß sie die Sprossen ausreichten. Der geizige Müller that noch immer, als ob er nichts merkte, und zappelte mit Halsgefahr nach. Nur das Vaterunser mocht' er vergessen haben dabei, das weiß ich nicht. Kurz, wie sie ganz unten im Abgrund waren, so kamen sie wieder an eine zweite Kupferplatte. Der Müller gräbt sie abermal aus, und darunter war ein Brunnenloch, viel schauderhafter noch, als das erste. Das Männchen schlüpfte rasch hinein, aber mein Müller immer hinter ihm her, immer dreiste drauf los! Da auf einmal verwandelte sich das Männlein und zeigte ein fürchterliches Gesichte. Jetzt war's aber doch alle mit dem Müller. Jählings überfiel ihn die Angst; -- des andern Morgens hat man ihn todt im Keller gefunden. Aber mitgegangen mitgehangen hieß es. Nach drei Tagen starb auch der Pastor von Königswalde. Wenn du das Eine sagst, mußt du das Andere nicht verschweigen, erscholl jetzt die schwache Stimme eines zahnlosen Greises. Es war der alte Mann Königswalde. Zn dem kam der Müller des Orts und sagte: Herr Pastor, mir ist heut' Nacht ein graues Männlein erschienen, das versprach mir einen großen Schatz, wenn ich ihm folgen wollte. Soll ich? Nun seht, der Pastor sagte nicht: nein! Er sagte bloß: thut's mit Vorsicht und betet ein Vaterunser dazu. Richtig kam das Männchen in der zweiten Nacht wieder. Es führte den Müller in seinen Keller hinab, da zeigte es ihm einen Stein, den räumte der Müller mit seiner Müllerspitze, was ein Schurfeisen ist, aus seinen Fugen. Darauf stießen sie auf eine kupferne Platte, und unter dieser kam ein enges tiefes Brunnenloch. In den Brunnen ging eine Leiter hinab, aber die war kurios. Ihre Sprossen standen wohl ellenweit aus einander. Das Männchen kletterte voraus in die Tiefe, und — das hätt' ich nicht mit ansehen mögen — seine Beine wurden dabei richtig so lang, daß sie die Sprossen ausreichten. Der geizige Müller that noch immer, als ob er nichts merkte, und zappelte mit Halsgefahr nach. Nur das Vaterunser mocht' er vergessen haben dabei, das weiß ich nicht. Kurz, wie sie ganz unten im Abgrund waren, so kamen sie wieder an eine zweite Kupferplatte. Der Müller gräbt sie abermal aus, und darunter war ein Brunnenloch, viel schauderhafter noch, als das erste. Das Männchen schlüpfte rasch hinein, aber mein Müller immer hinter ihm her, immer dreiste drauf los! Da auf einmal verwandelte sich das Männlein und zeigte ein fürchterliches Gesichte. Jetzt war's aber doch alle mit dem Müller. Jählings überfiel ihn die Angst; — des andern Morgens hat man ihn todt im Keller gefunden. Aber mitgegangen mitgehangen hieß es. Nach drei Tagen starb auch der Pastor von Königswalde. Wenn du das Eine sagst, mußt du das Andere nicht verschweigen, erscholl jetzt die schwache Stimme eines zahnlosen Greises. Es war der alte Mann <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0014"/> Königswalde. Zn dem kam der Müller des Orts und sagte: Herr Pastor, mir ist heut' Nacht ein graues Männlein erschienen, das versprach mir einen großen Schatz, wenn ich ihm folgen wollte. Soll ich? Nun seht, der Pastor sagte nicht: nein! Er sagte bloß: thut's mit Vorsicht und betet ein Vaterunser dazu. Richtig kam das Männchen in der zweiten Nacht wieder. Es führte den Müller in seinen Keller hinab, da zeigte es ihm einen Stein, den räumte der Müller mit seiner Müllerspitze, was ein Schurfeisen ist, aus seinen Fugen. Darauf stießen sie auf eine kupferne Platte, und unter dieser kam ein enges tiefes Brunnenloch. In den Brunnen ging eine Leiter hinab, aber die war kurios. Ihre Sprossen standen wohl ellenweit aus einander. Das Männchen kletterte voraus in die Tiefe, und — das hätt' ich nicht mit ansehen mögen — seine Beine wurden dabei richtig so lang, daß sie die Sprossen ausreichten. Der geizige Müller that noch immer, als ob er nichts merkte, und zappelte mit Halsgefahr nach. Nur das Vaterunser mocht' er vergessen haben dabei, das weiß ich nicht. Kurz, wie sie ganz unten im Abgrund waren, so kamen sie wieder an eine zweite Kupferplatte. Der Müller gräbt sie abermal aus, und darunter war ein Brunnenloch, viel schauderhafter noch, als das erste. Das Männchen schlüpfte rasch hinein, aber mein Müller immer hinter ihm her, immer dreiste drauf los! Da auf einmal verwandelte sich das Männlein und zeigte ein fürchterliches Gesichte. Jetzt war's aber doch alle mit dem Müller. Jählings überfiel ihn die Angst; — des andern Morgens hat man ihn todt im Keller gefunden. Aber mitgegangen mitgehangen hieß es. Nach drei Tagen starb auch der Pastor von Königswalde.</p><lb/> <p>Wenn du das Eine sagst, mußt du das Andere nicht verschweigen, erscholl jetzt die schwache Stimme eines zahnlosen Greises. Es war der alte Mann<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Königswalde. Zn dem kam der Müller des Orts und sagte: Herr Pastor, mir ist heut' Nacht ein graues Männlein erschienen, das versprach mir einen großen Schatz, wenn ich ihm folgen wollte. Soll ich? Nun seht, der Pastor sagte nicht: nein! Er sagte bloß: thut's mit Vorsicht und betet ein Vaterunser dazu. Richtig kam das Männchen in der zweiten Nacht wieder. Es führte den Müller in seinen Keller hinab, da zeigte es ihm einen Stein, den räumte der Müller mit seiner Müllerspitze, was ein Schurfeisen ist, aus seinen Fugen. Darauf stießen sie auf eine kupferne Platte, und unter dieser kam ein enges tiefes Brunnenloch. In den Brunnen ging eine Leiter hinab, aber die war kurios. Ihre Sprossen standen wohl ellenweit aus einander. Das Männchen kletterte voraus in die Tiefe, und — das hätt' ich nicht mit ansehen mögen — seine Beine wurden dabei richtig so lang, daß sie die Sprossen ausreichten. Der geizige Müller that noch immer, als ob er nichts merkte, und zappelte mit Halsgefahr nach. Nur das Vaterunser mocht' er vergessen haben dabei, das weiß ich nicht. Kurz, wie sie ganz unten im Abgrund waren, so kamen sie wieder an eine zweite Kupferplatte. Der Müller gräbt sie abermal aus, und darunter war ein Brunnenloch, viel schauderhafter noch, als das erste. Das Männchen schlüpfte rasch hinein, aber mein Müller immer hinter ihm her, immer dreiste drauf los! Da auf einmal verwandelte sich das Männlein und zeigte ein fürchterliches Gesichte. Jetzt war's aber doch alle mit dem Müller. Jählings überfiel ihn die Angst; — des andern Morgens hat man ihn todt im Keller gefunden. Aber mitgegangen mitgehangen hieß es. Nach drei Tagen starb auch der Pastor von Königswalde.
Wenn du das Eine sagst, mußt du das Andere nicht verschweigen, erscholl jetzt die schwache Stimme eines zahnlosen Greises. Es war der alte Mann
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T13:57:16Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T13:57:16Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |