Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

kontala. Wohlan, ihre Grafschaft kann sie freilich hier wieder haben,
aber ihre Blumen nicht mehr. Die sind ihr verwandelt in fremde,
duft- und gemüthlose Schaustücke, die keinen Anspruch an ihre frü¬
here Liebe haben. Als sie mir zum Erstenmale dieses Leid klagte --
doch nein! ich kann nicht einmal sagen, daß sie klagte; sie sprach bloß
von Unterschieden, sie contrastirte bloß, nach ihrer Art, die deutsche
und die amerikanische Flora: aber die Wahl ihrer Ausdrücke, die
Mittel, sich deutlich zu machen, Ton, Mimik, die ganze Schwingung
ihres Naturgefühls gab einen so elegischen Klang, daß mich die
bitterste Wehmuth dabei ergriff. "Das ist ein Taubenkropf, hier steht
Hartheu, dort Schafgarbe, dort Weidenröschen am Sumpfrand der
Wiese; aber sehen Sie, wie verelendert das Alles am Boden kriecht!
Und wie sie bei uns zu Hause in die Luft wachsen! Es ist wie eine
Schule, wo die Einen in der Strafe stehen, die Anderen haben Flei߬
zeichen bekommen und sind lustig." -- "Haben Sie im Frühling den
Goldlack gesehen? Er riecht nicht und hat auch kein Gold; er ist
bleich und garstig -- wie ein Spielzeug, von dem die kleinen Kinder
die Farben abgeleckt haben." So steht sie, wie eine Heliotrope nach
der Sonne ihrer Heimath gewendet, verliert kein Wort der Sehnsucht,
und ist nichts als die Sehnsucht verkörpert. Ein Blumenkelch voll
ungeweinter Thränen!

Das Kind geht vor mir herum, wie eine Monade von mir. Nicht
Muskel, Nervengeist. Reines, passives Gefühl dessen, was bei uns als Be¬
wußtsein, als Geist- und Leibeskraft seine Wellen schlägt. Welch ein
Zauber, dieses bescheidene, unschuldige Leiden! Wir beflecken mit unserm
Haß die Welt, die unsere Ideale befleckt. Dieses Kind -- laß mich
den neuen Ausdruck gebrauchen -- haßt platonisch, wie man pla¬
tonisch liebt, d. h. sie erwidert das Häßliche nicht, sie empfindet es bloß.

Ich nenne sie mein Schwesterchen, da ich sie nicht meine Monade
oder Psyche nennen kann. Sie sollte mich Bruder nennen. Das ging
dem westphälischen Hartkopf erst nicht ein, zuletzt erreichte ich doch, daß
sie mich Herr Bruder nennen darf. Die Hauptsache ist, daß wir uns
dutzen. Ich kann mich von der Vignette meines eignen Ich nicht "Sie",
oder gar "Herr Doctor" anreden lassen.


D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 24

kontala. Wohlan, ihre Grafſchaft kann ſie freilich hier wieder haben,
aber ihre Blumen nicht mehr. Die ſind ihr verwandelt in fremde,
duft- und gemüthloſe Schauſtücke, die keinen Anſpruch an ihre frü¬
here Liebe haben. Als ſie mir zum Erſtenmale dieſes Leid klagte —
doch nein! ich kann nicht einmal ſagen, daß ſie klagte; ſie ſprach bloß
von Unterſchieden, ſie contraſtirte bloß, nach ihrer Art, die deutſche
und die amerikaniſche Flora: aber die Wahl ihrer Ausdrücke, die
Mittel, ſich deutlich zu machen, Ton, Mimik, die ganze Schwingung
ihres Naturgefühls gab einen ſo elegiſchen Klang, daß mich die
bitterſte Wehmuth dabei ergriff. „Das iſt ein Taubenkropf, hier ſteht
Hartheu, dort Schafgarbe, dort Weidenröschen am Sumpfrand der
Wieſe; aber ſehen Sie, wie verelendert das Alles am Boden kriecht!
Und wie ſie bei uns zu Hauſe in die Luft wachſen! Es iſt wie eine
Schule, wo die Einen in der Strafe ſtehen, die Anderen haben Flei߬
zeichen bekommen und ſind luſtig.“ — „Haben Sie im Frühling den
Goldlack geſehen? Er riecht nicht und hat auch kein Gold; er iſt
bleich und garſtig — wie ein Spielzeug, von dem die kleinen Kinder
die Farben abgeleckt haben.“ So ſteht ſie, wie eine Heliotrope nach
der Sonne ihrer Heimath gewendet, verliert kein Wort der Sehnſucht,
und iſt nichts als die Sehnſucht verkörpert. Ein Blumenkelch voll
ungeweinter Thränen!

