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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Er contrastirte eben so fremdartig als vortheilhaft zu den Physiogno¬
mien um ihn her, denen die Wolfs- und Luchsnatur eines schlauen
und raubgierigen Materialismus grell aufgeprägt war. Er machte
neben ihnen mehr den Eindruck eines ausgedienten braven Soldaten,
der den Pflug ergriffen, oder eines kleinen Landedelmanns, der sein
Feld bestellt, als eines Landproletariers, der es ist mit der ganzen
Verkommenheit seines sittlichen und geistigen Zustandes. -- Sein mo¬
mentaner Zustand erweckte im steigenden Grade Sympathie. Er be¬
fand sich jenen Industrierittern gegenüber offenbar in einer schwierigen,
vielleicht selbst verzweifelten Lage. Moorfeld vergaß alles Uebrige um
sich, indem er den Fortgang dieser Scene verfolgte. Sie hatte ihren
Anfang genommen damit, daß einer der Industrieritter gesprächweise
zu dem Manne trat, und ihm, wie es schien, im Vorbeigehen ein
Offert machte, das er mit der Miene eines Gönners, sonst aber mit
großer Gleichgiltigkeit behandelte, gleichsam als wäre hier von einem
Vortheile die Rede, den nur der Andere allein genösse, während er selbst
kein Interesse dabei habe. Der Deutsche hatte ihn angehört, einige
Gegenfragen gemacht und dann, wie von einer Nothwendigkeit über¬
zeugt, die sich nicht ändern läßt, seine Brieftasche gezogen, aus der
er langsam und bedächtig eine Banknote hervorholte, die der Andere
leicht und ungedankt in seine Westentasche schob. Hierauf trat ein
zweiter der Uhrketten-behängten Gentlemens zu dem Manne. Es wie¬
derholte sich von ersterer Seite mit geringen, von letzterer aber mit
bedeutsameren Variationen dasselbe Spiel. Es war dem Deutschen, wie
man sehen konnte, eine sehr ernsthafte Sache, auch von dieser Person
in Anspruch genommen zu sein. Seine Miene verdunkelte sich, seine
Stirnfalten wurden tiefer, seine Augenbrauen zogen sich in die Höhe,
einer seiner Füße trat unwillkürlich zurück, die ganze Stellung drückte
das Schrecken aus, womit man sich gegen ein unvorhergesehenes Phä¬
nomen in Positur setzt und einen Augenblick stutzt, ob man sich ihr
unterwerfen muß, oder entziehen kann. Der Deutsche machte eine Ge¬
berde, mit der er offenbar auf den Mann wies, welcher so eben von
ihm gegangen: der Industrieritter dagegen wendete kaum den Kopf,
zuckte die Achseln und sagte mit einer wegwerfenden Handbewegung:
pah! Der Deutsche war unentschlossen, rathlos. Er warf einen ver¬
störten Blick auf seinen Gegner, maß ihn von oben bis unten und

D.B. VIII. Der Amerika-Müde. 20

Er contraſtirte eben ſo fremdartig als vortheilhaft zu den Phyſiogno¬
mien um ihn her, denen die Wolfs- und Luchsnatur eines ſchlauen
und raubgierigen Materialismus grell aufgeprägt war. Er machte
neben ihnen mehr den Eindruck eines ausgedienten braven Soldaten,
der den Pflug ergriffen, oder eines kleinen Landedelmanns, der ſein
Feld beſtellt, als eines Landproletariers, der es iſt mit der ganzen
Verkommenheit ſeines ſittlichen und geiſtigen Zuſtandes. — Sein mo¬
mentaner Zuſtand erweckte im ſteigenden Grade Sympathie. Er be¬
fand ſich jenen Induſtrierittern gegenüber offenbar in einer ſchwierigen,
vielleicht ſelbſt verzweifelten Lage. Moorfeld vergaß alles Uebrige um
ſich, indem er den Fortgang dieſer Scene verfolgte. Sie hatte ihren
Anfang genommen damit, daß einer der Induſtrieritter geſprächweiſe
zu dem Manne trat, und ihm, wie es ſchien, im Vorbeigehen ein
Offert machte, das er mit der Miene eines Gönners, ſonſt aber mit
großer Gleichgiltigkeit behandelte, gleichſam als wäre hier von einem
Vortheile die Rede, den nur der Andere allein genöſſe, während er ſelbſt
kein Intereſſe dabei habe. Der Deutſche hatte ihn angehört, einige
Gegenfragen gemacht und dann, wie von einer Nothwendigkeit über¬
zeugt, die ſich nicht ändern läßt, ſeine Brieftaſche gezogen, aus der
er langſam und bedächtig eine Banknote hervorholte, die der Andere
leicht und ungedankt in ſeine Weſtentaſche ſchob. Hierauf trat ein
zweiter der Uhrketten-behängten Gentlemens zu dem Manne. Es wie¬
derholte ſich von erſterer Seite mit geringen, von letzterer aber mit
bedeutſameren Variationen daſſelbe Spiel. Es war dem Deutſchen, wie
man ſehen konnte, eine ſehr ernſthafte Sache, auch von dieſer Perſon
in Anſpruch genommen zu ſein. Seine Miene verdunkelte ſich, ſeine
Stirnfalten wurden tiefer, ſeine Augenbrauen zogen ſich in die Höhe,
einer ſeiner Füße trat unwillkürlich zurück, die ganze Stellung drückte
das Schrecken aus, womit man ſich gegen ein unvorhergeſehenes Phä¬
nomen in Poſitur ſetzt und einen Augenblick ſtutzt, ob man ſich ihr
unterwerfen muß, oder entziehen kann. Der Deutſche machte eine Ge¬
berde, mit der er offenbar auf den Mann wies, welcher ſo eben von
ihm gegangen: der Induſtrieritter dagegen wendete kaum den Kopf,
zuckte die Achſeln und ſagte mit einer wegwerfenden Handbewegung:
pah! Der Deutſche war unentſchloſſen, rathlos. Er warf einen ver¬
ſtörten Blick auf ſeinen Gegner, maß ihn von oben bis unten und

