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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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anzublasen, und da er fortfuhr, mich durch den absurdesten Widerspruch
aufs Aeußerste zu treiben, so rief ich zuletzt: Mein Herr, wenn ich
Ihnen sage, daß ich selbst der Dichter dieser Verse bin, daß Mozart
selbst seine Musik dazu für die glücklichste Inspiration der Liebe erklärt
hat, so habe ich vielleicht einige Auctorität für mich. In diesem Augen¬
blick aber schritt der Hausherr auf mich zu, ein gelblederner Herr in
schwarzem Frack, an dem nichts Lebendiges war, als die rothe Nelke,
die er im Knopfloch trug, der näselte mich an: Mein Herr, es küm¬
mert uns blutwenig, womit Sie und Ihr Mozart sich in Europa Ihr
Brod verdient. Daraus fließt kein Gesetz für uns in Amerika, die
Kunst andres zu treiben, als es uns beliebt. -- "Sie und Ihr Mo¬
zart ihr Brod verdient!" -- Hören Sie es, Signor? Von diesem
Worte war mein Nerv für immer durchschnitten. Ich trug noch ein an¬
sehnliches Fascikel Empfehlungsbriefe bei mir, aber ich fühlte keinen
Halt mehr daran. Denn was in einem fremden Lande Muth und
Vertrauen, sich geltend zu machen, gibt, das sind nicht einzelne Fäden,
es ist der öffentliche Geist des Ganzen. Mich schauerte die scharfe Luft
dieses Landes. Ich gab es auf in Amerika als Künstler einen Beruf
zu suchen.

Und freilich, in jedem andern Beruf mußten Sie unglücklich sein! sagte
Moorfeld mit dem überzeugtesten Blick auf den fein organisirten Italiener.

Ich wurde Kaufmann, antwortete da Ponte. Die Musen drehten
Pfefferdüten und maßen Schnittwaaren ab. Ich kann nicht sagen, daß
sie es ungeschickt thaten. Ich prosperirte im Kleinen, und versuchte
mich bald in größeren Unternehmungen. Auch da ging Alles herrlich
und im schönsten Flor, so lang ich -- Credit gab. Dann aber stürm¬
ten Banquerotte auf mich ein -- ah, lassen Sie mich schweigen, Signor.
Amerikanische Banquerotte sind ein eigenes Genre. Ich werde meine
Memorabilien schreiben. Genug, ich kam an den Bettelstab und meine
Debitoren bauten sich Häuser. Von Einem derselben, Herrn Staun¬
ton, erreicht' ich's mit Mühe, daß er mich von der Straße unter sein
Dach aufnahm, und die Sache müßte eigentlich umgekehrt stehen. Ich
habe eine liquide Forderung von fünftausend Dollars an ihn. Freilich
nicht an ihn, sondern an eine seiner gewesenen Firmen, und kein Kauf¬
mann und kein Advocat der Welt weiß geschickter seine Firma von
seiner Person zu trennen, als ein Amerikaner. Ja, ja, mein Herr,

anzublaſen, und da er fortfuhr, mich durch den abſurdeſten Widerſpruch
aufs Aeußerſte zu treiben, ſo rief ich zuletzt: Mein Herr, wenn ich
Ihnen ſage, daß ich ſelbſt der Dichter dieſer Verſe bin, daß Mozart
ſelbſt ſeine Muſik dazu für die glücklichſte Inſpiration der Liebe erklärt
hat, ſo habe ich vielleicht einige Auctorität für mich. In dieſem Augen¬
blick aber ſchritt der Hausherr auf mich zu, ein gelblederner Herr in
ſchwarzem Frack, an dem nichts Lebendiges war, als die rothe Nelke,
die er im Knopfloch trug, der näſelte mich an: Mein Herr, es küm¬
mert uns blutwenig, womit Sie und Ihr Mozart ſich in Europa Ihr
Brod verdient. Daraus fließt kein Geſetz für uns in Amerika, die
Kunſt andres zu treiben, als es uns beliebt. — „Sie und Ihr Mo¬
zart ihr Brod verdient!“ — Hören Sie es, Signor? Von dieſem
Worte war mein Nerv für immer durchſchnitten. Ich trug noch ein an¬
ſehnliches Fascikel Empfehlungsbriefe bei mir, aber ich fühlte keinen
Halt mehr daran. Denn was in einem fremden Lande Muth und
Vertrauen, ſich geltend zu machen, gibt, das ſind nicht einzelne Fäden,
es iſt der öffentliche Geiſt des Ganzen. Mich ſchauerte die ſcharfe Luft
dieſes Landes. Ich gab es auf in Amerika als Künſtler einen Beruf
zu ſuchen.

