von außen hinein. Wir fanden unsre Bürgschaft in Ihnen. Wie hätten wir schwache Frauen nicht gläubig sein sollen, wo ein Mann den Mann so rasch überzeugte? Ja, er war zum Vertrauen geschaffen; er war ein Charakter. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Theodor war brav -- bis zur Stunde, von der wir Alle sprechen: Führe uns nicht in Ver¬ suchung!
Moorfeld saß da, -- der letzte Blutstropfen aus seinem Gesichte gewichen. Also doch! stammelte es dumpf in ihm.
Trag' dieses Buch zu Mistreß Norbert, hieß Frau v. Milden ihr Töchterchen, indem sie das Kind damit entfernte.
Malwine ging. Moorfeld sah ihr nach und als sie die Thüre ge¬ schlossen, sagte er zur Mutter gewendet: Geschlossener Hofraum! Die Execution kann beginnen. In Philadelphia richtet man so: ein tete a tete nur zwischen Henker und Delinquenten. Ich bitte, sprechen Sie, gnädige Frau.
Könnt' ich uns Beiden diese Stunde ersparen! seufzte die edle Frau, deren Züge der Schmerz eben so zu verschönen schien, als Moor¬ feld wild, ja, gräßlich blickte. Und gleichsam als klängen ihr Moor¬ feld's Worte jetzt erst ans Ohr, sagte sie sanft: Ich richte Niemanden. Auch ist er noch nicht gerichtet. Ach, ich erzähle ja nichts als ein paar veränderte Aeußerlichkeiten! Urtheilen Sie' selbst, ob sie ein Schick¬ sal sind.
Moorfeld starrte vor sich hin.
Frau v. Milden begann: Es war am Tage Ihrer Abreise, Herr Doctor. Die letzten Stunden, wenn ich nicht irre, brachten ein wie¬ derholtes Hin- und Wiedergehen zwischen Ihnen und Theodor, wie es solche Gelegenheiten pflegen. Einmal kam Theodor zu spät. Herr Staunton, der zwischen Thür und Angel ihn empfing, kündigte ihm an, Sie wären so eben abgereist. Das sind aber auch Entfernungen! rief Theodor erhitzt und bestürzt, wie flog ich zurück von der Croton'¬ schen Wasserleitung! Und stehenden Fußes wandte er sich, um Sie noch einzuholen. Herr Staunton hielt ihn auf: Wie, mein Herr, Sie haben unsern Croton-Aquadukt gesehen? Sie staunen, wie? ein echt römisches Bauwerk, wie? -- Verdammt römisch! rief Theodor unwillig über die zudringliche Eitelkeit, -- ich glaube in der That, die Ameri¬ kaner kennen so wenig als die alten Römer das hydrostatische Gesetz,
von außen hinein. Wir fanden unſre Bürgſchaft in Ihnen. Wie hätten wir ſchwache Frauen nicht gläubig ſein ſollen, wo ein Mann den Mann ſo raſch überzeugte? Ja, er war zum Vertrauen geſchaffen; er war ein Charakter. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Theodor war brav — bis zur Stunde, von der wir Alle ſprechen: Führe uns nicht in Ver¬ ſuchung!
Moorfeld ſaß da, — der letzte Blutstropfen aus ſeinem Geſichte gewichen. Alſo doch! ſtammelte es dumpf in ihm.
Trag' dieſes Buch zu Miſtreß Norbert, hieß Frau v. Milden ihr Töchterchen, indem ſie das Kind damit entfernte.
Malwine ging. Moorfeld ſah ihr nach und als ſie die Thüre ge¬ ſchloſſen, ſagte er zur Mutter gewendet: Geſchloſſener Hofraum! Die Execution kann beginnen. In Philadelphia richtet man ſo: ein tête à tête nur zwiſchen Henker und Delinquenten. Ich bitte, ſprechen Sie, gnädige Frau.