D.B. VIII. Der Amerika-Müde. 20
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[305/0323] Er contraſtirte eben ſo fremdartig als vortheilhaft zu den Phyſiogno¬ mien um ihn her, denen die Wolfs- und Luchsnatur eines ſchlauen und raubgierigen Materialismus grell aufgeprägt war. Er machte neben ihnen mehr den Eindruck eines ausgedienten braven Soldaten, der den Pflug ergriffen, oder eines kleinen Landedelmanns, der ſein Feld beſtellt, als eines Landproletariers, der es iſt mit der ganzen Verkommenheit ſeines ſittlichen und geiſtigen Zuſtandes. — Sein mo¬ mentaner Zuſtand erweckte im ſteigenden Grade Sympathie. Er be¬ fand ſich jenen Induſtrierittern gegenüber offenbar in einer ſchwierigen, vielleicht ſelbſt verzweifelten Lage. Moorfeld vergaß alles Uebrige um ſich, indem er den Fortgang dieſer Scene verfolgte. Sie hatte ihren Anfang genommen damit, daß einer der Induſtrieritter geſprächweiſe zu dem Manne trat, und ihm, wie es ſchien, im Vorbeigehen ein Offert machte, das er mit der Miene eines Gönners, ſonſt aber mit großer Gleichgiltigkeit behandelte, gleichſam als wäre hier von einem Vortheile die Rede, den nur der Andere allein genöſſe, während er ſelbſt kein Intereſſe dabei habe. Der Deutſche hatte ihn angehört, einige Gegenfragen gemacht und dann, wie von einer Nothwendigkeit über¬ zeugt, die ſich nicht ändern läßt, ſeine Brieftaſche gezogen, aus der er langſam und bedächtig eine Banknote hervorholte, die der Andere leicht und ungedankt in ſeine Weſtentaſche ſchob. Hierauf trat ein zweiter der Uhrketten-behängten Gentlemens zu dem Manne. Es wie¬ derholte ſich von erſterer Seite mit geringen, von letzterer aber mit bedeutſameren Variationen daſſelbe Spiel. Es war dem Deutſchen, wie man ſehen konnte, eine ſehr ernſthafte Sache, auch von dieſer Perſon in Anſpruch genommen zu ſein. Seine Miene verdunkelte ſich, ſeine Stirnfalten wurden tiefer, ſeine Augenbrauen zogen ſich in die Höhe, einer ſeiner Füße trat unwillkürlich zurück, die ganze Stellung drückte das Schrecken aus, womit man ſich gegen ein unvorhergeſehenes Phä¬ nomen in Poſitur ſetzt und einen Augenblick ſtutzt, ob man ſich ihr unterwerfen muß, oder entziehen kann. Der Deutſche machte eine Ge¬ berde, mit der er offenbar auf den Mann wies, welcher ſo eben von ihm gegangen: der Induſtrieritter dagegen wendete kaum den Kopf, zuckte die Achſeln und ſagte mit einer wegwerfenden Handbewegung: pah! Der Deutſche war unentſchloſſen, rathlos. Er warf einen ver¬ ſtörten Blick auf ſeinen Gegner, maß ihn von oben bis unten und D.B. VIII. Der Amerika-Müde. 20

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/323>, abgerufen am 22.11.2024.