Menschen, seit die Welt steht, nicht geschmaust. Erst als die wüthendste Gier gestillt war, fiel es uns auf, daß Eine unsrer Gefangenen fehlte. Sie habe sich verlaufen, sagte der Spanier. Wir sahen ihn an, und in¬ dem ich gleichzeitig einen Streifen Fleisch in den Kürbis voll Blut tauchte, warf ich die Bemerkung hin, daß der Geschmack der Anti¬ lope eigentlich wenig zu spüren, wenn man bedächtiger esse. Da wurde der Spanier wild, riß seinen Mantel von einem Dinge weg, das seit¬ wärts hinter einem magern Dornbusch lag und schrie: Valga me Dios! Fleisch ist Fleisch; seid ihr satt oder nicht? Unter dem Mantel lag der Kopf und der blutende Körperrest des fehlenden Indianermädchens. -- Da war es, mein Herr, aber auch nicht früher als da, wo Au Reste ausrief: Auf der nächsten Straße kehr' ich zu den Kornknackern zu¬ rück. Er hat Wort gehalten. So, mein Herr, hörten wir auf, Trap¬ per zu sein.
Mit Recht! rief Moorfeld aus, der schreckensstarr nur die einfachste Antwort für so viel Entsetzen hatte.
Es folgte eine längere Pause zwischen unsern Gastfreunden. Moor¬ feld's Lebensgeister waren gewaltsam wieder ermuntert. Vor Allem rege war sein Interesse für Au Reste. Der Mann, der sich bei leben¬ digem Leibe seinem Freunde zur Nahrung geboten, und doch vor der gleichen Nahrung mit unbefleckter Menschlichkeit zurückgeschreckt, -- er war in einem Petrefact von Barbarei ein so unschätzbarer, tiefliegen¬ der Juwel des Menschengemüthes, daß ihn Moorfeld lebhafter ergriff, als die Schattengestalt einer flüchtigen Abendunterhaltung.
Und was ist aus Au Reste geworden? war daher seine erste Frage, als er von dem Eindruck des gehörten Gräuels sich erholt.
Ah, le pauvre diable! seufzte der Canadier, mehr für sich als zur Antwort.
Erreichte er noch die Bezirke der Civilisation? ging er zu Grunde? starb er? wie?
Monsieur, ce sont des choses bien -- bien -- ah, fort damit! Was wäre das Leben ohne Wein und Gesang!
Rien jamais si jolie qu'Aedle Qui, grace a Lukas --
Trinken wir aus! Primasorte, mein Cider; spüren ihn bis in die Fußspitze! Wir müssen lustig sein, quand meme!
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Menſchen, ſeit die Welt ſteht, nicht geſchmaust. Erſt als die wüthendſte Gier geſtillt war, fiel es uns auf, daß Eine unſrer Gefangenen fehlte. Sie habe ſich verlaufen, ſagte der Spanier. Wir ſahen ihn an, und in¬ dem ich gleichzeitig einen Streifen Fleiſch in den Kürbis voll Blut tauchte, warf ich die Bemerkung hin, daß der Geſchmack der Anti¬ lope eigentlich wenig zu ſpüren, wenn man bedächtiger eſſe. Da wurde der Spanier wild, riß ſeinen Mantel von einem Dinge weg, das ſeit¬ wärts hinter einem magern Dornbuſch lag und ſchrie: Valga me Dios! Fleiſch iſt Fleiſch; ſeid ihr ſatt oder nicht? Unter dem Mantel lag der Kopf und der blutende Körperreſt des fehlenden Indianermädchens. — Da war es, mein Herr, aber auch nicht früher als da, wo Au Reſte ausrief: Auf der nächſten Straße kehr' ich zu den Kornknackern zu¬ rück. Er hat Wort gehalten. So, mein Herr, hörten wir auf, Trap¬ per zu ſein.
Mit Recht! rief Moorfeld aus, der ſchreckensſtarr nur die einfachſte Antwort für ſo viel Entſetzen hatte.
