Umständen darauf, das Gespräch auf Benthal noch einmal zurück¬ zuführen. Es ließ sich noch manche Wendung erdenken, um aus einem Gramen der Umstände zufällig oder schlußweise an ein festeres Wissen zu gelangen, aber er fühlte wohl, wie diese Rowdiegeschichte die Be¬ richtigung einer ganzen Aufmerksamkeit für Kleindeutschland hatte, wenn sie gleich, nach seinen eigenen Erlebnissen und vor seinen gegenwärti¬ gen Sorgen, nur ein dumpfes Echo in ihm haben konnte.
Erst zu Hause trat ihm der Fall von einer eigenthümlichen Seite wieder näher. Indem er sich von einer vorgefundenen Nummer des "Sun" einen Anzünder riß, um möglicherweise in einer kräftigen Pfeife Unruhe und Ungeduld zu narkotisiren, blieb sein Auge an einer jener Phrasen heften, welche oft unwillkürlich zum Weiterlesen einladen. Er las. Der Artikel behandelte eben jenes Ereigniß. Er that es zu¬ nächst in polemischer Form gegen den "Newyorker Herald", denn auch dieses "accident" war in die Sphäre des politischen Parteitreibens gezogen, wie überhaupt Alles in diesem Lande. Im weiteren Verlaufe dieses Artikels hieß es nun: Was man bei dieser Gelegenheit über den Charakter des Mädchens und ihres deutschen Bräutigams angemerkt hat, möchten wir nicht gern als das Urtheil der öffentlichen Meinung hingestellt wissen. Der Ausdruck, "daß nur ein Deutscher gut genug sein könne, die Abfälle amerikanischer Prostitution vom Boden aufzulesen", hat uns schmerzlich überrascht. Wenn wir unsern ehrenwerthen Collegen im jenseitigen Lager nicht geradezu der absichtlichen Verleumdung zeihen wollen, so können wir ihn doch von einer befremdlichen Unkenntniß in der Völker- und Sittenkunde nicht freisprechen. Weiß der "Newyorker Herald" nicht, daß die Deutschen über Prostitution ein- für allemale anders denken, als wir, ja daß einige ihrer verehrtesten Dichter sie kurzweg idealisirt haben? Wir gestehen gern, daß wir diesen National¬ zug der Deutschen nicht begreifen, aber wir trauen uns nicht den Er¬ weis zu führen, daß die Deutschen deßwegen unsittlicher seien als wir. Zahlen hindern uns daran. Wir haben Tabellen der deutschen und amerikanischen Lasterstatistik vor uns, und -- erkläre es wer will! -- die deutschen Sitten sind besser, als die deutschen Grundsätze. Lassen wir übrigens die Deutschen. Sprechen wir von der traurigen Ursache dieses Scandals, von unserer unglücklichen Mitbürgerin. Wahrlich es ist sehr gentlemanlike, eine Schande, die wir nicht entschuldigen zu
Umſtänden darauf, das Geſpräch auf Benthal noch einmal zurück¬ zuführen. Es ließ ſich noch manche Wendung erdenken, um aus einem Gramen der Umſtände zufällig oder ſchlußweiſe an ein feſteres Wiſſen zu gelangen, aber er fühlte wohl, wie dieſe Rowdiegeſchichte die Be¬ richtigung einer ganzen Aufmerkſamkeit für Kleindeutſchland hatte, wenn ſie gleich, nach ſeinen eigenen Erlebniſſen und vor ſeinen gegenwärti¬ gen Sorgen, nur ein dumpfes Echo in ihm haben konnte.