Das Kind geht vor mir herum, wie eine Monade von mir. Nicht
Muskel, Nervengeiſt. Reines, paſſives Gefühl deſſen, was bei uns als Be¬
wußtſein, als Geiſt- und Leibeskraft ſeine Wellen ſchlägt. Welch ein
Zauber, dieſes beſcheidene, unſchuldige Leiden! Wir beflecken mit unſerm
Haß die Welt, die unſere Ideale befleckt. Dieſes Kind — laß mich
den neuen Ausdruck gebrauchen — haßt platoniſch, wie man pla¬
toniſch liebt, d. h. ſie erwidert das Häßliche nicht, ſie empfindet es bloß.

Ich nenne ſie mein Schweſterchen, da ich ſie nicht meine Monade
oder Pſyche nennen kann. Sie ſollte mich Bruder nennen. Das ging
dem weſtphäliſchen Hartkopf erſt nicht ein, zuletzt erreichte ich doch, daß
ſie mich Herr Bruder nennen darf. Die Hauptſache iſt, daß wir uns
dutzen. Ich kann mich von der Vignette meines eignen Ich nicht „Sie“,
oder gar „Herr Doctor“ anreden laſſen.


D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0375" n="357"/>
kontala. Wohlan, ihre Graf&#x017F;chaft kann &#x017F;ie freilich hier wieder haben,<lb/>
aber ihre Blumen nicht mehr. Die &#x017F;ind ihr verwandelt in fremde,<lb/>
duft- und gemüthlo&#x017F;e Schau&#x017F;tücke, die keinen An&#x017F;pruch an ihre frü¬<lb/>
here Liebe haben. Als &#x017F;ie mir zum Er&#x017F;tenmale die&#x017F;es Leid klagte &#x2014;<lb/>
doch nein! ich kann nicht einmal &#x017F;agen, daß &#x017F;ie klagte; &#x017F;ie &#x017F;prach bloß<lb/>
von Unter&#x017F;chieden, &#x017F;ie contra&#x017F;tirte bloß, nach ihrer Art, die deut&#x017F;che<lb/>
und die amerikani&#x017F;che Flora: aber die Wahl ihrer Ausdrücke, die<lb/>
Mittel, &#x017F;ich deutlich zu machen, Ton, Mimik, die ganze Schwingung<lb/>
ihres Naturgefühls gab einen &#x017F;o elegi&#x017F;chen Klang, daß mich die<lb/>
bitter&#x017F;te Wehmuth dabei ergriff. &#x201E;Das i&#x017F;t ein Taubenkropf, hier &#x017F;teht<lb/>
Hartheu, dort Schafgarbe, dort Weidenröschen am Sumpfrand der<lb/>
Wie&#x017F;e; aber &#x017F;ehen Sie, wie verelendert das Alles am Boden kriecht!<lb/>
Und wie &#x017F;ie bei uns zu Hau&#x017F;e in die Luft wach&#x017F;en! Es i&#x017F;t wie eine<lb/>
Schule, wo die Einen in der Strafe &#x017F;tehen, die Anderen haben Flei߬<lb/>
zeichen bekommen und &#x017F;ind lu&#x017F;tig.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Haben Sie im Frühling den<lb/>
Goldlack ge&#x017F;ehen? Er riecht nicht und hat auch kein Gold; er i&#x017F;t<lb/>
bleich und gar&#x017F;tig &#x2014; wie ein Spielzeug, von dem die kleinen Kinder<lb/>
die Farben abgeleckt haben.&#x201C; So &#x017F;teht &#x017F;ie, wie eine Heliotrope nach<lb/>
der Sonne ihrer Heimath gewendet, verliert kein Wort der Sehn&#x017F;ucht,<lb/>
und i&#x017F;t nichts als die Sehn&#x017F;ucht verkörpert. Ein Blumenkelch voll<lb/>
ungeweinter Thränen!</p><lb/>
          <p>Das Kind geht vor mir herum, wie eine Monade von mir. Nicht<lb/>
Muskel, Nervengei&#x017F;t. Reines, pa&#x017F;&#x017F;ives Gefühl de&#x017F;&#x017F;en, was bei uns als Be¬<lb/>
wußt&#x017F;ein, als Gei&#x017F;t- und Leibeskraft &#x017F;eine Wellen &#x017F;chlägt. Welch ein<lb/>
Zauber, die&#x017F;es be&#x017F;cheidene, un&#x017F;chuldige Leiden! Wir beflecken mit un&#x017F;erm<lb/>
Haß die Welt, die un&#x017F;ere Ideale befleckt. Die&#x017F;es Kind &#x2014; laß mich<lb/>
