Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

erzählen. Ich promenirte vor nicht langer Zeit hier auf der Battery.
In einiger Entfernung von mir gingen drei junge Ladies in eleganten
Morgentoiletten die Laubgänge entlang. Sie waren ohne männliche
Begleitung -- sei's, daß ihre Equipage am Eingang des Parks hielt,
oder daß ihr Haus selbst in der Nähe lag, was das wahrscheinlichste
war, denn sie gehörten, wie ich sehen konnte, jener Gesellschaftssphäre
an, welche auf der Battery ihre Residenz hat. Diesen Damen kam
ein Newsboy entgegen, welcher seine Zeitung ausrief. Der Junge
handelte aber gleichzeitig noch mit einer andern Literatur und diese
rief er eben so unverhohlen aus. Ich traute meinem Ohre nicht.
Dicht vor den Mädchen erhob er seine Stimme zu einem obscönen
Proclam, daß mir zu Muthe war, eine moralische Pulvermine fliege
vor ihnen auf. Die armen Kinder konnten weder vor, noch zurück,
noch seitwärts; der freche Knabe lief ihnen geradezu in den Weg; sie
mußten hören wohl oder übel. Sie hörten auch. Die Eine begrub
ihr Gesicht in's battistene Taschentuch, die andere wandte das Köpfchen
seitwärts, als wäre sie eben geistesabwesend, die Dritte aber sah ich
stille stehen. Sie hielt den Jungen an, nahm ihre Perlbörse zur
Hand, winkte, und im nächsten Augenblicke flog das obscöne Portefeuille
über den Batterywall ins Meer. Sehen Sie, sagte Moorfeld, indem
er seine Stimme mit einem eigenthümlichen Timbre ausklingen ließ,
dieser Zug gefiel mir. Den Buben zu ignoriren, sich zu stellen, als
verstände man ihn überhaupt nicht, war freilich auch mädchenhaft, so¬
gar mädchenhafter, aber in jenem Philistersinne, von dem ich zuvor
sprach. Es hatte fast etwas Komisches, etwas vom Vogel Strauß,
wenn er seinen Kopf in den Sand steckt. Die Dritte fühlte das und
trat mit einer edlen Freimüthigkeit aus der kleinlichen Modestie heraus,
um nach einer größeren zu handeln. Das Unsittliche war freilich in
der Welt, das konnte sie nicht hindern; aber sie ließ es nicht vorüber¬
gehen an sich. Der Moment, da es an sie herankam, war auch sein
letzter. Eine Berührung ihrer reinen Hand und es verschwand. Das
war ästhetisch. Es lag eine so schöne Harmonie in diesem Zuge, --
man nenne ihn scheinlos, wie man will, aber ich schäme mich nicht zu
gestehen, ich würde nach diesem Zuge jener Dame für ewig eine ge¬
wisse Genialität ihrer Weiblichkeit zutrauen.

Moorfeld schwieg.

erzählen. Ich promenirte vor nicht langer Zeit hier auf der Battery.
In einiger Entfernung von mir gingen drei junge Ladies in eleganten
Morgentoiletten die Laubgänge entlang. Sie waren ohne männliche
Begleitung — ſei's, daß ihre Equipage am Eingang des Parks hielt,
oder daß ihr Haus ſelbſt in der Nähe lag, was das wahrſcheinlichſte
war, denn ſie gehörten, wie ich ſehen konnte, jener Geſellſchaftsſphäre
an, welche auf der Battery ihre Reſidenz hat. Dieſen Damen kam
ein Newsboy entgegen, welcher ſeine Zeitung ausrief. Der Junge
handelte aber gleichzeitig noch mit einer andern Literatur und dieſe
rief er eben ſo unverhohlen aus. Ich traute meinem Ohre nicht.