Könnt' ich uns Beiden dieſe Stunde erſparen! ſeufzte die edle Frau, deren Züge der Schmerz eben ſo zu verſchönen ſchien, als Moor¬ feld wild, ja, gräßlich blickte. Und gleichſam als klängen ihr Moor¬ feld's Worte jetzt erſt ans Ohr, ſagte ſie ſanft: Ich richte Niemanden. Auch iſt er noch nicht gerichtet. Ach, ich erzähle ja nichts als ein paar veränderte Aeußerlichkeiten! Urtheilen Sie' ſelbſt, ob ſie ein Schick¬ ſal ſind.
Moorfeld ſtarrte vor ſich hin.
Frau v. Milden begann: Es war am Tage Ihrer Abreiſe, Herr Doctor. Die letzten Stunden, wenn ich nicht irre, brachten ein wie¬ derholtes Hin- und Wiedergehen zwiſchen Ihnen und Theodor, wie es ſolche Gelegenheiten pflegen. Einmal kam Theodor zu ſpät. Herr Staunton, der zwiſchen Thür und Angel ihn empfing, kündigte ihm an, Sie wären ſo eben abgereist. Das ſind aber auch Entfernungen! rief Theodor erhitzt und beſtürzt, wie flog ich zurück von der Croton'¬ ſchen Waſſerleitung! Und ſtehenden Fußes wandte er ſich, um Sie noch einzuholen. Herr Staunton hielt ihn auf: Wie, mein Herr, Sie haben unſern Croton-Aquadukt geſehen? Sie ſtaunen, wie? ein echt römiſches Bauwerk, wie? — Verdammt römiſch! rief Theodor unwillig über die zudringliche Eitelkeit, — ich glaube in der That, die Ameri¬ kaner kennen ſo wenig als die alten Römer das hydroſtatiſche Geſetz,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0478"n="460"/>
von außen hinein. Wir fanden unſre Bürgſchaft in Ihnen. Wie hätten<lb/>
wir ſchwache Frauen nicht gläubig ſein ſollen, wo ein Mann den Mann<lb/>ſo raſch überzeugte? Ja, er war zum Vertrauen geſchaffen; er war<lb/>
ein Charakter. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Theodor war brav —<lb/>
bis zur Stunde, von der wir Alle ſprechen: Führe uns nicht in Ver¬<lb/>ſuchung!</p><lb/><p>Moorfeld ſaß da, — der letzte Blutstropfen aus ſeinem Geſichte<lb/>
gewichen. Alſo doch! ſtammelte es dumpf in ihm.</p><lb/><p>Trag' dieſes Buch zu Miſtreß Norbert, hieß Frau v. Milden ihr<lb/>
Töchterchen, indem ſie das Kind damit entfernte.</p><lb/><p>Malwine ging. Moorfeld ſah ihr nach und als ſie die Thüre ge¬<lb/>ſchloſſen, ſagte er zur Mutter gewendet: Geſchloſſener Hofraum! Die<lb/>
Execution kann beginnen. In Philadelphia richtet man ſo: ein <hirendition="#aq">tête<lb/>
à tête</hi> nur zwiſchen Henker und Delinquenten. Ich bitte, ſprechen<lb/>
Sie, gnädige Frau.</p><lb/><p>Könnt' ich uns Beiden dieſe Stunde erſparen! ſeufzte die edle<lb/>
Frau, deren Züge der Schmerz eben ſo zu verſchönen ſchien, als Moor¬<lb/>
feld wild, ja, gräßlich blickte. Und gleichſam als klängen ihr Moor¬<lb/>
feld's Worte jetzt erſt ans Ohr, ſagte ſie ſanft: Ich richte Niemanden.<lb/>
Auch iſt er noch nicht gerichtet. Ach, ich erzähle ja nichts als ein paar<lb/>
veränderte Aeußerlichkeiten! Urtheilen Sie' ſelbſt, ob ſie ein Schick¬<lb/>ſal ſind.</p><lb/><p>Moorfeld ſtarrte vor ſich hin.</p><lb/><p>Frau v. Milden begann: Es war am Tage Ihrer Abreiſe, Herr<lb/>
Doctor. Die letzten Stunden, wenn ich nicht irre, brachten ein wie¬<lb/>
