Es ist weltbekannt, die Tropen haben noch keinen großen Mann geboren.
Aber wenig große Männer gab's, die nach den Tropen sich nicht gesehnt hätten, antwortete Cöleste, das Mädchen, das der halb tolle Engländer für ein Halbkind ausgegeben.
Moorfeld machte die Geberde eines Suchenden und erwiederte augenblicklich: War mir's doch so eben, Sie hätten einen Juwel ver¬ loren, Miß.
Zur Antwort trat Cöleste zurück, gleichsam wie man einem Suchenden Platz macht, aber es war eine Bewegung gegen den Winkel!
Unser Freund gestand sich bald, daß diese "Cour des Winkels" eine höchst liebenswürdige Nationalsitte sei und die Telegraphie des Unaussprechlichen im Schooße der Convenienz recht anmuthig und glücklich bereichere.
Cöleste indeß fuhr fort: Wenn ich rathen darf, Sir, so haben Sie gewiß auch den hohen Norden besucht? Bitte, erzählen Sie uns etwas Freundliches von dem Eismeer.
Etwas Freundliches von dem Eismeer! Moorfeld berichtigte sein Urtheil sofort dahin, daß die Dame des Winkels ihren Pfad doch auch ein wenig epineuse machen könne, vorausgesetzt, daß sie die Caprice geschickt zu handhaben wisse. Er blickte der kleinen Versucherin in's Auge, das so unschuldig sah, als ob es sich nicht fern seiner Schelmerei bewußt wäre. Aber auch er blieb sicher, die Phantasie war ihm bereit. Mit freudiger Rüstigkeit, wie ein Vogel die thaubenetzte Schwinge schüttelnd zur Sonne auffliegt, griff er in's Füllhorn der Inspiration. Er antwortete:
Sie haben richtig gerathen, theure Miß. Auch der eisstarrende Norden hat meine Reiselust in seinen strengen Bann zu zaubern ge¬ wußt. Aber wahrlich, es erlebt sich nichts Freundliches dort. Wo der Eskimo sich und seine Lampe aus ein- und derselben widerlichen Thranquelle nährt; wo der überwinternde Europäer seine Hand wie einen Handschuh verliert und vor Hunger seinen Handschuh verspeist wie eine delicate Bärenklaue: dort ist die Erde nicht freundlich. Höch¬ stens könnte ich das Nordlicht beschreiben; aber seit Lord Byron sich ein Nordlicht in Versen nannte, hat die fashionable Welt diese hehre
Es iſt weltbekannt, die Tropen haben noch keinen großen Mann geboren.
Aber wenig große Männer gab's, die nach den Tropen ſich nicht geſehnt hätten, antwortete Cöleſte, das Mädchen, das der halb tolle Engländer für ein Halbkind ausgegeben.
Moorfeld machte die Geberde eines Suchenden und erwiederte augenblicklich: War mir's doch ſo eben, Sie hätten einen Juwel ver¬ loren, Miß.
Zur Antwort trat Cöleſte zurück, gleichſam wie man einem Suchenden Platz macht, aber es war eine Bewegung gegen den Winkel!
Unſer Freund geſtand ſich bald, daß dieſe „Cour des Winkels“ eine höchſt liebenswürdige Nationalſitte ſei und die Telegraphie des Unausſprechlichen im Schooße der Convenienz recht anmuthig und glücklich bereichere.
Cöleſte indeß fuhr fort: Wenn ich rathen darf, Sir, ſo haben Sie gewiß auch den hohen Norden beſucht? Bitte, erzählen Sie uns etwas Freundliches von dem Eismeer.
