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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Pappeln ein Thurm und die letzte wie ein Grashalm erscheinen kann
-- wer überwände die Täuschungskraft einer solchen Perspective? Wahr¬
lich, ein Volk, das in diesen Dimensionen denkt, hat etwas von dem
Geiste der die neunte Symphonie schrieb, oder den olympischen Jupi¬
ter meißelte! Es hat ein Recht an das: anch' io son' pittore! Der
Newsky-Prospect ist ein Kaisergedanke, eine Linie aus dem Generalstab;
der Broadway ist ein Volksgedanke, ein Maß nach der Krämerelle!
Setzet sie unter die Sterne, diese Krämerelle!

Die Seele unsers Helden, jedes Große und Neue schnell in seiner
höchsten Wesenheit fassend, huldiget so dem ersten Anblicke des Broad¬
way. Im nächsten Augenblicke nimmt er es auf mit ihm. Er
ist entschlossen, in diesen Strom unterzutauchen, und stürzt sich muthig
hinein. Und wahrlich, ein Strom ist die Pulsader Newyorks, ohne
alle Figur. Ein Mississippi zu Lande! In der Fahrstraße hat die
gestaute Fluth der Fuhrwerke kaum Zeit und Raum sich aus einan¬
der zu wirren und individuell abzufließen. Welch ein Schwall von
Wagen bedeckt hier in jedem Augenblicke jeden Quadratzoll Landes!
Die Karre des Shopkeepers zerrt ihre Ballen und Fässer, der urmensch¬
lichen Schleife verwandt, niedrig am Boden dahin -- das kurzbeinige
Krokodill dieses Strombettes. Delphinenleicht und lustig tanzt die
Karrosse des Millionärs an ihr vorbei, hochgepolstert über Shopkee¬
pers Niveau, das vielleicht einst das ihrige war. Plump und brutal
wälzt sich die fahrbare Völkerwanderung im Omnibus, die riesige
Wallfischmaschine, daher, und schurft, alle Fluth an die Seiten drängend,
ihre breitspurige Wogenbahn. Wer ist groß außer ihr? Der Cir¬
pencefahrer auf der Decke dieses Kastens blickt in die Karrosse nieder,
wie von der Belletage in's Kellergewölbe. Und doch ist über dem keck¬
bemalten, fahnenbewimmelten Omnibus noch ein höheres Wesen.
Platz da! rette sich wer kann! die Straße verdunkelt sich, -- ein lan¬
ger, keuchender Pferdetrain schleppt ihn herauf, den Alles überragenden
Transportwagen. Ein Haus transportirt er -- ein fertiges Back¬
steinhaus! Nur das Dach und der Schornstein fehlt, wenn sie nicht
dem Ungeheuer wie in einem Strickkörbchen, nachgeführt werden. --
So die Straße. Gefähr jeder Größe, Form und Bestimmung drängt
sich so dicht hinter einander, daß das Ganze wie ein einziger Leib,
wie ein unsterblicher Heerwurm sich ausnimmt. Die tägliche Bilanz dieser

Pappeln ein Thurm und die letzte wie ein Grashalm erſcheinen kann
— wer überwände die Täuſchungskraft einer ſolchen Perſpective? Wahr¬
lich, ein Volk, das in dieſen Dimenſionen denkt, hat etwas von dem
Geiſte der die neunte Symphonie ſchrieb, oder den olympiſchen Jupi¬
ter meißelte! Es hat ein Recht an das: anch' io son' pittore! Der
Newsky-Proſpect iſt ein Kaiſergedanke, eine Linie aus dem Generalſtab;
der Broadway iſt ein Volksgedanke, ein Maß nach der Krämerelle!
Setzet ſie unter die Sterne, dieſe Krämerelle!