Dicht vor den Mädchen erhob er ſeine Stimme zu einem obſcönen
Proclam, daß mir zu Muthe war, eine moraliſche Pulvermine fliege
vor ihnen auf. Die armen Kinder konnten weder vor, noch zurück,
noch ſeitwärts; der freche Knabe lief ihnen geradezu in den Weg; ſie
mußten hören wohl oder übel. Sie hörten auch. Die Eine begrub
ihr Geſicht in's battiſtene Taſchentuch, die andere wandte das Köpfchen
ſeitwärts, als wäre ſie eben geiſtesabweſend, die Dritte aber ſah ich
ſtille ſtehen. Sie hielt den Jungen an, nahm ihre Perlbörſe zur
Hand, winkte, und im nächſten Augenblicke flog das obſcöne Portefeuille
über den Batterywall ins Meer. Sehen Sie, ſagte Moorfeld, indem
er ſeine Stimme mit einem eigenthümlichen Timbre ausklingen ließ,
dieſer Zug gefiel mir. Den Buben zu ignoriren, ſich zu ſtellen, als
verſtände man ihn überhaupt nicht, war freilich auch mädchenhaft, ſo¬
gar mädchenhafter, aber in jenem Philiſterſinne, von dem ich zuvor
ſprach. Es hatte faſt etwas Komiſches, etwas vom Vogel Strauß,
wenn er ſeinen Kopf in den Sand ſteckt. Die Dritte fühlte das und
trat mit einer edlen Freimüthigkeit aus der kleinlichen Modeſtie heraus,
um nach einer größeren zu handeln. Das Unſittliche war freilich in
der Welt, das konnte ſie nicht hindern; aber ſie ließ es nicht vorüber¬
gehen an ſich. Der Moment, da es an ſie herankam, war auch ſein
letzter. Eine Berührung ihrer reinen Hand und es verſchwand. Das
war äſthetiſch. Es lag eine ſo ſchöne Harmonie in dieſem Zuge, —
man nenne ihn ſcheinlos, wie man will, aber ich ſchäme mich nicht zu
geſtehen, ich würde nach dieſem Zuge jener Dame für ewig eine ge¬
wiſſe Genialität ihrer Weiblichkeit zutrauen.

Moorfeld ſchwieg.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0264" n="246"/>
erzählen. Ich promenirte vor nicht langer Zeit hier auf der Battery.<lb/>
In einiger Entfernung von mir gingen drei junge Ladies in eleganten<lb/>
Morgentoiletten die Laubgänge entlang. Sie waren ohne männliche<lb/>
Begleitung &#x2014; &#x017F;ei's, daß ihre Equipage am Eingang des Parks hielt,<lb/>
oder daß ihr Haus &#x017F;elb&#x017F;t in der Nähe lag, was das wahr&#x017F;cheinlich&#x017F;te<lb/>
war, denn &#x017F;ie gehörten, wie ich &#x017F;ehen konnte, jener Ge&#x017F;ell&#x017F;chafts&#x017F;phäre<lb/>
an, welche auf der Battery ihre Re&#x017F;idenz hat. Die&#x017F;en Damen kam<lb/>
ein Newsboy entgegen, welcher &#x017F;eine Zeitung ausrief. Der Junge<lb/>
handelte aber gleichzeitig noch mit einer andern Literatur und die&#x017F;e<lb/>
rief er eben &#x017F;o unverhohlen aus. Ich traute meinem Ohre nicht.<lb/>
Dicht vor den Mädchen erhob er &#x017F;eine Stimme zu einem ob&#x017F;cönen<lb/>
Proclam, daß mir zu Muthe war, eine morali&#x017F;che Pulvermine fliege<lb/>
vor ihnen auf. Die armen Kinder konnten weder vor, noch zurück,<lb/>
noch &#x017F;eitwärts; der freche Knabe lief ihnen geradezu in den Weg; &#x017F;ie<lb/>
mußten hören wohl oder übel. Sie hörten auch. Die Eine begrub<lb/>
ihr Ge&#x017F;icht in's batti&#x017F;tene Ta&#x017F;chentuch, die andere wandte das Köpfchen<lb/>
&#x017F;eitwärts, als wäre &#x017F;ie eben gei&#x017F;tesabwe&#x017F;end, die Dritte aber &#x017F;ah ich<lb/>
&#x017F;tille &#x017F;tehen. Sie hielt den Jungen an, nahm ihre Perlbör&#x017F;e zur<lb/>
Hand, winkte, und im näch&#x017F;ten Augenblicke flog das ob&#x017F;cöne Portefeuille<lb/>
über den Batterywall ins Meer. Sehen Sie, &#x017F;agte Moorfeld, indem<lb/>
er &#x017F;eine Stimme mit einem eigenthümlichen Timbre ausklingen ließ,<lb/>
die&#x017F;er Zug gefiel mir. Den Buben zu ignoriren, &#x017F;ich zu &#x017F;tellen, als<lb/>
ver&#x017F;tände man ihn überhaupt nicht, war freilich auch mädchenhaft, &#x017F;<lb/>
