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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Fieberkranken zurück. Die arme Leidende leerte ihn sofort wieder zur
Hälfte. Sie schlug die Augen auf, die einst ein schönes Veilchenpaar
waren, ihre Züge verriethen Jugend und weibliche Reize, aber alles
hoffnungslos zerstört von Fieber und Seelenleiden. Wir fingen zu
sprechen an. Sie war die Tochter eines Marburger Professors; ihr
Mann, wie ich hörte, der blühendste und geistvollste Studiosus, der
im Hause ihres Vaters Zutritt gehabt. Demagogenhetzen vertrieben
ihn. Ich sprach von dem Aufopferungsmuth, womit sie sein Schick¬
sal getheilt. Ein schmerzliches Lächeln überflog das Antlitz der Dul¬
derin. Verzeihung, mein Herr, ich war ja Miß Temple von Temple¬
town und unsere Thee's gratulirten mir lebhaft zu der Lustparthie.
Also Cooper'sche Roman-Ideale! Welcher Unstern sie in diese wasserlose
Steppe verschlagen? Das traurige Lächeln wiederholte sich wieder.
Als uns der Landagent hierherführte, waren wir umrauscht von
Wasserkräften. Dort floß der Monongahela und hier ein Nebenfluß
von ihm. Der eine ist ausgetrocknet, Sie müssen über sein spurloses
Bett geritten sein. Der andere ist nur bei Hochwasser hier, sonst auf
drei Meilen entfernt. -- Da hast du das Ganze der deutschen Auswan¬
derung. Zur Hälfte betrügt man sich selbst, zur Hälfte wird man be¬
trogen; Resultat: ganzer Ruin! Die wenigen Worte hatten das arme
Weib wieder so erschöpft, daß sie seufzend auf's Lager zurücksank. Sie
trank fortwährend Wasser, aber immer mit weniger Labniß. Der
Mann war nach Milch aus, d. h. es mußte ihm gelingen, seiner
Milchkuh habhaft zu werden, da das Vieh halbwild hier im Freien
weidet. Ich konnte es nicht über mich bringen, die Aermste einsam zu
lassen, obwohl sie es wahrscheinlich tagelang ist. Ich suchte mir
die Zeit zu vertreiben. Einen meiner ersten Blicke in der
Hütte hatte ein Bücherregal auf sich gezogen; das musterte
ich jetzt. Ich fand eine schöne juristische Literatur aufgestellt,
dazwischen deutsche und englische Classiker, Chateaubriand's Natchez,
Duden's Missouri und ähnliche Phantasiewerke über Amerika. Alles
von dickem Staub überzogen. An der Wand hing eine Flöte, deren
Mundloch das Kunstwerk einer Spinne ausfüllte. Die Tinte im Tinten¬
faß war vertrocknet und hatte sich in dürre Krusten gespalten. Neben
diesen Betrachtungen griff ich wieder zum Krug und ging hinaus, ihn
von neuem zu füllen. Ich entdeckte jetzt einen Pfad, dessen Steigung

Fieberkranken zurück. Die arme Leidende leerte ihn ſofort wieder zur
Hälfte. Sie ſchlug die Augen auf, die einſt ein ſchönes Veilchenpaar
waren, ihre Züge verriethen Jugend und weibliche Reize, aber alles
hoffnungslos zerſtört von Fieber und Seelenleiden. Wir fingen zu
ſprechen an. Sie war die Tochter eines Marburger Profeſſors; ihr
Mann, wie ich hörte, der blühendſte und geiſtvollſte Studioſus, der
im Hauſe ihres Vaters Zutritt gehabt. Demagogenhetzen vertrieben
ihn. Ich ſprach von dem Aufopferungsmuth, womit ſie ſein Schick¬
ſal getheilt. Ein ſchmerzliches Lächeln überflog das Antlitz der Dul¬
derin. Verzeihung, mein Herr, ich war ja Miß Temple von Temple¬
town und unſere Thee's gratulirten mir lebhaft zu der Luſtparthie.
Alſo Cooper'ſche Roman-Ideale! Welcher Unſtern ſie in dieſe waſſerloſe
Steppe verſchlagen? Das traurige Lächeln wiederholte ſich wieder.
Als uns der Landagent hierherführte, waren wir umrauſcht von
Waſſerkräften. Dort floß der Monongahela und hier ein Nebenfluß
von ihm. Der eine iſt ausgetrocknet, Sie müſſen über ſein ſpurloſes
Bett geritten ſein. Der andere iſt nur bei Hochwaſſer hier, ſonſt auf
drei Meilen entfernt. — Da haſt du das Ganze der deutſchen Auswan¬
derung. Zur Hälfte betrügt man ſich ſelbſt, zur Hälfte wird man be¬
trogen; Reſultat: ganzer Ruin! Die wenigen Worte hatten das arme
Weib wieder ſo erſchöpft, daß ſie ſeufzend auf's Lager zurückſank. Sie
trank fortwährend Waſſer, aber immer mit weniger Labniß. Der
Mann war nach Milch aus, d. h. es mußte ihm gelingen, ſeiner
Milchkuh habhaft zu werden, da das Vieh halbwild hier im Freien
weidet. Ich konnte es nicht über mich bringen, die Aermſte einſam zu
laſſen, obwohl ſie es wahrſcheinlich tagelang iſt. Ich ſuchte mir
die Zeit zu vertreiben. Einen meiner erſten Blicke in der
Hütte hatte ein Bücherregal auf ſich gezogen; das muſterte
ich jetzt. Ich fand eine ſchöne juriſtiſche Literatur aufgeſtellt,
dazwiſchen deutſche und engliſche Claſſiker, Chateaubriand's Natchez,
Duden's Miſſouri und ähnliche Phantaſiewerke über Amerika. Alles
von dickem Staub überzogen. An der Wand hing eine Flöte, deren
Mundloch das Kunſtwerk einer Spinne ausfüllte. Die Tinte im Tinten¬
faß war vertrocknet und hatte ſich in dürre Kruſten geſpalten. Neben
dieſen Betrachtungen griff ich wieder zum Krug und ging hinaus, ihn
von neuem zu füllen. Ich entdeckte jetzt einen Pfad, deſſen Steigung

