Das ist das Land, in welchem Niemand zu Grunde geht, wenn er arbeiten kann! Richtig, gewiß; denn von den zu Grundegegan¬ genen braucht man blos zu sagen, sie konnten nicht arbeiten. Vom Fieber braucht man nichts zu sagen. O, Herr, schick' uns alle Jahre eine Pest, und nimm dafür eins unsrer Vorurtheile von uns. -- Amerika ist ein Vorurtheil.
Pittsburg. -- Endlich bin ich hier angekommen. Pittsburg ist mit Philadelphia und Harrisburg die dritte Hauptstadt Pennsylvaniens. Sie gefällt mir so wenig wie die beiden andern. Philadelphia, ein aalglat¬ tes Ouäckernest, Harrisburg, eine Motte und Runzel aus dem vorigen Jahr hundert, Pittsburg brauch' ich nicht weiter anzuschwärzen, es ist schon so schwarz genug. Pittsburg ist eigentlich keine Stadt, sondern eine große bituminöse Steinkohle, welche Jahr aus, Jahr ein entsetzlich dampft und stinkt, die Luft verpestet und die Geldbeutel füllt. Letzte¬ res entschädigt denn in bekannter Weise den Yankee für alles Andere. Die große und volkreiche Stadt hat keine einzige Promenade, auf der man den Kohlenruß ein wenig von sich schütteln könnte, was doch so sehr Bedürfniß ist. Diese Gartenlosigkeit scheint überhaupt ein Grund¬ zug amerikanischer Städte, selbst Neuyork verdankt sein Hoboken den Holländern. Ich werde mich in diesem Rauch- und Schmauchschlott auch nicht länger verweilen, als nöthig ist, um Verschiedenes ein- und nachzukaufen, dann geht's an den Ufern des Ohio weiter. Der Ohio entsteht hier; die Vereinigung des Alleghany und Monongahela bilden ihn. Der Alleghany ist klar und hell, der Monongahela trüb und schlammig -- nehm' ich den Ohio für ein Bild meiner Ansiedlung, oder vielmehr des menschlichen Lebens überhaupt? Eine Mischung des Heitern und Trüben, des Lichten und Dunklen, welches die ewigen Gegensätze unsrer Schicksale sind? Wie Gott will! Ich entziehe mich dieser Mischung nicht, liebe sie aber freilich am meisten in dem, was wir bei uns "einen Melange" nennen, da nämlich das lichte Element fette Sahne, das dunkle kräftiger Mokka-Kaffee ist. Solche Schicksalstassen schlürfe ich gerne. Dazu eine brave Pfeife echt Türkischen, einen guten Freund, dem man ein gutes Gedicht vorliest, und muß es sein, irgend ein "süßes Schnäbelchen" für die schwächste Seite des mensch¬
Das iſt das Land, in welchem Niemand zu Grunde geht, wenn er arbeiten kann! Richtig, gewiß; denn von den zu Grundegegan¬ genen braucht man blos zu ſagen, ſie konnten nicht arbeiten. Vom Fieber braucht man nichts zu ſagen. O, Herr, ſchick' uns alle Jahre eine Peſt, und nimm dafür eins unſrer Vorurtheile von uns. — Amerika iſt ein Vorurtheil.