Erſt zu Hauſe trat ihm der Fall von einer eigenthümlichen Seite wieder näher. Indem er ſich von einer vorgefundenen Nummer des „Sun“ einen Anzünder riß, um möglicherweiſe in einer kräftigen Pfeife Unruhe und Ungeduld zu narkotiſiren, blieb ſein Auge an einer jener Phraſen heften, welche oft unwillkürlich zum Weiterleſen einladen. Er las. Der Artikel behandelte eben jenes Ereigniß. Er that es zu¬ nächſt in polemiſcher Form gegen den „Newyorker Herald“, denn auch dieſes „accident“ war in die Sphäre des politiſchen Parteitreibens gezogen, wie überhaupt Alles in dieſem Lande. Im weiteren Verlaufe dieſes Artikels hieß es nun: Was man bei dieſer Gelegenheit über den Charakter des Mädchens und ihres deutſchen Bräutigams angemerkt hat, möchten wir nicht gern als das Urtheil der öffentlichen Meinung hingeſtellt wiſſen. Der Ausdruck, „daß nur ein Deutſcher gut genug ſein könne, die Abfälle amerikaniſcher Proſtitution vom Boden aufzuleſen“, hat uns ſchmerzlich überraſcht. Wenn wir unſern ehrenwerthen Collegen im jenſeitigen Lager nicht geradezu der abſichtlichen Verleumdung zeihen wollen, ſo können wir ihn doch von einer befremdlichen Unkenntniß in der Völker- und Sittenkunde nicht freiſprechen. Weiß der „Newyorker Herald“ nicht, daß die Deutſchen über Proſtitution ein- für allemale anders denken, als wir, ja daß einige ihrer verehrteſten Dichter ſie kurzweg idealiſirt haben? Wir geſtehen gern, daß wir dieſen National¬ zug der Deutſchen nicht begreifen, aber wir trauen uns nicht den Er¬ weis zu führen, daß die Deutſchen deßwegen unſittlicher ſeien als wir. Zahlen hindern uns daran. Wir haben Tabellen der deutſchen und amerikaniſchen Laſterſtatiſtik vor uns, und — erkläre es wer will! — die deutſchen Sitten ſind beſſer, als die deutſchen Grundſätze. Laſſen wir übrigens die Deutſchen. Sprechen wir von der traurigen Urſache dieſes Scandals, von unſerer unglücklichen Mitbürgerin. Wahrlich es iſt ſehr gentlemanlike, eine Schande, die wir nicht entſchuldigen zu
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Umſtänden darauf, das Geſpräch auf Benthal noch einmal zurück¬
zuführen. Es ließ ſich noch manche Wendung erdenken, um aus einem
Gramen der Umſtände zufällig oder ſchlußweiſe an ein feſteres Wiſſen
zu gelangen, aber er fühlte wohl, wie dieſe Rowdiegeſchichte die Be¬
richtigung einer ganzen Aufmerkſamkeit für Kleindeutſchland hatte, wenn
ſie gleich, nach ſeinen eigenen Erlebniſſen und vor ſeinen gegenwärti¬
gen Sorgen, nur ein dumpfes Echo in ihm haben konnte.
Erſt zu Hauſe trat ihm der Fall von einer eigenthümlichen Seite
wieder näher. Indem er ſich von einer vorgefundenen Nummer des
„Sun“ einen Anzünder riß, um möglicherweiſe in einer kräftigen Pfeife
Unruhe und Ungeduld zu narkotiſiren, blieb ſein Auge an einer jener
Phraſen heften, welche oft unwillkürlich zum Weiterleſen einladen.
Er las. Der Artikel behandelte eben jenes Ereigniß. Er that es zu¬
nächſt in polemiſcher Form gegen den „Newyorker Herald“, denn auch
dieſes „accident“ war in die Sphäre des politiſchen Parteitreibens
gezogen, wie überhaupt Alles in dieſem Lande. Im weiteren Verlaufe
dieſes Artikels hieß es nun: Was man bei dieſer Gelegenheit über den
Charakter des Mädchens und ihres deutſchen Bräutigams angemerkt hat,
möchten wir nicht gern als das Urtheil der öffentlichen Meinung hingeſtellt
wiſſen. Der Ausdruck, „daß nur ein Deutſcher gut genug ſein könne,
die Abfälle amerikaniſcher Proſtitution vom Boden aufzuleſen“, hat uns
ſchmerzlich überraſcht. Wenn wir unſern ehrenwerthen Collegen im
jenſeitigen Lager nicht geradezu der abſichtlichen Verleumdung zeihen
wollen, ſo können wir ihn doch von einer befremdlichen Unkenntniß
in der Völker- und Sittenkunde nicht freiſprechen. Weiß der „Newyorker
Herald“ nicht, daß die Deutſchen über Proſtitution ein- für allemale
anders denken, als wir, ja daß einige ihrer verehrteſten Dichter ſie
kurzweg idealiſirt haben? Wir geſtehen gern, daß wir dieſen National¬
zug der Deutſchen nicht begreifen, aber wir trauen uns nicht den Er¬
weis zu führen, daß die Deutſchen deßwegen unſittlicher ſeien als wir.
Zahlen hindern uns daran. Wir haben Tabellen der deutſchen und
amerikaniſchen Laſterſtatiſtik vor uns, und — erkläre es wer will! —
die deutſchen Sitten ſind beſſer, als die deutſchen Grundſätze. Laſſen
wir übrigens die Deutſchen. Sprechen wir von der traurigen Urſache
dieſes Scandals, von unſerer unglücklichen Mitbürgerin. Wahrlich es
iſt ſehr gentlemanlike, eine Schande, die wir nicht entſchuldigen zu
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/472>, abgerufen am 25.11.2024.
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