Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Alle schauderten! Dieser totale Begriffsmangel von menschlicher Ehre
und Würde, dieses hündische Wegwerfen seiner selbst, diese fünfjährige
Niedertracht einer freiwilligen Sklaverei mit Weib und Kind um
einer lumpigen Handvoll Dollars willen, und die Meinung dazu, das
Alles wäre nur weltklug, weltklug im amerikanischen Sinne -- wir
waren außer Fassung, bei dieser Art, sich mit dem niedrigsten
Knechtssinn in das freieste Land der Erde einzuschleichen. Warum ich
nicht der Sohn jenes Hauses sein wollte, mein Herr! Wohlan, jenes
Haus ist's, wovon ich dieses Geschichtchen erzählte. Es ist Hawke's,
oder, wie es jetzt heißt, Martin's Farm. Die Buben sind indeß auf¬
gewachsen, gleich mir, und können die höchsten Staatswürden erreichen,
die unsere freie und herrliche Verfassung allen Bürgern dieses Landes
zugänglich macht; aber noch einmal: Gott behüte mich, aus diesem
Blute entsprossen, Gott behüte mich, der Sohn dieses Hauses zu sein!

So erzählte der Jüngling. Dichterisch wie seine schöne Persönlich¬
keit mich ansprach, wünschte ich nichts mehr, als ich hätte aus seinem
Munde eine Dichtung vernommen! Aber leider! jedes Härchen ist
deutsch an dem alten Martin; das Portrait ist vernichtend wahr.
Und wenn ich nun künftig die schmucken Muster-Höfe der Pennsylvania-
Deutschen vorüberreite, so werde ich den stinkenden Sack im Hintergrund
riechen -- und auch um diese Freude ist's gethan!

Der schöne Jüngling bot mir Herberge in seinem eigenen Hause --
es war mir nicht möglich, Besiegter, in die Pforten des Siegers einzu¬
ziehen. Aber auch von Martin's Farm lenkt' ich mein Pferd weg. Ich
führte es sachte ab in ein Gehölz, bettete mich diese Nacht in's Gras
und weinte über die Nation, welcher Alles verliehen ist, nur Eines
nicht: der alleinseligmachende Nationalstolz.

Später ging der Mond auf, es war das erstemal, daß er mich
kalt ließ. Armer Proletarier, dacht' ich, was kann man Elenderes
sein, als ein Trabant dieser Erde!


Nach Pittsburg. -- Heute fiel mir das Herz wie nie. Ich sah
den ersten Hinterwalds-Anbau. Grausenhaft! Ich finde kein Wort,
das Unversöhnliche eines solchen Anblicks für das europäische Gefühl
zu beschreiben. Ist's denn möglich? Was man längst gelesen hat --

Alle ſchauderten! Dieſer totale Begriffsmangel von menſchlicher Ehre
und Würde, dieſes hündiſche Wegwerfen ſeiner ſelbſt, dieſe fünfjährige
Niedertracht einer freiwilligen Sklaverei mit Weib und Kind um
einer lumpigen Handvoll Dollars willen, und die Meinung dazu, das
Alles wäre nur weltklug, weltklug im amerikaniſchen Sinne — wir
waren außer Faſſung, bei dieſer Art, ſich mit dem niedrigſten
Knechtsſinn in das freieſte Land der Erde einzuſchleichen. Warum ich
nicht der Sohn jenes Hauſes ſein wollte, mein Herr! Wohlan, jenes
Haus iſt's, wovon ich dieſes Geſchichtchen erzählte. Es iſt Hawke's,
oder, wie es jetzt heißt, Martin's Farm. Die Buben ſind indeß auf¬
gewachſen, gleich mir, und können die höchſten Staatswürden erreichen,
die unſere freie und herrliche Verfaſſung allen Bürgern dieſes Landes
zugänglich macht; aber noch einmal: Gott behüte mich, aus dieſem
Blute entſproſſen, Gott behüte mich, der Sohn dieſes Hauſes zu ſein!

So erzählte der Jüngling. Dichteriſch wie ſeine ſchöne Perſönlich¬
keit mich anſprach, wünſchte ich nichts mehr, als ich hätte aus ſeinem
Munde eine Dichtung vernommen! Aber leider! jedes Härchen iſt
deutſch an dem alten Martin; das Portrait iſt vernichtend wahr.
Und wenn ich nun künftig die ſchmucken Muſter-Höfe der Pennſylvania-
Deutſchen vorüberreite, ſo werde ich den ſtinkenden Sack im Hintergrund
riechen — und auch um dieſe Freude iſt's gethan!

