Mitinteressenten trete. Frau v. Milden bezeugt dem Ereignisse schul¬ digen Antheil, -- aber auch nur schuldigen, glaubt Moorfeld zu sehen. Er findet keinen Zug, womit die Frau ein persönliches In¬ teresse daran verriethe, und auch die feinste Selbtbeherrschung, meint er, müßte in solch einem Falle einen Moment von Durchsichtigkeit haben. Frau v. Milden indeß bleibt augenscheinlich außer Partei dabei. Sie geht eben so unbefangen zu andern Mittheilungen über. Moorfeld antwortet fortwährend, wie Einer, der sich wiederholt, denn stillschweigend bezieht er sich auf seine Briefe. Frau v. Milden da¬ gegen sieht sich bei dieser Art zu antworten oft zu Ergänzungsfragen genöthigt. Diese Unterhaltung währte gar nicht lange, als Moorfeld erkannte, daß sie schlechterdings auf einer Lücke beruhe. Er spricht endlich direct von seinem Reise-Tagebuch, und daß er nicht anders als der Meinung lebe, Benthal habe es in seinem "Lorettohäuschen" mit¬ getheilt. Die Hausfrau stutzt. Sie blickt verlegen. Mit diesem Worte ist ein Punkt erreicht, auf welchem es nicht mehr möglich blieb, reservirt zu sein. Die Dame faßt sich indeß so gut es gehen will und antwortet gelassen: Ich bedauere, daß uns Herr Benthal dieses Vergnügen nicht gemacht hat. Er war viel beschäftigt. -- Er ist ein Verräther! schrie Moorfeld auf einmal wie von einem Dämon inspirirt. Als das Wort gesprochen war, blickte er selbst erschrocken dazu. Es lag ein Gedanke darin, den nicht er denken konnte; ein fremdes Wesen in ihm hatte gedacht.
Aber es war gesprochen, es war gedacht. Die Förmlichkeit der conventionellen Haltung war durchbrochen, Frau v. Milden verwandelte sich sichtlich. Sie zeigte das leidende trostbedürftige Weib. Es ziemt uns Frauen nicht, sagte sie in einem Tone wehmüthiger Weichheit, unsre Ausdrücke über Männer so entschieden zu wählen, wie diese es selbst dürfen. Ich möchte Ihr Wort nicht wiederholen, Herr Doctor. Um Ihrer selbst willen nicht. Sie waren sein Freund, ich weiß es. Sie haben gebaut auf ihn, fest, unerschütterlich. Wie hielten wir deßwegen auf Sie! So müssen Männer Freunde werden, sagten wir oft. Ein Blick, ein Griff -- und es ist der rechte! Denn im alltäglichen Um¬ gang nehmen wir meist für Freundschaft was nur Gewohnheit ist, und ein so und so oft wiederholtes Sehen der Außenseite gibt gedankenlosen Credit fürs Innre. Sie wurden Freunde von innen heraus, nicht
Mitintereſſenten trete. Frau v. Milden bezeugt dem Ereigniſſe ſchul¬ digen Antheil, — aber auch nur ſchuldigen, glaubt Moorfeld zu ſehen. Er findet keinen Zug, womit die Frau ein perſönliches In¬ tereſſe daran verriethe, und auch die feinſte Selbtbeherrſchung, meint er, müßte in ſolch einem Falle einen Moment von Durchſichtigkeit haben. Frau v. Milden indeß bleibt augenſcheinlich außer Partei dabei. Sie geht eben ſo unbefangen zu andern Mittheilungen über. Moorfeld antwortet fortwährend, wie Einer, der ſich wiederholt, denn ſtillſchweigend bezieht er ſich auf ſeine Briefe. Frau v. Milden da¬ gegen ſieht ſich bei dieſer Art zu antworten oft zu Ergänzungsfragen genöthigt. Dieſe Unterhaltung währte gar nicht lange, als Moorfeld erkannte, daß ſie ſchlechterdings auf einer Lücke beruhe. Er ſpricht endlich direct von ſeinem Reiſe-Tagebuch, und daß er nicht anders als der Meinung lebe, Benthal habe es in ſeinem „Lorettohäuschen“ mit¬ getheilt. Die Hausfrau ſtutzt. Sie blickt verlegen. Mit dieſem Worte iſt ein Punkt erreicht, auf welchem es nicht mehr möglich blieb, reſervirt zu ſein. Die Dame faßt ſich indeß ſo gut es gehen will und antwortet gelaſſen: Ich bedauere, daß uns Herr Benthal dieſes Vergnügen nicht gemacht hat. Er war viel beſchäftigt. — Er iſt ein Verräther! ſchrie Moorfeld auf einmal wie von einem Dämon inſpirirt. Als das Wort geſprochen war, blickte er ſelbſt erſchrocken dazu. Es lag ein Gedanke darin, den nicht er denken konnte; ein fremdes Weſen in ihm hatte gedacht.