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[295/0313] Fieberkranken zurück. Die arme Leidende leerte ihn ſofort wieder zur Hälfte. Sie ſchlug die Augen auf, die einſt ein ſchönes Veilchenpaar waren, ihre Züge verriethen Jugend und weibliche Reize, aber alles hoffnungslos zerſtört von Fieber und Seelenleiden. Wir fingen zu ſprechen an. Sie war die Tochter eines Marburger Profeſſors; ihr Mann, wie ich hörte, der blühendſte und geiſtvollſte Studioſus, der im Hauſe ihres Vaters Zutritt gehabt. Demagogenhetzen vertrieben ihn. Ich ſprach von dem Aufopferungsmuth, womit ſie ſein Schick¬ ſal getheilt. Ein ſchmerzliches Lächeln überflog das Antlitz der Dul¬ derin. Verzeihung, mein Herr, ich war ja Miß Temple von Temple¬ town und unſere Thee's gratulirten mir lebhaft zu der Luſtparthie. Alſo Cooper'ſche Roman-Ideale! Welcher Unſtern ſie in dieſe waſſerloſe Steppe verſchlagen? Das traurige Lächeln wiederholte ſich wieder. Als uns der Landagent hierherführte, waren wir umrauſcht von Waſſerkräften. Dort floß der Monongahela und hier ein Nebenfluß von ihm. Der eine iſt ausgetrocknet, Sie müſſen über ſein ſpurloſes Bett geritten ſein. Der andere iſt nur bei Hochwaſſer hier, ſonſt auf drei Meilen entfernt. — Da haſt du das Ganze der deutſchen Auswan¬ derung. Zur Hälfte betrügt man ſich ſelbſt, zur Hälfte wird man be¬ trogen; Reſultat: ganzer Ruin! Die wenigen Worte hatten das arme Weib wieder ſo erſchöpft, daß ſie ſeufzend auf's Lager zurückſank. Sie trank fortwährend Waſſer, aber immer mit weniger Labniß. Der Mann war nach Milch aus, d. h. es mußte ihm gelingen, ſeiner Milchkuh habhaft zu werden, da das Vieh halbwild hier im Freien weidet. Ich konnte es nicht über mich bringen, die Aermſte einſam zu laſſen, obwohl ſie es wahrſcheinlich tagelang iſt. Ich ſuchte mir die Zeit zu vertreiben. Einen meiner erſten Blicke in der Hütte hatte ein Bücherregal auf ſich gezogen; das muſterte ich jetzt. Ich fand eine ſchöne juriſtiſche Literatur aufgeſtellt, dazwiſchen deutſche und engliſche Claſſiker, Chateaubriand's Natchez, Duden's Miſſouri und ähnliche Phantaſiewerke über Amerika. Alles von dickem Staub überzogen. An der Wand hing eine Flöte, deren Mundloch das Kunſtwerk einer Spinne ausfüllte. Die Tinte im Tinten¬ faß war vertrocknet und hatte ſich in dürre Kruſten geſpalten. Neben dieſen Betrachtungen griff ich wieder zum Krug und ging hinaus, ihn von neuem zu füllen. Ich entdeckte jetzt einen Pfad, deſſen Steigung

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/313>, abgerufen am 10.05.2024.