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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Harrisburg. -- Wie neugeboren bin ich aus dem verruchten
Schiff ans Land gestiegen. Der niedere Wasserstand hat die heillose
Fahrt noch mehr verzögert. Aber das Flußbett war ihm eine große
Verschönerung schuldig. Meilenweit war der Susquehannah übersäet von
Felstrümmern voll wilden Formenspiels Bald ragten sie wie Ruinen
römischer Triumphbogen aus dem Wasser, bald glaubte man Löwen,
Sphinxe, Greife und sonst solch' heraldisches Wildpret zu schauen;
kurz, die Phantasie war schöpferisch angeregt. Es ist gar herrlich, wenn
so ein Felsenbett niederen Wasserstand hat. Da zeigt der Strom doch
ein ander' Gesicht, als seine platte, geduldige Oberfläche, die nur
Schiffsgüter expedirt. Man sieht ihm ins Herz, man sieht seine innere
poetische Werkstätte und mit welcher Muskelkraft er feilt, sägt, häm¬
mert und bohrt, um aus den Urwaldsblöcken seine Gedanken zu for¬
men, -- rohe, kyklopische Riesengedanken! Ueberhaupt hat die Gegend
von Harrisburg einen heldenhaften Charakter. Das Thal des Sus¬
quehannah, auf der östlichen Flußseite besonders, zeigt schöne, markige
Felsenpartien. Die knorrigen Steineichen darauf glaubt man ordentlich
knattern zu hören, wie die Hitze ihr altes Holz sprengt. Hoch über
ihnen schweift der Geier und kreischt seinen rauhen Gesang von Hunger
und Liebe, daß Einem das Herz im Leibe lacht. Wer das Auge hätte,
womit so ein Racker unter'm vierzigsten Breitengrad in die Mittags¬
sonne schaut!


Harrisburg. -- Es fängt an, mir ernstlich bange zu werden,
welchen Weg die Culturgeschichte Amerika's einschlagen wird. Von den
Tausenden und Tausenden, die jährlich als Neu-Siedler in unge¬
bahnten Wildnissen sich niederlassen, erwartet man, wie billig, nichts
anders, als die erste roheste Arbeit. Pioniere der Cultur heißen sie,
die Cultur selbst soll ihnen erst nachrücken. Von dieser nachzurückenden
Cultur wird man aber wieder die großen See- und Handelsstädte
abziehen müssen, deren Leben Taumel ist -- Taumel des Geschäfts
und Taumel des Genusses. Nun dächte man, läge die Cultur in der
Mitte; sie läge in jenen glücklich situirten Städten, die, gleich ent¬
fernt von der Roheit des Hinterwäldlers und von der Verderbniß der
Seehafen-Aristokratie, Besitzer eines ruhig arbeitenden Kapitals sind,

Harrisburg. — Wie neugeboren bin ich aus dem verruchten
Schiff ans Land geſtiegen. Der niedere Waſſerſtand hat die heilloſe
Fahrt noch mehr verzögert. Aber das Flußbett war ihm eine große
Verſchönerung ſchuldig. Meilenweit war der Susquehannah überſäet von
Felstrümmern voll wilden Formenſpiels Bald ragten ſie wie Ruinen
römiſcher Triumphbogen aus dem Waſſer, bald glaubte man Löwen,
Sphinxe, Greife und ſonſt ſolch' heraldiſches Wildpret zu ſchauen;
kurz, die Phantaſie war ſchöpferiſch angeregt. Es iſt gar herrlich, wenn
ſo ein Felſenbett niederen Waſſerſtand hat. Da zeigt der Strom doch
ein ander' Geſicht, als ſeine platte, geduldige Oberfläche, die nur
Schiffsgüter expedirt. Man ſieht ihm ins Herz, man ſieht ſeine innere
poetiſche Werkſtätte und mit welcher Muskelkraft er feilt, ſägt, häm¬
mert und bohrt, um aus den Urwaldsblöcken ſeine Gedanken zu for¬
men, — rohe, kyklopiſche Rieſengedanken! Ueberhaupt hat die Gegend
von Harrisburg einen heldenhaften Charakter. Das Thal des Sus¬
quehannah, auf der öſtlichen Flußſeite beſonders, zeigt ſchöne, markige
Felſenpartien. Die knorrigen Steineichen darauf glaubt man ordentlich
knattern zu hören, wie die Hitze ihr altes Holz ſprengt. Hoch über
ihnen ſchweift der Geier und kreiſcht ſeinen rauhen Geſang von Hunger
und Liebe, daß Einem das Herz im Leibe lacht. Wer das Auge hätte,
womit ſo ein Racker unter'm vierzigſten Breitengrad in die Mittags¬
ſonne ſchaut!


