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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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seines Landes behaupten will u. s. w. -- Moorfeld bedurfte nicht vieler Ge¬
duld, die langathmige Pomp-Phrase zu Ende zu hören. Es war ihm
ein Genuß höherer Schauerlichkeit, den alten kosmetisch zusammenge¬
haltenen Mann über die Blumen der Menschheit peroriren zu lassen.

Inzwischen hatte er angefangen mit mehr Bedacht sein erstes ame¬
rikanisches dejeuner zu würdigen. Als ein Fremder, der in dem
Neuen zugleich das Charakteristische zu belauschen die Neigung hat,
blieb die culinarische Physiognomie der neuen Welt nicht der letzte
Gegenstand seines Interesses. Die Stimmung, womit der Gentleman
seinen Beobachtungen auf diesem Gebiete nachgeht, hatte bisher etwas ver¬
schämt Humoristisches, an den Liberalismus der mittelalterlichen Hofnarren
und Kirchenkomödien Erinnerndes; wenn die fortschreitende Naturwissen¬
schaft das Geheimniß vom Stoffwechsel in den feinsten materialistischen Aus¬
spitzungen ergriffen haben wird, so wird sich unser versteckter Ernst für
diese Angelegenheit vielleicht offener an's Tageslicht wagen, ungefähr
wie heute schon das Theekochen z. B. ein Obligat-Studium an den
japanischen Universitäten ist.

Damals ragte aber die Küche noch wenig in die Chemie und durch
diese in die Philosophie herein, unser Held wagte also erst, sich seiner
Neugierde für Amerika's Tisch zu überlassen, als er die Tischgäste
selbst, der Reihe nach ziemlich ungenießbar erprobt hatte.

Zuerst fiel ihm schon die amerikanische Sitte des Servirens auf.
Die Tafeldeckung war hier kein europäisches Hintereinander, sondern ein
Nebeneinander. Sämmtliche Gerichte standen gleichzeitig auf dem Tische.
Erkannte der Fremde das Handelsvolk darin, das die Zeit spart?
Oder die gleichmachende Republik, die keine Rangordnung duldet?
In beiden Fällen hatte der Anblick eines solchen Eßtisches etwas
Fremdartiges, ja wahrhaft Ueberwältigendes, Brüskes. Die Phan¬
tasie sah all ihre Perspectiven abgeschnitten, sie wurde genöthigt, das
ganze Gebiet ihrer Genüsse auf Einen Blick zu umfassen, statt daß
die Gänge und Pausen einer europäischen Tafel, wie die Kapitel eines
Romans, wie die Aufzüge eines Drama's von Spannung zu Span¬
nung fortschreiten, und dem Gaste zwischen Hoffnung, Illusion, Ueber¬
raschung, ja selbst Furcht und Reue das interessante Spiel seiner
menschlichen Leidenschaften gestatten. Dagegen durfte der unparteiische
Denker die praktische Seite dieses Gebrauches auch nicht übersehen.

ſeines Landes behaupten will u. ſ. w. — Moorfeld bedurfte nicht vieler Ge¬
duld, die langathmige Pomp-Phraſe zu Ende zu hören. Es war ihm
ein Genuß höherer Schauerlichkeit, den alten kosmetiſch zuſammenge¬
haltenen Mann über die Blumen der Menſchheit peroriren zu laſſen.

Inzwiſchen hatte er angefangen mit mehr Bedacht ſein erſtes ame¬
rikaniſches dejeuner zu würdigen. Als ein Fremder, der in dem
Neuen zugleich das Charakteriſtiſche zu belauſchen die Neigung hat,
blieb die culinariſche Phyſiognomie der neuen Welt nicht der letzte
Gegenſtand ſeines Intereſſes. Die Stimmung, womit der Gentleman
ſeinen Beobachtungen auf dieſem Gebiete nachgeht, hatte bisher etwas ver¬
ſchämt Humoriſtiſches, an den Liberalismus der mittelalterlichen Hofnarren
und Kirchenkomödien Erinnerndes; wenn die fortſchreitende Naturwiſſen¬
ſchaft das Geheimniß vom Stoffwechſel in den feinſten materialiſtiſchen Aus¬
ſpitzungen ergriffen haben wird, ſo wird ſich unſer verſteckter Ernſt für
dieſe Angelegenheit vielleicht offener an's Tageslicht wagen, ungefähr
wie heute ſchon das Theekochen z. B. ein Obligat-Studium an den
japaniſchen Univerſitäten iſt.

Damals ragte aber die Küche noch wenig in die Chemie und durch
dieſe in die Philoſophie herein, unſer Held wagte alſo erſt, ſich ſeiner
Neugierde für Amerika's Tiſch zu überlaſſen, als er die Tiſchgäſte
ſelbſt, der Reihe nach ziemlich ungenießbar erprobt hatte.