gar mädchenhafter, aber in jenem Phili&#x017F;ter&#x017F;inne, von dem ich zuvor<lb/>
&#x017F;prach. Es hatte fa&#x017F;t etwas Komi&#x017F;ches, etwas vom Vogel Strauß,<lb/>
wenn er &#x017F;einen Kopf in den Sand &#x017F;teckt. Die Dritte fühlte das und<lb/>
trat mit einer edlen Freimüthigkeit aus der kleinlichen Mode&#x017F;tie heraus,<lb/>
um nach einer größeren zu handeln. Das Un&#x017F;ittliche war freilich in<lb/>
der Welt, das konnte &#x017F;ie nicht hindern; aber &#x017F;ie ließ es nicht vorüber¬<lb/>
gehen an &#x017F;ich. Der Moment, da es an &#x017F;ie herankam, war auch &#x017F;ein<lb/>
letzter. Eine Berührung ihrer reinen Hand und es ver&#x017F;chwand. Das<lb/>
war ä&#x017F;theti&#x017F;ch. Es lag eine &#x017F;o &#x017F;chöne Harmonie in die&#x017F;em Zuge, &#x2014;<lb/>
man nenne ihn &#x017F;cheinlos, wie man will, aber ich &#x017F;chäme mich nicht zu<lb/>
ge&#x017F;tehen, ich würde nach die&#x017F;em Zuge jener Dame für ewig eine ge¬<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Genialität ihrer Weiblichkeit zutrauen.</p><lb/>
          <p>Moorfeld &#x017F;chwieg.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0264] erzählen. Ich promenirte vor nicht langer Zeit hier auf der Battery. In einiger Entfernung von mir gingen drei junge Ladies in eleganten Morgentoiletten die Laubgänge entlang. Sie waren ohne männliche Begleitung — ſei's, daß ihre Equipage am Eingang des Parks hielt, oder daß ihr Haus ſelbſt in der Nähe lag, was das wahrſcheinlichſte war, denn ſie gehörten, wie ich ſehen konnte, jener Geſellſchaftsſphäre an, welche auf der Battery ihre Reſidenz hat. Dieſen Damen kam ein Newsboy entgegen, welcher ſeine Zeitung ausrief. Der Junge handelte aber gleichzeitig noch mit einer andern Literatur und dieſe rief er eben ſo unverhohlen aus. Ich traute meinem Ohre nicht. Dicht vor den Mädchen erhob er ſeine Stimme zu einem obſcönen Proclam, daß mir zu Muthe war, eine moraliſche Pulvermine fliege vor ihnen auf. Die armen Kinder konnten weder vor, noch zurück, noch ſeitwärts; der freche Knabe lief ihnen geradezu in den Weg; ſie mußten hören wohl oder übel. Sie hörten auch. Die Eine begrub ihr Geſicht in's battiſtene Taſchentuch, die andere wandte das Köpfchen ſeitwärts, als wäre ſie eben geiſtesabweſend, die Dritte aber ſah ich ſtille ſtehen. Sie hielt den Jungen an, nahm ihre Perlbörſe zur Hand, winkte, und im nächſten Augenblicke flog das obſcöne Portefeuille über den Batterywall ins Meer. Sehen Sie, ſagte Moorfeld, indem er ſeine Stimme mit einem eigenthümlichen Timbre ausklingen ließ, dieſer Zug gefiel mir. Den Buben zu ignoriren, ſich zu ſtellen, als verſtände man ihn überhaupt nicht, war freilich auch mädchenhaft, ſo¬ gar mädchenhafter, aber in jenem Philiſterſinne, von dem ich zuvor ſprach. Es hatte faſt etwas Komiſches, etwas vom Vogel Strauß, wenn er ſeinen Kopf in den Sand ſteckt. Die Dritte fühlte das und trat mit einer edlen Freimüthigkeit aus der kleinlichen Modeſtie heraus, um nach einer größeren zu handeln. Das Unſittliche war freilich in der Welt, das konnte ſie nicht hindern; aber ſie ließ es nicht vorüber¬ gehen an ſich. Der Moment, da es an ſie herankam, war auch ſein letzter. Eine Berührung ihrer reinen Hand und es verſchwand. Das war äſthetiſch. Es lag eine ſo ſchöne Harmonie in dieſem Zuge, — man nenne ihn ſcheinlos, wie man will, aber ich ſchäme mich nicht zu geſtehen, ich würde nach dieſem Zuge jener Dame für ewig eine ge¬ wiſſe Genialität ihrer Weiblichkeit zutrauen. Moorfeld ſchwieg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/264
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/264>, abgerufen am 13.05.2024.