Harrisburg. — Es fängt an, mir ernſtlich bange zu werden,
welchen Weg die Culturgeſchichte Amerika's einſchlagen wird. Von den
Tauſenden und Tauſenden, die jährlich als Neu-Siedler in unge¬
bahnten Wildniſſen ſich niederlaſſen, erwartet man, wie billig, nichts
anders, als die erſte roheſte Arbeit. Pioniere der Cultur heißen ſie,
die Cultur ſelbſt ſoll ihnen erſt nachrücken. Von dieſer nachzurückenden
Cultur wird man aber wieder die großen See- und Handelsſtädte
abziehen müſſen, deren Leben Taumel iſt — Taumel des Geſchäfts
und Taumel des Genuſſes. Nun dächte man, läge die Cultur in der
Mitte; ſie läge in jenen glücklich ſituirten Städten, die, gleich ent¬
fernt von der Roheit des Hinterwäldlers und von der Verderbniß der
Seehafen-Ariſtokratie, Beſitzer eines ruhig arbeitenden Kapitals ſind,

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[278/0296] Harrisburg. — Wie neugeboren bin ich aus dem verruchten Schiff ans Land geſtiegen. Der niedere Waſſerſtand hat die heilloſe Fahrt noch mehr verzögert. Aber das Flußbett war ihm eine große Verſchönerung ſchuldig. Meilenweit war der Susquehannah überſäet von Felstrümmern voll wilden Formenſpiels Bald ragten ſie wie Ruinen römiſcher Triumphbogen aus dem Waſſer, bald glaubte man Löwen, Sphinxe, Greife und ſonſt ſolch' heraldiſches Wildpret zu ſchauen; kurz, die Phantaſie war ſchöpferiſch angeregt. Es iſt gar herrlich, wenn ſo ein Felſenbett niederen Waſſerſtand hat. Da zeigt der Strom doch ein ander' Geſicht, als ſeine platte, geduldige Oberfläche, die nur Schiffsgüter expedirt. Man ſieht ihm ins Herz, man ſieht ſeine innere poetiſche Werkſtätte und mit welcher Muskelkraft er feilt, ſägt, häm¬ mert und bohrt, um aus den Urwaldsblöcken ſeine Gedanken zu for¬ men, — rohe, kyklopiſche Rieſengedanken! Ueberhaupt hat die Gegend von Harrisburg einen heldenhaften Charakter. Das Thal des Sus¬ quehannah, auf der öſtlichen Flußſeite beſonders, zeigt ſchöne, markige Felſenpartien. Die knorrigen Steineichen darauf glaubt man ordentlich knattern zu hören, wie die Hitze ihr altes Holz ſprengt. Hoch über ihnen ſchweift der Geier und kreiſcht ſeinen rauhen Geſang von Hunger und Liebe, daß Einem das Herz im Leibe lacht. Wer das Auge hätte, womit ſo ein Racker unter'm vierzigſten Breitengrad in die Mittags¬ ſonne ſchaut! Harrisburg. — Es fängt an, mir ernſtlich bange zu werden, welchen Weg die Culturgeſchichte Amerika's einſchlagen wird. Von den Tauſenden und Tauſenden, die jährlich als Neu-Siedler in unge¬ bahnten Wildniſſen ſich niederlaſſen, erwartet man, wie billig, nichts anders, als die erſte roheſte Arbeit. Pioniere der Cultur heißen ſie, die Cultur ſelbſt ſoll ihnen erſt nachrücken. Von dieſer nachzurückenden Cultur wird man aber wieder die großen See- und Handelsſtädte abziehen müſſen, deren Leben Taumel iſt — Taumel des Geſchäfts und Taumel des Genuſſes. Nun dächte man, läge die Cultur in der Mitte; ſie läge in jenen glücklich ſituirten Städten, die, gleich ent¬ fernt von der Roheit des Hinterwäldlers und von der Verderbniß der Seehafen-Ariſtokratie, Beſitzer eines ruhig arbeitenden Kapitals ſind,

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/296>, abgerufen am 22.11.2024.