Zuerſt fiel ihm ſchon die amerikaniſche Sitte des Servirens auf.
Die Tafeldeckung war hier kein europäiſches Hintereinander, ſondern ein
Nebeneinander. Sämmtliche Gerichte ſtanden gleichzeitig auf dem Tiſche.
Erkannte der Fremde das Handelsvolk darin, das die Zeit ſpart?
Oder die gleichmachende Republik, die keine Rangordnung duldet?
In beiden Fällen hatte der Anblick eines ſolchen Eßtiſches etwas
Fremdartiges, ja wahrhaft Ueberwältigendes, Brüskes. Die Phan¬
taſie ſah all ihre Perſpectiven abgeſchnitten, ſie wurde genöthigt, das
ganze Gebiet ihrer Genüſſe auf Einen Blick zu umfaſſen, ſtatt daß
die Gänge und Pauſen einer europäiſchen Tafel, wie die Kapitel eines
Romans, wie die Aufzüge eines Drama's von Spannung zu Span¬
nung fortſchreiten, und dem Gaſte zwiſchen Hoffnung, Illuſion, Ueber¬
raſchung, ja ſelbſt Furcht und Reue das intereſſante Spiel ſeiner
menſchlichen Leidenſchaften geſtatten. Dagegen durfte der unparteiiſche
Denker die praktiſche Seite dieſes Gebrauches auch nicht überſehen.

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[31/0049] ſeines Landes behaupten will u. ſ. w. — Moorfeld bedurfte nicht vieler Ge¬ duld, die langathmige Pomp-Phraſe zu Ende zu hören. Es war ihm ein Genuß höherer Schauerlichkeit, den alten kosmetiſch zuſammenge¬ haltenen Mann über die Blumen der Menſchheit peroriren zu laſſen. Inzwiſchen hatte er angefangen mit mehr Bedacht ſein erſtes ame¬ rikaniſches dejeuner zu würdigen. Als ein Fremder, der in dem Neuen zugleich das Charakteriſtiſche zu belauſchen die Neigung hat, blieb die culinariſche Phyſiognomie der neuen Welt nicht der letzte Gegenſtand ſeines Intereſſes. Die Stimmung, womit der Gentleman ſeinen Beobachtungen auf dieſem Gebiete nachgeht, hatte bisher etwas ver¬ ſchämt Humoriſtiſches, an den Liberalismus der mittelalterlichen Hofnarren und Kirchenkomödien Erinnerndes; wenn die fortſchreitende Naturwiſſen¬ ſchaft das Geheimniß vom Stoffwechſel in den feinſten materialiſtiſchen Aus¬ ſpitzungen ergriffen haben wird, ſo wird ſich unſer verſteckter Ernſt für dieſe Angelegenheit vielleicht offener an's Tageslicht wagen, ungefähr wie heute ſchon das Theekochen z. B. ein Obligat-Studium an den japaniſchen Univerſitäten iſt. Damals ragte aber die Küche noch wenig in die Chemie und durch dieſe in die Philoſophie herein, unſer Held wagte alſo erſt, ſich ſeiner Neugierde für Amerika's Tiſch zu überlaſſen, als er die Tiſchgäſte ſelbſt, der Reihe nach ziemlich ungenießbar erprobt hatte. Zuerſt fiel ihm ſchon die amerikaniſche Sitte des Servirens auf. Die Tafeldeckung war hier kein europäiſches Hintereinander, ſondern ein Nebeneinander. Sämmtliche Gerichte ſtanden gleichzeitig auf dem Tiſche. Erkannte der Fremde das Handelsvolk darin, das die Zeit ſpart? Oder die gleichmachende Republik, die keine Rangordnung duldet? In beiden Fällen hatte der Anblick eines ſolchen Eßtiſches etwas Fremdartiges, ja wahrhaft Ueberwältigendes, Brüskes. Die Phan¬ taſie ſah all ihre Perſpectiven abgeſchnitten, ſie wurde genöthigt, das ganze Gebiet ihrer Genüſſe auf Einen Blick zu umfaſſen, ſtatt daß die Gänge und Pauſen einer europäiſchen Tafel, wie die Kapitel eines Romans, wie die Aufzüge eines Drama's von Spannung zu Span¬ nung fortſchreiten, und dem Gaſte zwiſchen Hoffnung, Illuſion, Ueber¬ raſchung, ja ſelbſt Furcht und Reue das intereſſante Spiel ſeiner menſchlichen Leidenſchaften geſtatten. Dagegen durfte der unparteiiſche Denker die praktiſche Seite dieſes Gebrauches auch nicht überſehen.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/49>, abgerufen am 24.11.2024.