und Zustände der Anstalt sind solche, welche den Fortschritten der Wissenschaft, der Blüthe des Staates Ohio, dem Ruhme unsrer großen und erleuchteten Nation in allen Theilen entsprechen. Unsre Wohl¬ thätigkeitsanstalten sind der Stolz unsers Landes.
Aber wie sie sich füllen, sagt er nicht.
Siebentes Kapitel.
Dieser Brief war der letzte, den Moorfeld aus Ohio an Benthal schrieb. Die scheinbare Ruhe und Mäßigung, womit er die unglückliche Begebenheit erzählt, war vielleicht schon in dem Augenblicke, da er's that, entweder nur die Ohnmacht des Betäubten, oder das mühsamste Product der Reflexion, womit er -- ein Mann vor einem Mann -- sich zusammennahm. Anders sah ihn seine nächste Umgebung. Der Ausbruch der Wuth, von welchem er in knappester Gemessenheit Er¬ wähnung macht, daß er ihn unmittelbar gegen den Urheber des Un¬ glücks gerichtet, fluthete ungezähmt auch über die festeren Dämme der geselligen Ordnung und Verträglichkeit. Zunächst zerfiel er mit Doctor Althof. Was er in seinem Briefe so ruhig ausspricht: "Man will das unglückliche Kind in das Irrenhaus zu Columbus bringen" be¬ kämpfte er in der Wirklichkeit mit dem heftigsten Widerspruch. Er wolle sie nun und nimmermehr "unter den Fäusten der Yankees" wissen, schwor er ununterbrochen, wie er überhaupt alle Heilvorschläge des Doctors, welche die gewöhnliche Praxis in Lähmungsfällen befolgt, leidenschaftlich verwarf. Er schalt den Doctor einen "crassen Soma¬ tiker", wollte das Kind mit Adagios auf der Violine heilen, wollte ihr frische Blumen aus Deutschland kommen lassen und malte einen "Heilplan der Liebe" aus, der vielleicht eine schönere Eingebung der Poesie als der Wissenschaft war. Ganz außer sich gerieth er aber, als Vater Ermar selbst, ohne von dem ärztlichen Streite einen Begriff zu haben, nur dem natürlichen Instincte des Verstandes folgend, die Partei des Besonnenen gegen den Excentrischen ergriff und seine Kranke der
und Zuſtände der Anſtalt ſind ſolche, welche den Fortſchritten der Wiſſenſchaft, der Blüthe des Staates Ohio, dem Ruhme unſrer großen und erleuchteten Nation in allen Theilen entſprechen. Unſre Wohl¬ thätigkeitsanſtalten ſind der Stolz unſers Landes.
Aber wie ſie ſich füllen, ſagt er nicht.
Siebentes Kapitel.
Dieſer Brief war der letzte, den Moorfeld aus Ohio an Benthal ſchrieb. Die ſcheinbare Ruhe und Mäßigung, womit er die unglückliche Begebenheit erzählt, war vielleicht ſchon in dem Augenblicke, da er's that, entweder nur die Ohnmacht des Betäubten, oder das mühſamſte Product der Reflexion, womit er — ein Mann vor einem Mann — ſich zuſammennahm. Anders ſah ihn ſeine nächſte Umgebung. Der Ausbruch der Wuth, von welchem er in knappeſter Gemeſſenheit Er¬ wähnung macht, daß er ihn unmittelbar gegen den Urheber des Un¬ glücks gerichtet, fluthete ungezähmt auch über die feſteren Dämme der geſelligen Ordnung und Verträglichkeit. Zunächſt zerfiel er mit Doctor Althof. Was er in ſeinem Briefe ſo ruhig ausſpricht: „Man will das unglückliche Kind in das Irrenhaus zu Columbus bringen“ be¬ kämpfte er in der Wirklichkeit mit dem heftigſten Widerſpruch. Er wolle ſie nun und nimmermehr „unter den Fäuſten der Yankees“ wiſſen, ſchwor er ununterbrochen, wie er überhaupt alle Heilvorſchläge des Doctors, welche die gewöhnliche Praxis in Lähmungsfällen befolgt, leidenſchaftlich verwarf. Er ſchalt den Doctor einen „craſſen Soma¬ tiker“, wollte das Kind mit Adagios auf der Violine heilen, wollte ihr friſche Blumen aus Deutſchland kommen laſſen und malte einen „Heilplan der Liebe“ aus, der vielleicht eine ſchönere Eingebung der Poeſie als der Wiſſenſchaft war. Ganz außer ſich gerieth er aber, als Vater Ermar ſelbſt, ohne von dem ärztlichen Streite einen Begriff zu haben, nur dem natürlichen Inſtincte des Verſtandes folgend, die Partei des Beſonnenen gegen den Excentriſchen ergriff und ſeine Kranke der
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und Zuſtände der Anſtalt ſind ſolche, welche den Fortſchritten der
Wiſſenſchaft, der Blüthe des Staates Ohio, dem Ruhme unſrer großen
und erleuchteten Nation in allen Theilen entſprechen. Unſre Wohl¬
thätigkeitsanſtalten ſind der Stolz unſers Landes.
Aber wie ſie ſich füllen, ſagt er nicht.
Siebentes Kapitel.
Dieſer Brief war der letzte, den Moorfeld aus Ohio an Benthal
ſchrieb. Die ſcheinbare Ruhe und Mäßigung, womit er die unglückliche
Begebenheit erzählt, war vielleicht ſchon in dem Augenblicke, da er's
that, entweder nur die Ohnmacht des Betäubten, oder das mühſamſte
Product der Reflexion, womit er — ein Mann vor einem Mann —
ſich zuſammennahm. Anders ſah ihn ſeine nächſte Umgebung. Der
Ausbruch der Wuth, von welchem er in knappeſter Gemeſſenheit Er¬
wähnung macht, daß er ihn unmittelbar gegen den Urheber des Un¬
glücks gerichtet, fluthete ungezähmt auch über die feſteren Dämme der
geſelligen Ordnung und Verträglichkeit. Zunächſt zerfiel er mit Doctor
Althof. Was er in ſeinem Briefe ſo ruhig ausſpricht: „Man will
das unglückliche Kind in das Irrenhaus zu Columbus bringen“ be¬
kämpfte er in der Wirklichkeit mit dem heftigſten Widerſpruch. Er
wolle ſie nun und nimmermehr „unter den Fäuſten der Yankees“
wiſſen, ſchwor er ununterbrochen, wie er überhaupt alle Heilvorſchläge
des Doctors, welche die gewöhnliche Praxis in Lähmungsfällen befolgt,
leidenſchaftlich verwarf. Er ſchalt den Doctor einen „craſſen Soma¬
tiker“, wollte das Kind mit Adagios auf der Violine heilen, wollte
ihr friſche Blumen aus Deutſchland kommen laſſen und malte einen
„Heilplan der Liebe“ aus, der vielleicht eine ſchönere Eingebung der
Poeſie als der Wiſſenſchaft war. Ganz außer ſich gerieth er aber, als
Vater Ermar ſelbſt, ohne von dem ärztlichen Streite einen Begriff zu
haben, nur dem natürlichen Inſtincte des Verſtandes folgend, die Partei
des Beſonnenen gegen den Excentriſchen ergriff und ſeine Kranke der
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/414>, abgerufen am 24.11.2024.
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