päischen Kochkunst, und solch ein Verhältniß angeknüpft, dürfen wir billig zweifeln, ob Chiron ein zärtlicheres Interesse hatte, daß Achill seinen Pfeil richtig ansetzte, oder Moorfeld, daß Jack's geneigtes Ge¬ müth die Theorie der Gollaschbereitung aufnahm. Drittens hatte Jack einen Charakterzug von satyrischer Laune in sich, der unsern Freund zugleich ergötzte und auch ernsthafter anregte. Der Neger liebte es nämlich, auf eine eigenthümliche Art mit seinem Identitäts-Bewußtsein von Ich und Nicht-Ich zu spielen: er setzte sich sein schwarzes Ich als Object, und schimpfte im Charakter eines weißen Subjects drauf los. Durch Haus und Flur konnte man ihn beständig mit, d. h. gegen sich hinbrummen hören: Achtung, schwarzer Esel! merk auf, verdammtes Niggervieh! Kopf oben, rußige Bestie! Platz da, Kohlensack, und was ähnlicher Artigkeiten mehr waren. Hatte er Moorfelden ein kleines Versehen zu bekennen, z. B.: Warst du auf der Post, Jack? so hieß die Antwort: Verzeihung, Sar, das Rabenhirn hat's vergessen. -- Bist du nach meinen Kleidern gegangen? Ach Gott, Sar, der Kerl hat nicht mehr Gedächtniß, als eine Flasche voll Stiefelwichs. Moorfeld lachte Anfangs über diese Sorte von Humor, aber eines Tages fiel es ihm plötzlich auf, was für ein Sinn darin lag. War's nicht der näm¬ liche Sinn, in welchem er selbst Herrn Staunton gegenüber sich der Ironie bediente? That das der Neger nicht auch, indem er die weiße Race verspottete durch die Selbstverspottung seiner schwarzen? Welch gleichartiger Instinct waltete hier? Ist die Ironie die Muttersprache unterdrückter Nationalitäten? Und wie ward unserem Freund, als er an Europa zurückdachte und bemerken mußte, daß eben jetzt die Ironie die herrschende Form der europäischen Literatur, aber auch ein Welt¬ schmerz, Polenschmerz, Judenschmerz der herrschende Inhalt war? War er den Uebeln, die man für Uebel nur der alten Welt hielt, nicht entronnen, und fand er in der neuen Welt etwa einen Deutschen- und Negerschmerz? Verhängnißvolle Fragen.
Von solchen Betrachtungen zerstreuten ihn nur wenig die Sprünge eines Kaninchens, das im Hause aus- und eintänzelte und sich den Genossen desselben gewissermaßen anreihte. Dieses Kaninchen war ein Geistlicher, Reverend Joe Brown. Der Mann war ein ziemlich verlebter Vier¬ ziger, trug auch die wirklich alternden Züge eines solchen, aber man konnte nichts Leichters und Luftigers sehen, als wie er in Garderobe,
päiſchen Kochkunſt, und ſolch ein Verhältniß angeknüpft, dürfen wir billig zweifeln, ob Chiron ein zärtlicheres Intereſſe hatte, daß Achill ſeinen Pfeil richtig anſetzte, oder Moorfeld, daß Jack's geneigtes Ge¬ müth die Theorie der Gollaſchbereitung aufnahm. Drittens hatte Jack einen Charakterzug von ſatyriſcher Laune in ſich, der unſern Freund zugleich ergötzte und auch ernſthafter anregte. Der Neger liebte es nämlich, auf eine eigenthümliche Art mit ſeinem Identitäts-Bewußtſein von Ich und Nicht-Ich zu ſpielen: er ſetzte ſich ſein ſchwarzes Ich als Object, und ſchimpfte im Charakter eines weißen Subjects drauf los. Durch Haus und Flur konnte man ihn beſtändig mit, d. h. gegen ſich hinbrummen hören: Achtung, ſchwarzer Eſel! merk auf, verdammtes Niggervieh! Kopf oben, rußige Beſtie! Platz da, Kohlenſack, und was ähnlicher Artigkeiten mehr waren. Hatte er Moorfelden ein kleines Verſehen zu bekennen, z. B.: Warſt du auf der Poſt, Jack? ſo hieß die Antwort: Verzeihung, Sar, das Rabenhirn hat's vergeſſen. — Biſt du nach meinen Kleidern gegangen? Ach Gott, Sar, der Kerl hat nicht mehr Gedächtniß, als eine Flaſche voll Stiefelwichs. Moorfeld lachte Anfangs über dieſe Sorte von Humor, aber eines Tages fiel es ihm plötzlich auf, was für ein Sinn darin lag. War's nicht der näm¬ liche Sinn, in welchem er ſelbſt Herrn Staunton gegenüber ſich der Ironie bediente? That das der Neger nicht auch, indem er die weiße Race verſpottete durch die Selbſtverſpottung ſeiner ſchwarzen? Welch gleichartiger Inſtinct waltete hier? Iſt die Ironie die Mutterſprache unterdrückter Nationalitäten? Und wie ward unſerem Freund, als er an Europa zurückdachte und bemerken mußte, daß eben jetzt die Ironie die herrſchende Form der europäiſchen Literatur, aber auch ein Welt¬ ſchmerz, Polenſchmerz, Judenſchmerz der herrſchende Inhalt war? War er den Uebeln, die man für Uebel nur der alten Welt hielt, nicht entronnen, und fand er in der neuen Welt etwa einen Deutſchen- und Negerſchmerz? Verhängnißvolle Fragen.