den neuen Ausdruck gebrauchen &#x2014; <hi rendition="#g">haßt platoni&#x017F;ch</hi>, wie man pla¬<lb/>
toni&#x017F;ch liebt, d. h. &#x017F;ie erwidert das Häßliche nicht, &#x017F;ie empfindet es bloß.</p><lb/>
          <p>Ich nenne &#x017F;ie mein Schwe&#x017F;terchen, da ich &#x017F;ie nicht meine Monade<lb/>
oder P&#x017F;yche nennen kann. Sie &#x017F;ollte mich Bruder nennen. Das ging<lb/>
dem we&#x017F;tphäli&#x017F;chen Hartkopf er&#x017F;t nicht ein, zuletzt erreichte ich doch, daß<lb/>
&#x017F;ie mich Herr Bruder nennen darf. Die Haupt&#x017F;ache i&#x017F;t, daß wir uns<lb/>
dutzen. Ich kann mich von der Vignette meines eignen Ich nicht &#x201E;Sie&#x201C;,<lb/>
oder gar &#x201E;Herr Doctor&#x201C; anreden la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="sig">D. B. <hi rendition="#aq #b">VIII</hi>. Der Amerika-Müde. 24<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0375] kontala. Wohlan, ihre Grafſchaft kann ſie freilich hier wieder haben, aber ihre Blumen nicht mehr. Die ſind ihr verwandelt in fremde, duft- und gemüthloſe Schauſtücke, die keinen Anſpruch an ihre frü¬ here Liebe haben. Als ſie mir zum Erſtenmale dieſes Leid klagte — doch nein! ich kann nicht einmal ſagen, daß ſie klagte; ſie ſprach bloß von Unterſchieden, ſie contraſtirte bloß, nach ihrer Art, die deutſche und die amerikaniſche Flora: aber die Wahl ihrer Ausdrücke, die Mittel, ſich deutlich zu machen, Ton, Mimik, die ganze Schwingung ihres Naturgefühls gab einen ſo elegiſchen Klang, daß mich die bitterſte Wehmuth dabei ergriff. „Das iſt ein Taubenkropf, hier ſteht Hartheu, dort Schafgarbe, dort Weidenröschen am Sumpfrand der Wieſe; aber ſehen Sie, wie verelendert das Alles am Boden kriecht! Und wie ſie bei uns zu Hauſe in die Luft wachſen! Es iſt wie eine Schule, wo die Einen in der Strafe ſtehen, die Anderen haben Flei߬ zeichen bekommen und ſind luſtig.“ — „Haben Sie im Frühling den Goldlack geſehen? Er riecht nicht und hat auch kein Gold; er iſt bleich und garſtig — wie ein Spielzeug, von dem die kleinen Kinder die Farben abgeleckt haben.“ So ſteht ſie, wie eine Heliotrope nach der Sonne ihrer Heimath gewendet, verliert kein Wort der Sehnſucht, und iſt nichts als die Sehnſucht verkörpert. Ein Blumenkelch voll ungeweinter Thränen! Das Kind geht vor mir herum, wie eine Monade von mir. Nicht Muskel, Nervengeiſt. Reines, paſſives Gefühl deſſen, was bei uns als Be¬ wußtſein, als Geiſt- und Leibeskraft ſeine Wellen ſchlägt. Welch ein Zauber, dieſes beſcheidene, unſchuldige Leiden! Wir beflecken mit unſerm Haß die Welt, die unſere Ideale befleckt. Dieſes Kind — laß mich den neuen Ausdruck gebrauchen — haßt platoniſch, wie man pla¬ toniſch liebt, d. h. ſie erwidert das Häßliche nicht, ſie empfindet es bloß. Ich nenne ſie mein Schweſterchen, da ich ſie nicht meine Monade oder Pſyche nennen kann. Sie ſollte mich Bruder nennen. Das ging dem weſtphäliſchen Hartkopf erſt nicht ein, zuletzt erreichte ich doch, daß ſie mich Herr Bruder nennen darf. Die Hauptſache iſt, daß wir uns dutzen. Ich kann mich von der Vignette meines eignen Ich nicht „Sie“, oder gar „Herr Doctor“ anreden laſſen. D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 24

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/375
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/375>, abgerufen am 24.11.2024.