Und freilich, in jedem andern Beruf mußten Sie unglücklich ſein! ſagte
Moorfeld mit dem überzeugteſten Blick auf den fein organiſirten Italiener.

Ich wurde Kaufmann, antwortete da Ponte. Die Muſen drehten
Pfefferdüten und maßen Schnittwaaren ab. Ich kann nicht ſagen, daß
ſie es ungeſchickt thaten. Ich prosperirte im Kleinen, und verſuchte
mich bald in größeren Unternehmungen. Auch da ging Alles herrlich
und im ſchönſten Flor, ſo lang ich — Credit gab. Dann aber ſtürm¬
ten Banquerotte auf mich ein — ah, laſſen Sie mich ſchweigen, Signor.
Amerikaniſche Banquerotte ſind ein eigenes Genre. Ich werde meine
Memorabilien ſchreiben. Genug, ich kam an den Bettelſtab und meine
Debitoren bauten ſich Häuſer. Von Einem derſelben, Herrn Staun¬
ton, erreicht' ich's mit Mühe, daß er mich von der Straße unter ſein
Dach aufnahm, und die Sache müßte eigentlich umgekehrt ſtehen. Ich
habe eine liquide Forderung von fünftauſend Dollars an ihn. Freilich
nicht an ihn, ſondern an eine ſeiner geweſenen Firmen, und kein Kauf¬
mann und kein Advocat der Welt weiß geſchickter ſeine Firma von
ſeiner Perſon zu trennen, als ein Amerikaner. Ja, ja, mein Herr,

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[476/0494] anzublaſen, und da er fortfuhr, mich durch den abſurdeſten Widerſpruch aufs Aeußerſte zu treiben, ſo rief ich zuletzt: Mein Herr, wenn ich Ihnen ſage, daß ich ſelbſt der Dichter dieſer Verſe bin, daß Mozart ſelbſt ſeine Muſik dazu für die glücklichſte Inſpiration der Liebe erklärt hat, ſo habe ich vielleicht einige Auctorität für mich. In dieſem Augen¬ blick aber ſchritt der Hausherr auf mich zu, ein gelblederner Herr in ſchwarzem Frack, an dem nichts Lebendiges war, als die rothe Nelke, die er im Knopfloch trug, der näſelte mich an: Mein Herr, es küm¬ mert uns blutwenig, womit Sie und Ihr Mozart ſich in Europa Ihr Brod verdient. Daraus fließt kein Geſetz für uns in Amerika, die Kunſt andres zu treiben, als es uns beliebt. — „Sie und Ihr Mo¬ zart ihr Brod verdient!“ — Hören Sie es, Signor? Von dieſem Worte war mein Nerv für immer durchſchnitten. Ich trug noch ein an¬ ſehnliches Fascikel Empfehlungsbriefe bei mir, aber ich fühlte keinen Halt mehr daran. Denn was in einem fremden Lande Muth und Vertrauen, ſich geltend zu machen, gibt, das ſind nicht einzelne Fäden, es iſt der öffentliche Geiſt des Ganzen. Mich ſchauerte die ſcharfe Luft dieſes Landes. Ich gab es auf in Amerika als Künſtler einen Beruf zu ſuchen. Und freilich, in jedem andern Beruf mußten Sie unglücklich ſein! ſagte Moorfeld mit dem überzeugteſten Blick auf den fein organiſirten Italiener. Ich wurde Kaufmann, antwortete da Ponte. Die Muſen drehten Pfefferdüten und maßen Schnittwaaren ab. Ich kann nicht ſagen, daß ſie es ungeſchickt thaten. Ich prosperirte im Kleinen, und verſuchte mich bald in größeren Unternehmungen. Auch da ging Alles herrlich und im ſchönſten Flor, ſo lang ich — Credit gab. Dann aber ſtürm¬ ten Banquerotte auf mich ein — ah, laſſen Sie mich ſchweigen, Signor. Amerikaniſche Banquerotte ſind ein eigenes Genre. Ich werde meine Memorabilien ſchreiben. Genug, ich kam an den Bettelſtab und meine Debitoren bauten ſich Häuſer. Von Einem derſelben, Herrn Staun¬ ton, erreicht' ich's mit Mühe, daß er mich von der Straße unter ſein Dach aufnahm, und die Sache müßte eigentlich umgekehrt ſtehen. Ich habe eine liquide Forderung von fünftauſend Dollars an ihn. Freilich nicht an ihn, ſondern an eine ſeiner geweſenen Firmen, und kein Kauf¬ mann und kein Advocat der Welt weiß geſchickter ſeine Firma von ſeiner Perſon zu trennen, als ein Amerikaner. Ja, ja, mein Herr,

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/494>, abgerufen am 20.05.2024.