Die Seele unſers Helden, jedes Große und Neue ſchnell in ſeiner
höchſten Weſenheit faſſend, huldiget ſo dem erſten Anblicke des Broad¬
way. Im nächſten Augenblicke nimmt er es auf mit ihm. Er
iſt entſchloſſen, in dieſen Strom unterzutauchen, und ſtürzt ſich muthig
hinein. Und wahrlich, ein Strom iſt die Pulsader Newyorks, ohne
alle Figur. Ein Miſſiſſippi zu Lande! In der Fahrſtraße hat die
geſtaute Fluth der Fuhrwerke kaum Zeit und Raum ſich aus einan¬
der zu wirren und individuell abzufließen. Welch ein Schwall von
Wagen bedeckt hier in jedem Augenblicke jeden Quadratzoll Landes!
Die Karre des Shopkeepers zerrt ihre Ballen und Fäſſer, der urmenſch¬
lichen Schleife verwandt, niedrig am Boden dahin — das kurzbeinige
Krokodill dieſes Strombettes. Delphinenleicht und luſtig tanzt die
Karroſſe des Millionärs an ihr vorbei, hochgepolſtert über Shopkee¬
pers Niveau, das vielleicht einſt das ihrige war. Plump und brutal
wälzt ſich die fahrbare Völkerwanderung im Omnibus, die rieſige
Wallfiſchmaſchine, daher, und ſchurft, alle Fluth an die Seiten drängend,
ihre breitſpurige Wogenbahn. Wer iſt groß außer ihr? Der Cir¬
pencefahrer auf der Decke dieſes Kaſtens blickt in die Karroſſe nieder,
wie von der Belletage in's Kellergewölbe. Und doch iſt über dem keck¬
bemalten, fahnenbewimmelten Omnibus noch ein höheres Weſen.
Platz da! rette ſich wer kann! die Straße verdunkelt ſich, — ein lan¬
ger, keuchender Pferdetrain ſchleppt ihn herauf, den Alles überragenden
Transportwagen. Ein Haus transportirt er — ein fertiges Back¬
ſteinhaus! Nur das Dach und der Schornſtein fehlt, wenn ſie nicht
dem Ungeheuer wie in einem Strickkörbchen, nachgeführt werden. —
So die Straße. Gefähr jeder Größe, Form und Beſtimmung drängt
ſich ſo dicht hinter einander, daß das Ganze wie ein einziger Leib,
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[12/0030] Pappeln ein Thurm und die letzte wie ein Grashalm erſcheinen kann — wer überwände die Täuſchungskraft einer ſolchen Perſpective? Wahr¬ lich, ein Volk, das in dieſen Dimenſionen denkt, hat etwas von dem Geiſte der die neunte Symphonie ſchrieb, oder den olympiſchen Jupi¬ ter meißelte! Es hat ein Recht an das: anch' io son' pittore! Der Newsky-Proſpect iſt ein Kaiſergedanke, eine Linie aus dem Generalſtab; der Broadway iſt ein Volksgedanke, ein Maß nach der Krämerelle! Setzet ſie unter die Sterne, dieſe Krämerelle! Die Seele unſers Helden, jedes Große und Neue ſchnell in ſeiner höchſten Weſenheit faſſend, huldiget ſo dem erſten Anblicke des Broad¬ way. Im nächſten Augenblicke nimmt er es auf mit ihm. Er iſt entſchloſſen, in dieſen Strom unterzutauchen, und ſtürzt ſich muthig hinein. Und wahrlich, ein Strom iſt die Pulsader Newyorks, ohne alle Figur. Ein Miſſiſſippi zu Lande! In der Fahrſtraße hat die geſtaute Fluth der Fuhrwerke kaum Zeit und Raum ſich aus einan¬ der zu wirren und individuell abzufließen. Welch ein Schwall von Wagen bedeckt hier in jedem Augenblicke jeden Quadratzoll Landes! Die Karre des Shopkeepers zerrt ihre Ballen und Fäſſer, der urmenſch¬ lichen Schleife verwandt, niedrig am Boden dahin — das kurzbeinige Krokodill dieſes Strombettes. Delphinenleicht und luſtig tanzt die Karroſſe des Millionärs an ihr vorbei, hochgepolſtert über Shopkee¬ pers Niveau, das vielleicht einſt das ihrige war. Plump und brutal wälzt ſich die fahrbare Völkerwanderung im Omnibus, die rieſige Wallfiſchmaſchine, daher, und ſchurft, alle Fluth an die Seiten drängend, ihre breitſpurige Wogenbahn. Wer iſt groß außer ihr? Der Cir¬ pencefahrer auf der Decke dieſes Kaſtens blickt in die Karroſſe nieder, wie von der Belletage in's Kellergewölbe. Und doch iſt über dem keck¬ bemalten, fahnenbewimmelten Omnibus noch ein höheres Weſen. Platz da! rette ſich wer kann! die Straße verdunkelt ſich, — ein lan¬ ger, keuchender Pferdetrain ſchleppt ihn herauf, den Alles überragenden Transportwagen. Ein Haus transportirt er — ein fertiges Back¬ ſteinhaus! Nur das Dach und der Schornſtein fehlt, wenn ſie nicht dem Ungeheuer wie in einem Strickkörbchen, nachgeführt werden. — So die Straße. Gefähr jeder Größe, Form und Beſtimmung drängt ſich ſo dicht hinter einander, daß das Ganze wie ein einziger Leib, wie ein unſterblicher Heerwurm ſich ausnimmt. Die tägliche Bilanz dieſer

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/30>, abgerufen am 21.11.2024.