Er bereut jetzt, daß er die übliche Aussteuer eines Reisenden, Empfehlungsbriefe, in Europa verschmäht. Im stolzen Instinkt der Originalität hatte er sie verschmäht und in der allerdings richtigen Annahme, sie möchten in Newyork eben so nutzlos sein als z. B. in Paris unentbehrlich, denn gewisse Völker seien im Salon, andere aber auf der Straße zu suchen. Nur der Umstand, daß seine Ankunft ohnedies in die sogenannte todte Saison fiel, konnte über jenes Versäumniß ihn wieder beruhigen.
Was also von idealeren Formen des hiesigen Volkslebens im In¬ nern der Häuser -- und zwar seltener Häuser -- glänzen mochte, blieb unserm Freunde zunächst aus dem Sinne gerückt. Um so weniger versäumte er den Besuch der öffentlichen Kunstanstalten. Zwar legt der Amerikamer selbst den geringeren Accent auf diese Seite seiner Nationalgröße, indem er, wenn nicht von mangelnder Kunstbegabung, doch von "Anfängen" redet, oder auch den "Einfluß Europa's" gro߬ müthig anerkennt. Er täuscht den Europöer nicht, überrascht ihn aber doch zugleich mit Zügen von Originalität, welche er selbst nicht ge¬ ahnt hat, und welche diesem den Beweis liefern, daß das Fremde nie ein Vorausgesehenes ist.
So besuchte Moorfeld ein Ding, das sich Newyorker Bilder-Galerie nannte. Er that es mit aller Bescheidenheit seiner eigenen Meinung und der der Einheimischen dazu. Der Galerie-Director z. B. war frei¬ sinnig genug, ihm geradezu zu sagen, er würde von Kunstwerken ersten Ranges nur Copien hier finden. Die Originale der besten Italiener, die Danaen, die Leden, die Ganymede u. s. w. müsse man ein- für allemale den verdammten Königen Europa's überlassen, sie erhöhten mit den Werken des Genies den Glanz ihrer Kronen, und veräußer¬ ten ein classisches Gemälde so wenig als einen Theil ihrer Souverai¬ netät. Nach diesem Fingerzeig erwartete also Moorfeld Copien. Rüh¬ ren sie von europäischen Künstlern her, so erwartet er gute Copien, von amerikanischen, so macht er sich auf ein wenig Verzeichnung, Steif¬ heit, Mangel an Vortrag u. dgl. gefaßt. Jedenfalls glaubt er vor¬ bereitet zu sein. Aber wie geschieht ihm, als er nun vor Figuren ge¬ führt wird, welche der Director, sein artiger Führer, ein Danae, eine Leda, einen Ganymed nennt, und von welchen er nichts zu sehen be¬ kommt, als Köpfe, Finger und Fußspitzen? Die griechischen Schönheiten
D. B. VII. Der Amerika-Müde. 6
Er bereut jetzt, daß er die übliche Ausſteuer eines Reiſenden, Empfehlungsbriefe, in Europa verſchmäht. Im ſtolzen Inſtinkt der Originalität hatte er ſie verſchmäht und in der allerdings richtigen Annahme, ſie möchten in Newyork eben ſo nutzlos ſein als z. B. in Paris unentbehrlich, denn gewiſſe Völker ſeien im Salon, andere aber auf der Straße zu ſuchen. Nur der Umſtand, daß ſeine Ankunft ohnedies in die ſogenannte todte Saiſon fiel, konnte über jenes Verſäumniß ihn wieder beruhigen.
Was alſo von idealeren Formen des hieſigen Volkslebens im In¬ nern der Häuſer — und zwar ſeltener Häuſer — glänzen mochte, blieb unſerm Freunde zunächſt aus dem Sinne gerückt. Um ſo weniger verſäumte er den Beſuch der öffentlichen Kunſtanſtalten. Zwar legt der Amerikamer ſelbſt den geringeren Accent auf dieſe Seite ſeiner Nationalgröße, indem er, wenn nicht von mangelnder Kunſtbegabung, doch von „Anfängen“ redet, oder auch den „Einfluß Europa's“ gro߬ müthig anerkennt. Er täuſcht den Europöer nicht, überraſcht ihn aber doch zugleich mit Zügen von Originalität, welche er ſelbſt nicht ge¬ ahnt hat, und welche dieſem den Beweis liefern, daß das Fremde nie ein Vorausgeſehenes iſt.
