volles, reichgegliedertes Gewebe von Parteiungen, Standpunkten, In¬ teressen und Vortheilen darunter, -- vielleicht denkt er sich auch Mädchenblick und Händedruck darunter. Es steht ihm das ganz frei. Ich aber bitte Jeden, mich aus dem Spiele zu lassen, der so geistreich ist, eine so große und rein menschliche Sache unter einem beschränkten Horizont zu betrachten: diese Beschränkung heiße nun Vaterland oder wie immer.
Cöleste sah den Dandy mit jenem Auge an, welches sagt: was willst Du darauf antworten? Zugleich näherte sie sich wieder dem "Winkel".
Der Nebenbuhler knirschte. Aber er schien entschlossen, die Parthie nicht aufzugeben. Das Idealweib! sagte er achselzuckend. Man muß das Weib auch mit seinen Schwächen lieben können.
Ich gebe Ihnen noch mehr zu, antwortete Moorfeld, nicht nur mit, sondern wegen seiner Schwächen! In den idealen Zügen der Weiblichkeit dürften die Schwächen wahrlich nicht fehlen. Nur müssen es auch wieder gewählte Schwächen sein.
Das ist unverständlich, sagte der Andere.
Verzeihung, Mr. Howland, das finde ich nicht, wendete Cöleste ein. -- Bei dem Namen Howland erkannte Moorfeld auf einmal seinen Mann. Er sah jenen Rowdy-Elegant wieder, den er zuerst als Commandant eines Löschbataillons sein ritterliches aber kokettes Wesen treiben gesehen. Er verwunderte sich nicht wenig, daß man solchen Straßenhelden auf dem Parquet des Salons begegnen könne.
Howland antwortete kurz, fast rauh: Nun wohl, es ist nicht un¬ verständlich. Sie haben Recht. Ich brauche auch nur jene Geschöpfe zu sehen, die wir hier deutsche oder vielmehr hessische Mädchen heißen, so verstehe ich sehr wohl, was Sie gewählte Schwächen nennen. Es ist eine Argumentation durch's Gegentheil.
Mich dünkt, um nicht pöbelhaft zu sprechen, spreche man überhaupt von dem Pöbel keiner Nation, sagte Moorfeld nachdrücklich. Cöleste aber trat begütigend dazwischen: In der That, meine Herren, wir können hier unmöglich eine Gelegenheit zu Mißverständnissen haben. Der Ruf der deutschen Mädchen erfüllt ja die Welt. Ihr weiblicher Cha¬ rakter ist anerkannt der liebenswürdigste, ja er wird oft für den muster¬ giltigen selbst gehalten. Haben wir nicht deutsch gelernt, um jener
D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 16
volles, reichgegliedertes Gewebe von Parteiungen, Standpunkten, In¬ tereſſen und Vortheilen darunter, — vielleicht denkt er ſich auch Mädchenblick und Händedruck darunter. Es ſteht ihm das ganz frei. Ich aber bitte Jeden, mich aus dem Spiele zu laſſen, der ſo geiſtreich iſt, eine ſo große und rein menſchliche Sache unter einem beſchränkten Horizont zu betrachten: dieſe Beſchränkung heiße nun Vaterland oder wie immer.
Cöleſte ſah den Dandy mit jenem Auge an, welches ſagt: was willſt Du darauf antworten? Zugleich näherte ſie ſich wieder dem „Winkel“.
Der Nebenbuhler knirſchte. Aber er ſchien entſchloſſen, die Parthie nicht aufzugeben. Das Idealweib! ſagte er achſelzuckend. Man muß das Weib auch mit ſeinen Schwächen lieben können.
Ich gebe Ihnen noch mehr zu, antwortete Moorfeld, nicht nur mit, ſondern wegen ſeiner Schwächen! In den idealen Zügen der Weiblichkeit dürften die Schwächen wahrlich nicht fehlen. Nur müſſen es auch wieder gewählte Schwächen ſein.
Das iſt unverſtändlich, ſagte der Andere.
Verzeihung, Mr. Howland, das finde ich nicht, wendete Cöleſte ein. — Bei dem Namen Howland erkannte Moorfeld auf einmal ſeinen Mann. Er ſah jenen Rowdy-Elegant wieder, den er zuerſt als Commandant eines Löſchbataillons ſein ritterliches aber kokettes Weſen treiben geſehen. Er verwunderte ſich nicht wenig, daß man ſolchen Straßenhelden auf dem Parquet des Salons begegnen könne.