Aber es war geſprochen, es war gedacht. Die Förmlichkeit der conventionellen Haltung war durchbrochen, Frau v. Milden verwandelte ſich ſichtlich. Sie zeigte das leidende troſtbedürftige Weib. Es ziemt uns Frauen nicht, ſagte ſie in einem Tone wehmüthiger Weichheit, unſre Ausdrücke über Männer ſo entſchieden zu wählen, wie dieſe es ſelbſt dürfen. Ich möchte Ihr Wort nicht wiederholen, Herr Doctor. Um Ihrer ſelbſt willen nicht. Sie waren ſein Freund, ich weiß es. Sie haben gebaut auf ihn, feſt, unerſchütterlich. Wie hielten wir deßwegen auf Sie! So müſſen Männer Freunde werden, ſagten wir oft. Ein Blick, ein Griff — und es iſt der rechte! Denn im alltäglichen Um¬ gang nehmen wir meiſt für Freundſchaft was nur Gewohnheit iſt, und ein ſo und ſo oft wiederholtes Sehen der Außenſeite gibt gedankenloſen Credit fürs Innre. Sie wurden Freunde von innen heraus, nicht
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Mitintereſſenten trete. Frau v. Milden bezeugt dem Ereigniſſe ſchul¬
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ſehen. Er findet keinen Zug, womit die Frau ein perſönliches In¬
tereſſe daran verriethe, und auch die feinſte Selbtbeherrſchung, meint
er, müßte in ſolch einem Falle einen Moment von Durchſichtigkeit
haben. Frau v. Milden indeß bleibt augenſcheinlich außer Partei
dabei. Sie geht eben ſo unbefangen zu andern Mittheilungen über.
Moorfeld antwortet fortwährend, wie Einer, der ſich wiederholt, denn
ſtillſchweigend bezieht er ſich auf ſeine Briefe. Frau v. Milden da¬
gegen ſieht ſich bei dieſer Art zu antworten oft zu Ergänzungsfragen
genöthigt. Dieſe Unterhaltung währte gar nicht lange, als Moorfeld
erkannte, daß ſie ſchlechterdings auf einer Lücke beruhe. Er ſpricht
endlich direct von ſeinem Reiſe-Tagebuch, und daß er nicht anders als
der Meinung lebe, Benthal habe es in ſeinem „Lorettohäuschen“ mit¬
getheilt. Die Hausfrau ſtutzt. Sie blickt verlegen. Mit dieſem
Worte iſt ein Punkt erreicht, auf welchem es nicht mehr möglich blieb,
reſervirt zu ſein. Die Dame faßt ſich indeß ſo gut es gehen will
und antwortet gelaſſen: Ich bedauere, daß uns Herr Benthal dieſes
Vergnügen nicht gemacht hat. Er war viel beſchäftigt. — Er iſt ein
Verräther! ſchrie Moorfeld auf einmal wie von einem Dämon inſpirirt.
Als das Wort geſprochen war, blickte er ſelbſt erſchrocken dazu. Es
lag ein Gedanke darin, den nicht er denken konnte; ein fremdes Weſen
in ihm hatte gedacht.
Aber es war geſprochen, es war gedacht. Die Förmlichkeit der
conventionellen Haltung war durchbrochen, Frau v. Milden verwandelte
ſich ſichtlich. Sie zeigte das leidende troſtbedürftige Weib. Es ziemt
uns Frauen nicht, ſagte ſie in einem Tone wehmüthiger Weichheit,
unſre Ausdrücke über Männer ſo entſchieden zu wählen, wie dieſe es
ſelbſt dürfen. Ich möchte Ihr Wort nicht wiederholen, Herr Doctor. Um
Ihrer ſelbſt willen nicht. Sie waren ſein Freund, ich weiß es. Sie
haben gebaut auf ihn, feſt, unerſchütterlich. Wie hielten wir deßwegen
auf Sie! So müſſen Männer Freunde werden, ſagten wir oft. Ein
Blick, ein Griff — und es iſt der rechte! Denn im alltäglichen Um¬
gang nehmen wir meiſt für Freundſchaft was nur Gewohnheit iſt, und
ein ſo und ſo oft wiederholtes Sehen der Außenſeite gibt gedankenloſen
Credit fürs Innre. Sie wurden Freunde von innen heraus, nicht
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/477>, abgerufen am 24.11.2024.
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