Von ſolchen Betrachtungen zerſtreuten ihn nur wenig die Sprünge eines Kaninchens, das im Hauſe aus- und eintänzelte und ſich den Genoſſen deſſelben gewiſſermaßen anreihte. Dieſes Kaninchen war ein Geiſtlicher, Reverend Joe Brown. Der Mann war ein ziemlich verlebter Vier¬ ziger, trug auch die wirklich alternden Züge eines ſolchen, aber man konnte nichts Leichters und Luftigers ſehen, als wie er in Garderobe,
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päiſchen Kochkunſt, und ſolch ein Verhältniß angeknüpft, dürfen wir
billig zweifeln, ob Chiron ein zärtlicheres Intereſſe hatte, daß Achill
ſeinen Pfeil richtig anſetzte, oder Moorfeld, daß Jack's geneigtes Ge¬
müth die Theorie der Gollaſchbereitung aufnahm. Drittens hatte Jack
einen Charakterzug von ſatyriſcher Laune in ſich, der unſern Freund
zugleich ergötzte und auch ernſthafter anregte. Der Neger liebte es
nämlich, auf eine eigenthümliche Art mit ſeinem Identitäts-Bewußtſein
von Ich und Nicht-Ich zu ſpielen: er ſetzte ſich ſein ſchwarzes Ich als
Object, und ſchimpfte im Charakter eines weißen Subjects drauf los.
Durch Haus und Flur konnte man ihn beſtändig mit, d. h. gegen
ſich hinbrummen hören: Achtung, ſchwarzer Eſel! merk auf, verdammtes
Niggervieh! Kopf oben, rußige Beſtie! Platz da, Kohlenſack, und was
ähnlicher Artigkeiten mehr waren. Hatte er Moorfelden ein kleines
Verſehen zu bekennen, z. B.: Warſt du auf der Poſt, Jack? ſo hieß
die Antwort: Verzeihung, Sar, das Rabenhirn hat's vergeſſen. —
Biſt du nach meinen Kleidern gegangen? Ach Gott, Sar, der Kerl
hat nicht mehr Gedächtniß, als eine Flaſche voll Stiefelwichs. Moorfeld
lachte Anfangs über dieſe Sorte von Humor, aber eines Tages fiel es
ihm plötzlich auf, was für ein Sinn darin lag. War's nicht der näm¬
liche Sinn, in welchem er ſelbſt Herrn Staunton gegenüber ſich der
Ironie bediente? That das der Neger nicht auch, indem er die weiße
Race verſpottete durch die Selbſtverſpottung ſeiner ſchwarzen? Welch
gleichartiger Inſtinct waltete hier? Iſt die Ironie die Mutterſprache
unterdrückter Nationalitäten? Und wie ward unſerem Freund, als er
an Europa zurückdachte und bemerken mußte, daß eben jetzt die Ironie
die herrſchende Form der europäiſchen Literatur, aber auch ein Welt¬
ſchmerz, Polenſchmerz, Judenſchmerz der herrſchende Inhalt war? War
er den Uebeln, die man für Uebel nur der alten Welt hielt, nicht
entronnen, und fand er in der neuen Welt etwa einen Deutſchen-
und Negerſchmerz? Verhängnißvolle Fragen.
Von ſolchen Betrachtungen zerſtreuten ihn nur wenig die Sprünge eines
Kaninchens, das im Hauſe aus- und eintänzelte und ſich den Genoſſen
deſſelben gewiſſermaßen anreihte. Dieſes Kaninchen war ein Geiſtlicher,
Reverend Joe Brown. Der Mann war ein ziemlich verlebter Vier¬
ziger, trug auch die wirklich alternden Züge eines ſolchen, aber man
konnte nichts Leichters und Luftigers ſehen, als wie er in Garderobe,
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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