Es folgte eine längere Pauſe zwiſchen unſern Gaſtfreunden. Moor¬ feld's Lebensgeiſter waren gewaltſam wieder ermuntert. Vor Allem rege war ſein Intereſſe für Au Reſte. Der Mann, der ſich bei leben¬ digem Leibe ſeinem Freunde zur Nahrung geboten, und doch vor der gleichen Nahrung mit unbefleckter Menſchlichkeit zurückgeſchreckt, — er war in einem Petrefact von Barbarei ein ſo unſchätzbarer, tiefliegen¬ der Juwel des Menſchengemüthes, daß ihn Moorfeld lebhafter ergriff, als die Schattengeſtalt einer flüchtigen Abendunterhaltung.
Und was iſt aus Au Reſte geworden? war daher ſeine erſte Frage, als er von dem Eindruck des gehörten Gräuels ſich erholt.
Ah, le pauvre diable! ſeufzte der Canadier, mehr für ſich als zur Antwort.
Erreichte er noch die Bezirke der Civiliſation? ging er zu Grunde? ſtarb er? wie?
Monsieur, ce sont des choses bien — bien — ah, fort damit! Was wäre das Leben ohne Wein und Geſang!
Rien jamais si jolie qu'Aèdle Qui, grâce à Lukas —
Trinken wir aus! Primaſorte, mein Cider; ſpüren ihn bis in die Fußſpitze! Wir müſſen luſtig ſein, quand même!
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Menſchen, ſeit die Welt ſteht, nicht geſchmaust. Erſt als die wüthendſte Gier
geſtillt war, fiel es uns auf, daß Eine unſrer Gefangenen fehlte. Sie
habe ſich verlaufen, ſagte der Spanier. Wir ſahen ihn an, und in¬
dem ich gleichzeitig einen Streifen Fleiſch in den Kürbis voll Blut
tauchte, warf ich die Bemerkung hin, daß der Geſchmack der Anti¬
lope eigentlich wenig zu ſpüren, wenn man bedächtiger eſſe. Da wurde
der Spanier wild, riß ſeinen Mantel von einem Dinge weg, das ſeit¬
wärts hinter einem magern Dornbuſch lag und ſchrie: Valga me Dios!
Fleiſch iſt Fleiſch; ſeid ihr ſatt oder nicht? Unter dem Mantel lag
der Kopf und der blutende Körperreſt des fehlenden Indianermädchens. —
Da war es, mein Herr, aber auch nicht früher als da, wo Au Reſte
ausrief: Auf der nächſten Straße kehr' ich zu den Kornknackern zu¬
rück. Er hat Wort gehalten. So, mein Herr, hörten wir auf, Trap¬
per zu ſein.
Mit Recht! rief Moorfeld aus, der ſchreckensſtarr nur die einfachſte
Antwort für ſo viel Entſetzen hatte.
Es folgte eine längere Pauſe zwiſchen unſern Gaſtfreunden. Moor¬
feld's Lebensgeiſter waren gewaltſam wieder ermuntert. Vor Allem
rege war ſein Intereſſe für Au Reſte. Der Mann, der ſich bei leben¬
digem Leibe ſeinem Freunde zur Nahrung geboten, und doch vor der
gleichen Nahrung mit unbefleckter Menſchlichkeit zurückgeſchreckt, — er
war in einem Petrefact von Barbarei ein ſo unſchätzbarer, tiefliegen¬
der Juwel des Menſchengemüthes, daß ihn Moorfeld lebhafter ergriff,
als die Schattengeſtalt einer flüchtigen Abendunterhaltung.
Und was iſt aus Au Reſte geworden? war daher ſeine erſte
Frage, als er von dem Eindruck des gehörten Gräuels ſich erholt.
Ah, le pauvre diable! ſeufzte der Canadier, mehr für ſich als
zur Antwort.
Erreichte er noch die Bezirke der Civiliſation? ging er zu Grunde?
ſtarb er? wie?
Monsieur, ce sont des choses bien — bien — ah, fort damit!
Was wäre das Leben ohne Wein und Geſang!
Rien jamais si jolie qu'Aèdle
Qui, grâce à Lukas —
Trinken wir aus! Primaſorte, mein Cider; ſpüren ihn bis in die
Fußſpitze! Wir müſſen luſtig ſein, quand même!
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/441>, abgerufen am 08.07.2024.
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