Der ſchöne Jüngling bot mir Herberge in ſeinem eigenen Hauſe —
es war mir nicht möglich, Beſiegter, in die Pforten des Siegers einzu¬
ziehen. Aber auch von Martin's Farm lenkt' ich mein Pferd weg. Ich
führte es ſachte ab in ein Gehölz, bettete mich dieſe Nacht in's Gras
und weinte über die Nation, welcher Alles verliehen iſt, nur Eines
nicht: der alleinſeligmachende Nationalſtolz.

Später ging der Mond auf, es war das erſtemal, daß er mich
kalt ließ. Armer Proletarier, dacht' ich, was kann man Elenderes
ſein, als ein Trabant dieſer Erde!


Nach Pittsburg. — Heute fiel mir das Herz wie nie. Ich ſah
den erſten Hinterwalds-Anbau. Grauſenhaft! Ich finde kein Wort,
das Unverſöhnliche eines ſolchen Anblicks für das europäiſche Gefühl
zu beſchreiben. Iſt's denn möglich? Was man längſt geleſen hat —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0310" n="292"/>
Alle &#x017F;chauderten! Die&#x017F;er totale Begriffsmangel von men&#x017F;chlicher Ehre<lb/>
und Würde, die&#x017F;es hündi&#x017F;che Wegwerfen &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t, die&#x017F;e fünfjährige<lb/>
Niedertracht einer freiwilligen Sklaverei mit Weib und Kind um<lb/>
einer lumpigen Handvoll Dollars willen, und die Meinung dazu, das<lb/>
Alles wäre nur weltklug, weltklug im amerikani&#x017F;chen Sinne &#x2014; wir<lb/>
waren außer Fa&#x017F;&#x017F;ung, bei die&#x017F;er Art, &#x017F;ich mit dem niedrig&#x017F;ten<lb/>
Knechts&#x017F;inn in das freie&#x017F;te Land der Erde einzu&#x017F;chleichen. Warum ich<lb/>
nicht der Sohn jenes Hau&#x017F;es &#x017F;ein wollte, mein Herr! Wohlan, jenes<lb/>
Haus i&#x017F;t's, wovon ich die&#x017F;es Ge&#x017F;chichtchen erzählte. Es i&#x017F;t Hawke's,<lb/>
oder, wie es jetzt heißt, Martin's Farm. Die Buben &#x017F;ind indeß auf¬<lb/>
gewach&#x017F;en, gleich mir, und können die höch&#x017F;ten Staatswürden erreichen,<lb/>
die un&#x017F;ere freie und herrliche Verfa&#x017F;&#x017F;ung allen Bürgern die&#x017F;es Landes<lb/>
zugänglich macht; aber noch einmal: Gott behüte mich, aus die&#x017F;em<lb/>
Blute ent&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en, Gott behüte mich, der Sohn die&#x017F;es Hau&#x017F;es zu &#x017F;ein!</p><lb/>
            <p>So erzählte der Jüngling. Dichteri&#x017F;ch wie &#x017F;eine &#x017F;chöne Per&#x017F;önlich¬<lb/>
keit mich an&#x017F;prach, wün&#x017F;chte ich nichts mehr, als ich hätte aus &#x017F;einem<lb/>
Munde eine <hi rendition="#g">Dichtung</hi> vernommen! Aber leider! jedes Härchen i&#x017F;t<lb/>
deut&#x017F;ch an dem alten Martin; das Portrait i&#x017F;t vernichtend wahr.<lb/>
Und wenn ich nun künftig die &#x017F;chmucken Mu&#x017F;ter-Höfe der Penn&#x017F;ylvania-<lb/>
Deut&#x017F;chen vorüberreite, &#x017F;o werde ich den &#x017F;tinkenden Sack im Hintergrund<lb/>
riechen &#x2014; und auch um die&#x017F;e Freude i&#x017F;t's gethan!</p><lb/>
            <p>Der &#x017F;chöne Jüngling bot mir Herberge in &#x017F;einem eigenen Hau&#x017F;e &#x2014;<lb/>
es war mir nicht möglich, Be&#x017F;iegter, in die Pforten des Siegers einzu¬<lb/>
ziehen. Aber auch von Martin's Farm lenkt' ich mein Pferd weg. Ich<lb/>
führte es &#x017F;achte ab in ein Gehölz, bettete mich die&#x017F;e Nacht in's Gras<lb/>
