lichen Schönheit. Das war viel für Moorfeld's Denkart, der von einer befriedigten Natur gerne auf eine harmonische Sittlichkeit schloß und im schlimmsten Falle nur Ein Laster kannte, die Feigheit. Feig¬ heit aber ist ausgeschlossen, wo es kein Bewußtsein von Mangel gibt, sondern nur Besitz und Erfüllung. In der That trug Hariet ihr Köpfchen so stolz wie alle Amerikanerinnen, aber wie ganz anders kleidete sie dieser Stolz als ihre Gebieterin Sarah, deren kleinliche Kälte stets den Verdacht erweckte, sie sei ihres lüsternen Gegensatzes wegen da! An Hariet war alles Kraft und Sicherheit. Sie war Kaiserin eines brillanten Augenpaars, Königin einer kühn geschwunge¬ nen Oberlippe; wenn sie die plastische Macht ihrer Sinnlichkeit brauchte, so konnte sie durchgreifend herrschen; aber darum glaubte man an ihren Stolz, weil er nichts that, sich glauben zu machen. Schon die Art, wie sie die Fülle ihres prachtvollen Rabenhaares trug, unter¬ schied sie charakteristisch von Sarah. Wenn die Locke, dieses flüssige, wandelbare Element, das Organ übermüthigen Nackenschüttelns und kriechenden Zulächelns, matt und rathlos um Sarah's erbleichenden Frühling schwankte, so saßen Hariet's Zöpfe, mit Trotz a la couronne geschlungen, in ihren Nadeln, ein Bild in sich versammelter Charakter¬ festigkeit. Daß dieses Mädchen nicht Dienerin blieb, begriff Moorfeld allerdings, daß sie aber die Wahl ergriff, ihre Versorgung lieber im Schulstaub zu suchen, als in einem weiblicheren Verhältnisse, wofür sie doch eine wahre Perle von Beruf war, das begriff er keineswegs. Es schien ihm dieser Widerspruch ein weit tieferes und rathenswer¬ theres Geheimniß um Hariet zu legen, als Sarah je sich anzustempeln so eitel sein konnte. Leider mußte er verzichten, sie näher kennen zu lernen: ein gewechseltes Wort mit ihr erregte so viel Aufsehen, sie selbst bezeigte ihm eine so unverstellte Verschlossenheit, daß er dort aus Rücksicht und hier aus Achtung den Versuch einer Annäherung aufgab.
Seine Bedienung lag in Jack's des Negers Händen. Diese Person hätte ihm freilich nichts mehr als eine Maschine sein dürfen, wenn er ame¬ rikanisch correct dachte. Aber so dachte er nicht. Zwischen ihm und dem Wollkopf spann sich manch zarter Faden. Erstens liebte Jack sein Violinspiel. Zweitens war Jack der Koch des Hauses. Moorfeld, um nur physisch zu existiren, gab ihm für seine Person einen kleinen Lehrcurs in der euro¬
lichen Schönheit. Das war viel für Moorfeld's Denkart, der von einer befriedigten Natur gerne auf eine harmoniſche Sittlichkeit ſchloß und im ſchlimmſten Falle nur Ein Laſter kannte, die Feigheit. Feig¬ heit aber iſt ausgeſchloſſen, wo es kein Bewußtſein von Mangel gibt, ſondern nur Beſitz und Erfüllung. In der That trug Hariet ihr Köpfchen ſo ſtolz wie alle Amerikanerinnen, aber wie ganz anders kleidete ſie dieſer Stolz als ihre Gebieterin Sarah, deren kleinliche Kälte ſtets den Verdacht erweckte, ſie ſei ihres lüſternen Gegenſatzes wegen da! An Hariet war alles Kraft und Sicherheit. Sie war Kaiſerin eines brillanten Augenpaars, Königin einer kühn geſchwunge¬ nen Oberlippe; wenn ſie die plaſtiſche Macht ihrer Sinnlichkeit brauchte, ſo konnte ſie durchgreifend herrſchen; aber darum glaubte man an ihren Stolz, weil er nichts that, ſich glauben zu machen. Schon die Art, wie ſie die Fülle ihres prachtvollen Rabenhaares trug, unter¬ ſchied ſie charakteriſtiſch von Sarah. Wenn die Locke, dieſes flüſſige, wandelbare Element, das Organ übermüthigen Nackenſchüttelns und kriechenden Zulächelns, matt und rathlos um Sarah's erbleichenden Frühling ſchwankte, ſo ſaßen Hariet's Zöpfe, mit Trotz à la couronne geſchlungen, in ihren Nadeln, ein Bild in ſich verſammelter Charakter¬ feſtigkeit. Daß dieſes Mädchen nicht Dienerin blieb, begriff Moorfeld allerdings, daß ſie aber die Wahl ergriff, ihre Verſorgung lieber im Schulſtaub zu ſuchen, als in einem weiblicheren Verhältniſſe, wofür ſie doch eine wahre Perle von Beruf war, das begriff er keineswegs. Es ſchien ihm dieſer Widerſpruch ein weit tieferes und rathenswer¬ theres Geheimniß um Hariet zu legen, als Sarah je ſich anzuſtempeln ſo eitel ſein konnte. Leider mußte er verzichten, ſie näher kennen zu lernen: ein gewechſeltes Wort mit ihr erregte ſo viel Aufſehen, ſie ſelbſt bezeigte ihm eine ſo unverſtellte Verſchloſſenheit, daß er dort aus Rückſicht und hier aus Achtung den Verſuch einer Annäherung aufgab.