So beſuchte Moorfeld ein Ding, das ſich Newyorker Bilder-Galerie nannte. Er that es mit aller Beſcheidenheit ſeiner eigenen Meinung und der der Einheimiſchen dazu. Der Galerie-Director z. B. war frei¬ ſinnig genug, ihm geradezu zu ſagen, er würde von Kunſtwerken erſten Ranges nur Copien hier finden. Die Originale der beſten Italiener, die Danaen, die Leden, die Ganymede u. ſ. w. müſſe man ein- für allemale den verdammten Königen Europa's überlaſſen, ſie erhöhten mit den Werken des Genies den Glanz ihrer Kronen, und veräußer¬ ten ein claſſiſches Gemälde ſo wenig als einen Theil ihrer Souverai¬ netät. Nach dieſem Fingerzeig erwartete alſo Moorfeld Copien. Rüh¬ ren ſie von europäiſchen Künſtlern her, ſo erwartet er gute Copien, von amerikaniſchen, ſo macht er ſich auf ein wenig Verzeichnung, Steif¬ heit, Mangel an Vortrag u. dgl. gefaßt. Jedenfalls glaubt er vor¬ bereitet zu ſein. Aber wie geſchieht ihm, als er nun vor Figuren ge¬ führt wird, welche der Director, ſein artiger Führer, ein Danae, eine Leda, einen Ganymed nennt, und von welchen er nichts zu ſehen be¬ kommt, als Köpfe, Finger und Fußſpitzen? Die griechiſchen Schönheiten
D. B. VII. Der Amerika-Müde. 6
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Er bereut jetzt, daß er die übliche Ausſteuer eines Reiſenden,
Empfehlungsbriefe, in Europa verſchmäht. Im ſtolzen Inſtinkt der
Originalität hatte er ſie verſchmäht und in der allerdings richtigen
Annahme, ſie möchten in Newyork eben ſo nutzlos ſein als z. B. in
Paris unentbehrlich, denn gewiſſe Völker ſeien im Salon, andere aber
auf der Straße zu ſuchen. Nur der Umſtand, daß ſeine Ankunft ohnedies
in die ſogenannte todte Saiſon fiel, konnte über jenes Verſäumniß
ihn wieder beruhigen.
Was alſo von idealeren Formen des hieſigen Volkslebens im In¬
nern der Häuſer — und zwar ſeltener Häuſer — glänzen mochte,
blieb unſerm Freunde zunächſt aus dem Sinne gerückt. Um ſo weniger
verſäumte er den Beſuch der öffentlichen Kunſtanſtalten. Zwar legt
der Amerikamer ſelbſt den geringeren Accent auf dieſe Seite ſeiner
Nationalgröße, indem er, wenn nicht von mangelnder Kunſtbegabung,
doch von „Anfängen“ redet, oder auch den „Einfluß Europa's“ gro߬
müthig anerkennt. Er täuſcht den Europöer nicht, überraſcht ihn aber
doch zugleich mit Zügen von Originalität, welche er ſelbſt nicht ge¬
ahnt hat, und welche dieſem den Beweis liefern, daß das Fremde nie
ein Vorausgeſehenes iſt.
So beſuchte Moorfeld ein Ding, das ſich Newyorker Bilder-Galerie
nannte. Er that es mit aller Beſcheidenheit ſeiner eigenen Meinung
und der der Einheimiſchen dazu. Der Galerie-Director z. B. war frei¬
ſinnig genug, ihm geradezu zu ſagen, er würde von Kunſtwerken erſten
Ranges nur Copien hier finden. Die Originale der beſten Italiener,
die Danaen, die Leden, die Ganymede u. ſ. w. müſſe man ein- für
allemale den verdammten Königen Europa's überlaſſen, ſie erhöhten
mit den Werken des Genies den Glanz ihrer Kronen, und veräußer¬
ten ein claſſiſches Gemälde ſo wenig als einen Theil ihrer Souverai¬
netät. Nach dieſem Fingerzeig erwartete alſo Moorfeld Copien. Rüh¬
ren ſie von europäiſchen Künſtlern her, ſo erwartet er gute Copien,
von amerikaniſchen, ſo macht er ſich auf ein wenig Verzeichnung, Steif¬
heit, Mangel an Vortrag u. dgl. gefaßt. Jedenfalls glaubt er vor¬
bereitet zu ſein. Aber wie geſchieht ihm, als er nun vor Figuren ge¬
führt wird, welche der Director, ſein artiger Führer, ein Danae, eine
Leda, einen Ganymed nennt, und von welchen er nichts zu ſehen be¬
kommt, als Köpfe, Finger und Fußſpitzen? Die griechiſchen Schönheiten
D. B. VII. Der Amerika-Müde. 6
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/99>, abgerufen am 24.11.2024.
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