Pittsburg. — Endlich bin ich hier angekommen. Pittsburg iſt mit Philadelphia und Harrisburg die dritte Hauptſtadt Pennſylvaniens. Sie gefällt mir ſo wenig wie die beiden andern. Philadelphia, ein aalglat¬ tes Ouäckerneſt, Harrisburg, eine Motte und Runzel aus dem vorigen Jahr hundert, Pittsburg brauch' ich nicht weiter anzuſchwärzen, es iſt ſchon ſo ſchwarz genug. Pittsburg iſt eigentlich keine Stadt, ſondern eine große bituminöſe Steinkohle, welche Jahr aus, Jahr ein entſetzlich dampft und ſtinkt, die Luft verpeſtet und die Geldbeutel füllt. Letzte¬ res entſchädigt denn in bekannter Weiſe den Yankee für alles Andere. Die große und volkreiche Stadt hat keine einzige Promenade, auf der man den Kohlenruß ein wenig von ſich ſchütteln könnte, was doch ſo ſehr Bedürfniß iſt. Dieſe Gartenloſigkeit ſcheint überhaupt ein Grund¬ zug amerikaniſcher Städte, ſelbſt Neuyork verdankt ſein Hoboken den Holländern. Ich werde mich in dieſem Rauch- und Schmauchſchlott auch nicht länger verweilen, als nöthig iſt, um Verſchiedenes ein- und nachzukaufen, dann geht's an den Ufern des Ohio weiter. Der Ohio entſteht hier; die Vereinigung des Alleghany und Monongahela bilden ihn. Der Alleghany iſt klar und hell, der Monongahela trüb und ſchlammig — nehm' ich den Ohio für ein Bild meiner Anſiedlung, oder vielmehr des menſchlichen Lebens überhaupt? Eine Miſchung des Heitern und Trüben, des Lichten und Dunklen, welches die ewigen Gegenſätze unſrer Schickſale ſind? Wie Gott will! Ich entziehe mich dieſer Miſchung nicht, liebe ſie aber freilich am meiſten in dem, was wir bei uns „einen Melange“ nennen, da nämlich das lichte Element fette Sahne, das dunkle kräftiger Mokka-Kaffee iſt. Solche Schickſalstaſſen ſchlürfe ich gerne. Dazu eine brave Pfeife echt Türkiſchen, einen guten Freund, dem man ein gutes Gedicht vorliest, und muß es ſein, irgend ein „ſüßes Schnäbelchen“ für die ſchwächſte Seite des menſch¬
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Das iſt das Land, in welchem Niemand zu Grunde geht, wenn
er arbeiten kann! Richtig, gewiß; denn von den zu Grundegegan¬
genen braucht man blos zu ſagen, ſie konnten nicht arbeiten. Vom
Fieber braucht man nichts zu ſagen. O, Herr, ſchick' uns alle Jahre
eine Peſt, und nimm dafür eins unſrer Vorurtheile von uns. —
Amerika iſt ein Vorurtheil.
Pittsburg. — Endlich bin ich hier angekommen. Pittsburg iſt
mit Philadelphia und Harrisburg die dritte Hauptſtadt Pennſylvaniens.
Sie gefällt mir ſo wenig wie die beiden andern. Philadelphia, ein aalglat¬
tes Ouäckerneſt, Harrisburg, eine Motte und Runzel aus dem vorigen Jahr
hundert, Pittsburg brauch' ich nicht weiter anzuſchwärzen, es iſt ſchon
ſo ſchwarz genug. Pittsburg iſt eigentlich keine Stadt, ſondern eine
große bituminöſe Steinkohle, welche Jahr aus, Jahr ein entſetzlich
dampft und ſtinkt, die Luft verpeſtet und die Geldbeutel füllt. Letzte¬
res entſchädigt denn in bekannter Weiſe den Yankee für alles Andere.
Die große und volkreiche Stadt hat keine einzige Promenade, auf der
man den Kohlenruß ein wenig von ſich ſchütteln könnte, was doch ſo
ſehr Bedürfniß iſt. Dieſe Gartenloſigkeit ſcheint überhaupt ein Grund¬
zug amerikaniſcher Städte, ſelbſt Neuyork verdankt ſein Hoboken den
Holländern. Ich werde mich in dieſem Rauch- und Schmauchſchlott
auch nicht länger verweilen, als nöthig iſt, um Verſchiedenes ein- und
nachzukaufen, dann geht's an den Ufern des Ohio weiter. Der Ohio
entſteht hier; die Vereinigung des Alleghany und Monongahela bilden
ihn. Der Alleghany iſt klar und hell, der Monongahela trüb und
ſchlammig — nehm' ich den Ohio für ein Bild meiner Anſiedlung,
oder vielmehr des menſchlichen Lebens überhaupt? Eine Miſchung des
Heitern und Trüben, des Lichten und Dunklen, welches die ewigen
Gegenſätze unſrer Schickſale ſind? Wie Gott will! Ich entziehe mich
dieſer Miſchung nicht, liebe ſie aber freilich am meiſten in dem, was
wir bei uns „einen Melange“ nennen, da nämlich das lichte Element fette
Sahne, das dunkle kräftiger Mokka-Kaffee iſt. Solche Schickſalstaſſen
ſchlürfe ich gerne. Dazu eine brave Pfeife echt Türkiſchen, einen
guten Freund, dem man ein gutes Gedicht vorliest, und muß es ſein,
irgend ein „ſüßes Schnäbelchen“ für die ſchwächſte Seite des menſch¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/315>, abgerufen am 22.11.2024.
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