Seine Bedienung lag in Jack's des Negers Händen. Dieſe Perſon hätte ihm freilich nichts mehr als eine Maſchine ſein dürfen, wenn er ame¬ rikaniſch correct dachte. Aber ſo dachte er nicht. Zwiſchen ihm und dem Wollkopf ſpann ſich manch zarter Faden. Erſtens liebte Jack ſein Violinſpiel. Zweitens war Jack der Koch des Hauſes. Moorfeld, um nur phyſiſch zu exiſtiren, gab ihm für ſeine Perſon einen kleinen Lehrcurs in der euro¬
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lichen Schönheit. Das war viel für Moorfeld's Denkart, der von
einer befriedigten Natur gerne auf eine harmoniſche Sittlichkeit ſchloß
und im ſchlimmſten Falle nur Ein Laſter kannte, die Feigheit. Feig¬
heit aber iſt ausgeſchloſſen, wo es kein Bewußtſein von Mangel
gibt, ſondern nur Beſitz und Erfüllung. In der That trug Hariet
ihr Köpfchen ſo ſtolz wie alle Amerikanerinnen, aber wie ganz anders
kleidete ſie dieſer Stolz als ihre Gebieterin Sarah, deren kleinliche
Kälte ſtets den Verdacht erweckte, ſie ſei ihres lüſternen Gegenſatzes
wegen da! An Hariet war alles Kraft und Sicherheit. Sie war
Kaiſerin eines brillanten Augenpaars, Königin einer kühn geſchwunge¬
nen Oberlippe; wenn ſie die plaſtiſche Macht ihrer Sinnlichkeit brauchte,
ſo konnte ſie durchgreifend herrſchen; aber darum glaubte man an
ihren Stolz, weil er nichts that, ſich glauben zu machen. Schon die
Art, wie ſie die Fülle ihres prachtvollen Rabenhaares trug, unter¬
ſchied ſie charakteriſtiſch von Sarah. Wenn die Locke, dieſes flüſſige,
wandelbare Element, das Organ übermüthigen Nackenſchüttelns und
kriechenden Zulächelns, matt und rathlos um Sarah's erbleichenden
Frühling ſchwankte, ſo ſaßen Hariet's Zöpfe, mit Trotz à la couronne
geſchlungen, in ihren Nadeln, ein Bild in ſich verſammelter Charakter¬
feſtigkeit. Daß dieſes Mädchen nicht Dienerin blieb, begriff Moorfeld
allerdings, daß ſie aber die Wahl ergriff, ihre Verſorgung lieber im
Schulſtaub zu ſuchen, als in einem weiblicheren Verhältniſſe, wofür
ſie doch eine wahre Perle von Beruf war, das begriff er keineswegs.
Es ſchien ihm dieſer Widerſpruch ein weit tieferes und rathenswer¬
theres Geheimniß um Hariet zu legen, als Sarah je ſich anzuſtempeln
ſo eitel ſein konnte. Leider mußte er verzichten, ſie näher kennen zu
lernen: ein gewechſeltes Wort mit ihr erregte ſo viel Aufſehen, ſie
ſelbſt bezeigte ihm eine ſo unverſtellte Verſchloſſenheit, daß er dort
aus Rückſicht und hier aus Achtung den Verſuch einer Annäherung
aufgab.
Seine Bedienung lag in Jack's des Negers Händen. Dieſe Perſon
hätte ihm freilich nichts mehr als eine Maſchine ſein dürfen, wenn er ame¬
rikaniſch correct dachte. Aber ſo dachte er nicht. Zwiſchen ihm und dem
Wollkopf ſpann ſich manch zarter Faden. Erſtens liebte Jack ſein Violinſpiel.
Zweitens war Jack der Koch des Hauſes. Moorfeld, um nur phyſiſch zu
exiſtiren, gab ihm für ſeine Perſon einen kleinen Lehrcurs in der euro¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/91>, abgerufen am 24.11.2024.
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