und weinte über die Nation, welcher Alles verliehen i&#x017F;t, nur Eines<lb/>
nicht: der allein&#x017F;eligmachende <hi rendition="#g">National</hi>&#x017F;<hi rendition="#g">tolz</hi>.</p><lb/>
            <p>Später ging der Mond auf, es war das er&#x017F;temal, daß er mich<lb/>
kalt ließ. Armer Proletarier, dacht' ich, was kann man Elenderes<lb/>
&#x017F;ein, als ein Trabant die&#x017F;er Erde!</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Nach <hi rendition="#g">Pittsburg</hi>. &#x2014; Heute fiel mir das Herz wie nie. Ich &#x017F;ah<lb/>
den er&#x017F;ten Hinterwalds-Anbau. Grau&#x017F;enhaft! Ich finde kein Wort,<lb/>
das Unver&#x017F;öhnliche eines &#x017F;olchen Anblicks für das europäi&#x017F;che Gefühl<lb/>
zu be&#x017F;chreiben. I&#x017F;t's denn möglich? Was man läng&#x017F;t gele&#x017F;en hat &#x2014;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0310] Alle ſchauderten! Dieſer totale Begriffsmangel von menſchlicher Ehre und Würde, dieſes hündiſche Wegwerfen ſeiner ſelbſt, dieſe fünfjährige Niedertracht einer freiwilligen Sklaverei mit Weib und Kind um einer lumpigen Handvoll Dollars willen, und die Meinung dazu, das Alles wäre nur weltklug, weltklug im amerikaniſchen Sinne — wir waren außer Faſſung, bei dieſer Art, ſich mit dem niedrigſten Knechtsſinn in das freieſte Land der Erde einzuſchleichen. Warum ich nicht der Sohn jenes Hauſes ſein wollte, mein Herr! Wohlan, jenes Haus iſt's, wovon ich dieſes Geſchichtchen erzählte. Es iſt Hawke's, oder, wie es jetzt heißt, Martin's Farm. Die Buben ſind indeß auf¬ gewachſen, gleich mir, und können die höchſten Staatswürden erreichen, die unſere freie und herrliche Verfaſſung allen Bürgern dieſes Landes zugänglich macht; aber noch einmal: Gott behüte mich, aus dieſem Blute entſproſſen, Gott behüte mich, der Sohn dieſes Hauſes zu ſein! So erzählte der Jüngling. Dichteriſch wie ſeine ſchöne Perſönlich¬ keit mich anſprach, wünſchte ich nichts mehr, als ich hätte aus ſeinem Munde eine Dichtung vernommen! Aber leider! jedes Härchen iſt deutſch an dem alten Martin; das Portrait iſt vernichtend wahr. Und wenn ich nun künftig die ſchmucken Muſter-Höfe der Pennſylvania- Deutſchen vorüberreite, ſo werde ich den ſtinkenden Sack im Hintergrund riechen — und auch um dieſe Freude iſt's gethan! Der ſchöne Jüngling bot mir Herberge in ſeinem eigenen Hauſe — es war mir nicht möglich, Beſiegter, in die Pforten des Siegers einzu¬ ziehen. Aber auch von Martin's Farm lenkt' ich mein Pferd weg. Ich führte es ſachte ab in ein Gehölz, bettete mich dieſe Nacht in's Gras und weinte über die Nation, welcher Alles verliehen iſt, nur Eines nicht: der alleinſeligmachende Nationalſtolz. Später ging der Mond auf, es war das erſtemal, daß er mich kalt ließ. Armer Proletarier, dacht' ich, was kann man Elenderes ſein, als ein Trabant dieſer Erde! Nach Pittsburg. — Heute fiel mir das Herz wie nie. Ich ſah den erſten Hinterwalds-Anbau. Grauſenhaft! Ich finde kein Wort, das Unverſöhnliche eines ſolchen Anblicks für das europäiſche Gefühl zu beſchreiben. Iſt's denn möglich? Was man längſt geleſen hat —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/310
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/310>, abgerufen am 10.05.2024.