Howland antwortete kurz, faſt rauh: Nun wohl, es iſt nicht un¬ verſtändlich. Sie haben Recht. Ich brauche auch nur jene Geſchöpfe zu ſehen, die wir hier deutſche oder vielmehr heſſiſche Mädchen heißen, ſo verſtehe ich ſehr wohl, was Sie gewählte Schwächen nennen. Es iſt eine Argumentation durch's Gegentheil.
Mich dünkt, um nicht pöbelhaft zu ſprechen, ſpreche man überhaupt von dem Pöbel keiner Nation, ſagte Moorfeld nachdrücklich. Cöleſte aber trat begütigend dazwiſchen: In der That, meine Herren, wir können hier unmöglich eine Gelegenheit zu Mißverſtändniſſen haben. Der Ruf der deutſchen Mädchen erfüllt ja die Welt. Ihr weiblicher Cha¬ rakter iſt anerkannt der liebenswürdigſte, ja er wird oft für den muſter¬ giltigen ſelbſt gehalten. Haben wir nicht deutſch gelernt, um jener
D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 16
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volles, reichgegliedertes Gewebe von Parteiungen, Standpunkten, In¬
tereſſen und Vortheilen darunter, — vielleicht denkt er ſich auch
Mädchenblick und Händedruck darunter. Es ſteht ihm das ganz frei.
Ich aber bitte Jeden, mich aus dem Spiele zu laſſen, der ſo geiſtreich
iſt, eine ſo große und rein menſchliche Sache unter einem beſchränkten
Horizont zu betrachten: dieſe Beſchränkung heiße nun Vaterland oder
wie immer.
Cöleſte ſah den Dandy mit jenem Auge an, welches ſagt: was
willſt Du darauf antworten? Zugleich näherte ſie ſich wieder dem
„Winkel“.
Der Nebenbuhler knirſchte. Aber er ſchien entſchloſſen, die Parthie
nicht aufzugeben. Das Idealweib! ſagte er achſelzuckend. Man muß
das Weib auch mit ſeinen Schwächen lieben können.
Ich gebe Ihnen noch mehr zu, antwortete Moorfeld, nicht nur
mit, ſondern wegen ſeiner Schwächen! In den idealen Zügen der
Weiblichkeit dürften die Schwächen wahrlich nicht fehlen. Nur müſſen
es auch wieder gewählte Schwächen ſein.
Das iſt unverſtändlich, ſagte der Andere.
Verzeihung, Mr. Howland, das finde ich nicht, wendete Cöleſte
ein. — Bei dem Namen Howland erkannte Moorfeld auf einmal
ſeinen Mann. Er ſah jenen Rowdy-Elegant wieder, den er zuerſt
als Commandant eines Löſchbataillons ſein ritterliches aber kokettes
Weſen treiben geſehen. Er verwunderte ſich nicht wenig, daß man
ſolchen Straßenhelden auf dem Parquet des Salons begegnen könne.
Howland antwortete kurz, faſt rauh: Nun wohl, es iſt nicht un¬
verſtändlich. Sie haben Recht. Ich brauche auch nur jene Geſchöpfe
zu ſehen, die wir hier deutſche oder vielmehr heſſiſche Mädchen heißen,
ſo verſtehe ich ſehr wohl, was Sie gewählte Schwächen nennen. Es
iſt eine Argumentation durch's Gegentheil.
Mich dünkt, um nicht pöbelhaft zu ſprechen, ſpreche man überhaupt
von dem Pöbel keiner Nation, ſagte Moorfeld nachdrücklich. Cöleſte aber
trat begütigend dazwiſchen: In der That, meine Herren, wir können
hier unmöglich eine Gelegenheit zu Mißverſtändniſſen haben. Der
Ruf der deutſchen Mädchen erfüllt ja die Welt. Ihr weiblicher Cha¬
rakter iſt anerkannt der liebenswürdigſte, ja er wird oft für den muſter¬
giltigen ſelbſt gehalten. Haben wir nicht deutſch gelernt, um jener
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/259>, abgerufen am 22.11.2024.
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