derholtes Hin- und Wiedergehen zwiſchen Ihnen und Theodor, wie es<lb/>ſolche Gelegenheiten pflegen. Einmal kam Theodor zu ſpät. Herr<lb/>
Staunton, der zwiſchen Thür und Angel ihn empfing, kündigte ihm<lb/>
an, Sie wären ſo eben abgereist. Das ſind aber auch Entfernungen!<lb/>
rief Theodor erhitzt und beſtürzt, wie flog ich zurück von der Croton'¬<lb/>ſchen Waſſerleitung! Und ſtehenden Fußes wandte er ſich, um Sie<lb/>
noch einzuholen. Herr Staunton hielt ihn auf: Wie, mein Herr, Sie<lb/>
haben unſern Croton-Aquadukt geſehen? Sie ſtaunen, wie? ein echt<lb/>
römiſches Bauwerk, wie? — Verdammt römiſch! rief Theodor unwillig<lb/>
über die zudringliche Eitelkeit, — ich glaube in der That, die Ameri¬<lb/>
kaner kennen ſo wenig als die alten Römer das hydroſtatiſche Geſetz,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[460/0478]
von außen hinein. Wir fanden unſre Bürgſchaft in Ihnen. Wie hätten
wir ſchwache Frauen nicht gläubig ſein ſollen, wo ein Mann den Mann
ſo raſch überzeugte? Ja, er war zum Vertrauen geſchaffen; er war
ein Charakter. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Theodor war brav —
bis zur Stunde, von der wir Alle ſprechen: Führe uns nicht in Ver¬
ſuchung!
Moorfeld ſaß da, — der letzte Blutstropfen aus ſeinem Geſichte
gewichen. Alſo doch! ſtammelte es dumpf in ihm.
Trag' dieſes Buch zu Miſtreß Norbert, hieß Frau v. Milden ihr
Töchterchen, indem ſie das Kind damit entfernte.
Malwine ging. Moorfeld ſah ihr nach und als ſie die Thüre ge¬
ſchloſſen, ſagte er zur Mutter gewendet: Geſchloſſener Hofraum! Die
Execution kann beginnen. In Philadelphia richtet man ſo: ein tête
à tête nur zwiſchen Henker und Delinquenten. Ich bitte, ſprechen
Sie, gnädige Frau.
Könnt' ich uns Beiden dieſe Stunde erſparen! ſeufzte die edle
Frau, deren Züge der Schmerz eben ſo zu verſchönen ſchien, als Moor¬
feld wild, ja, gräßlich blickte. Und gleichſam als klängen ihr Moor¬
feld's Worte jetzt erſt ans Ohr, ſagte ſie ſanft: Ich richte Niemanden.
Auch iſt er noch nicht gerichtet. Ach, ich erzähle ja nichts als ein paar
veränderte Aeußerlichkeiten! Urtheilen Sie' ſelbſt, ob ſie ein Schick¬
ſal ſind.
Moorfeld ſtarrte vor ſich hin.
Frau v. Milden begann: Es war am Tage Ihrer Abreiſe, Herr
Doctor. Die letzten Stunden, wenn ich nicht irre, brachten ein wie¬
derholtes Hin- und Wiedergehen zwiſchen Ihnen und Theodor, wie es
ſolche Gelegenheiten pflegen. Einmal kam Theodor zu ſpät. Herr
Staunton, der zwiſchen Thür und Angel ihn empfing, kündigte ihm
an, Sie wären ſo eben abgereist. Das ſind aber auch Entfernungen!
rief Theodor erhitzt und beſtürzt, wie flog ich zurück von der Croton'¬
ſchen Waſſerleitung! Und ſtehenden Fußes wandte er ſich, um Sie
noch einzuholen. Herr Staunton hielt ihn auf: Wie, mein Herr, Sie
haben unſern Croton-Aquadukt geſehen? Sie ſtaunen, wie? ein echt
römiſches Bauwerk, wie? — Verdammt römiſch! rief Theodor unwillig
über die zudringliche Eitelkeit, — ich glaube in der That, die Ameri¬
kaner kennen ſo wenig als die alten Römer das hydroſtatiſche Geſetz,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/478>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.