Etwas Freundliches von dem Eismeer! Moorfeld berichtigte ſein Urtheil ſofort dahin, daß die Dame des Winkels ihren Pfad doch auch ein wenig epineuſe machen könne, vorausgeſetzt, daß ſie die Caprice geſchickt zu handhaben wiſſe. Er blickte der kleinen Verſucherin in's Auge, das ſo unſchuldig ſah, als ob es ſich nicht fern ſeiner Schelmerei bewußt wäre. Aber auch er blieb ſicher, die Phantaſie war ihm bereit. Mit freudiger Rüſtigkeit, wie ein Vogel die thaubenetzte Schwinge ſchüttelnd zur Sonne auffliegt, griff er in's Füllhorn der Inſpiration. Er antwortete:
Sie haben richtig gerathen, theure Miß. Auch der eisſtarrende Norden hat meine Reiſeluſt in ſeinen ſtrengen Bann zu zaubern ge¬ wußt. Aber wahrlich, es erlebt ſich nichts Freundliches dort. Wo der Eskimo ſich und ſeine Lampe aus ein- und derſelben widerlichen Thranquelle nährt; wo der überwinternde Europäer ſeine Hand wie einen Handſchuh verliert und vor Hunger ſeinen Handſchuh verſpeist wie eine delicate Bärenklaue: dort iſt die Erde nicht freundlich. Höch¬ ſtens könnte ich das Nordlicht beſchreiben; aber ſeit Lord Byron ſich ein Nordlicht in Verſen nannte, hat die faſhionable Welt dieſe hehre
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Es iſt weltbekannt, die Tropen haben noch keinen großen Mann
geboren.
Aber wenig große Männer gab's, die nach den Tropen ſich
nicht geſehnt hätten, antwortete Cöleſte, das Mädchen, das der halb
tolle Engländer für ein Halbkind ausgegeben.
Moorfeld machte die Geberde eines Suchenden und erwiederte
augenblicklich: War mir's doch ſo eben, Sie hätten einen Juwel ver¬
loren, Miß.
Zur Antwort trat Cöleſte zurück, gleichſam wie man einem
Suchenden Platz macht, aber es war eine Bewegung gegen den
Winkel!
Unſer Freund geſtand ſich bald, daß dieſe „Cour des Winkels“
eine höchſt liebenswürdige Nationalſitte ſei und die Telegraphie des
Unausſprechlichen im Schooße der Convenienz recht anmuthig und
glücklich bereichere.
Cöleſte indeß fuhr fort: Wenn ich rathen darf, Sir, ſo haben
Sie gewiß auch den hohen Norden beſucht? Bitte, erzählen Sie
uns etwas Freundliches von dem Eismeer.
Etwas Freundliches von dem Eismeer! Moorfeld berichtigte ſein
Urtheil ſofort dahin, daß die Dame des Winkels ihren Pfad doch
auch ein wenig epineuſe machen könne, vorausgeſetzt, daß ſie
die Caprice geſchickt zu handhaben wiſſe. Er blickte der kleinen
Verſucherin in's Auge, das ſo unſchuldig ſah, als ob es ſich nicht
fern ſeiner Schelmerei bewußt wäre. Aber auch er blieb ſicher, die
Phantaſie war ihm bereit. Mit freudiger Rüſtigkeit, wie ein Vogel
die thaubenetzte Schwinge ſchüttelnd zur Sonne auffliegt, griff er in's
Füllhorn der Inſpiration. Er antwortete:
Sie haben richtig gerathen, theure Miß. Auch der eisſtarrende
Norden hat meine Reiſeluſt in ſeinen ſtrengen Bann zu zaubern ge¬
wußt. Aber wahrlich, es erlebt ſich nichts Freundliches dort. Wo
der Eskimo ſich und ſeine Lampe aus ein- und derſelben widerlichen
Thranquelle nährt; wo der überwinternde Europäer ſeine Hand wie
einen Handſchuh verliert und vor Hunger ſeinen Handſchuh verſpeist
wie eine delicate Bärenklaue: dort iſt die Erde nicht freundlich. Höch¬
ſtens könnte ich das Nordlicht beſchreiben; aber ſeit Lord Byron ſich
ein Nordlicht in Verſen nannte, hat die faſhionable Welt dieſe hehre
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/253>, abgerufen am 23.11.2024.
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