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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Die langen Hälse der Snobs drehten sich auf ihren Wirbeln
herum, den Vorgestellten neugierig musternd. Das satyrische Lächeln,
das sie bei der Annäherung des Lords gezeigt, verschwand sofort wie¬
der beim Anblicke Moorfelds. Es machte dem Ausdruck eines ge¬
wissen Verdrusses Platz, einem undefinirbaren Mienenspiel von Einfalt
und Naseweisheit, welches verrieth, daß sie zwar zu dumm waren,
ein höheres Genie als sich selbst zu erkennen und zu fürchten, aber
doch auch zu feig, sich ganz behaglich und sicher dabei zu fühlen.
Jedenfalls wies sich dem Ankömmling eine Gallerie von übelwollenden
Gesichtern. Moorfeld ließ sich das nicht anfechten. Sein Auge
feierte den Anblick Cölestinens. Es war zum ersten Male, daß er
ihr in Front gegenüberstand. Damals hatte er sie aus einer ge¬
wissen Ferne und nur flüchtig gesehen; auch trug sie an jenem Mor¬
gen ein Peignoir und eine Coiffüre von kleinen Ringellöckchen; heute
war sie a l'enfant frisirt, und das glatte Leibchen ihrer eleganten
Robe von indischem Musselin hob ihre feine Taille eben so edel her¬
vor, als jener Morgenüberwurf sie dem Blicke verhüllt hatte. Kurz, die
äußere Erscheinung bot zwei ganz verschiedene Bilder, und Moorfeld er¬
schrack fast, wie treu er das eine festgehalten. Auch die Gesichtszüge
des Mädchens schienen nicht geeignet, der Imagination sich scharf ein¬
zuprägen; da sie Blondine war, so fiel der Begriff einer "markirten"
oder "ausdrucksvollen" Schönheit von selbst weg. Fänden wir es
nicht tadelnswerth, das Lebendige durch seine eigene Nachahmung zu
definiren, so würden wir mit dem schlechten, aber viel gebrauchten
Behelf, unser Kunstmittel einer andern Kunst zu entlehnen, uns etwa
so ausdrücken: nicht die Zeichnung, sondern das Colorit war das
Bezaubernde ihres Kopfes, sie war kein Buonarotti, sondern ein Guido
Reni. Die Rose der Gesundheit war zu dem zarten Rosa der
Mandelblüthe auf ihren Wangen verfeinert, der Strahl ihres Auges
leuchtete weich und mild wie Mondesstrahl und hatte etwas Ueber¬
wachtes, einen Dämmer süßer Müdigkeit, welchen die fatiguirteste
Aristokratin dem kleinen verwöhnten Bürgerkinde Newyorks beneidet
hätte. Es schien ungefährlich, in dieses Auge zu sehen. Es athmete
einen Ausdruck von Ruhe, welche capuanisch sicher machte. Der Be¬
schauer vertiefte sich darin mit vollkommenster Freiheit; aus dem
Arsenal der Mädchenwaffen zuckte ihm keines der wohlbekannten

Die langen Hälſe der Snobs drehten ſich auf ihren Wirbeln
herum, den Vorgeſtellten neugierig muſternd. Das ſatyriſche Lächeln,
das ſie bei der Annäherung des Lords gezeigt, verſchwand ſofort wie¬
der beim Anblicke Moorfelds. Es machte dem Ausdruck eines ge¬
wiſſen Verdruſſes Platz, einem undefinirbaren Mienenſpiel von Einfalt
und Naſeweisheit, welches verrieth, daß ſie zwar zu dumm waren,
ein höheres Genie als ſich ſelbſt zu erkennen und zu fürchten, aber
doch auch zu feig, ſich ganz behaglich und ſicher dabei zu fühlen.
Jedenfalls wies ſich dem Ankömmling eine Gallerie von übelwollenden
Geſichtern. Moorfeld ließ ſich das nicht anfechten. Sein Auge
feierte den Anblick Cöleſtinens. Es war zum erſten Male, daß er
ihr in Front gegenüberſtand. Damals hatte er ſie aus einer ge¬
wiſſen Ferne und nur flüchtig geſehen; auch trug ſie an jenem Mor¬
gen ein Peignoir und eine Coiffüre von kleinen Ringellöckchen; heute
war ſie à l'enfant friſirt, und das glatte Leibchen ihrer eleganten
Robe von indiſchem Muſſelin hob ihre feine Taille eben ſo edel her¬
vor, als jener Morgenüberwurf ſie dem Blicke verhüllt hatte. Kurz, die
äußere Erſcheinung bot zwei ganz verſchiedene Bilder, und Moorfeld er¬
ſchrack faſt, wie treu er das eine feſtgehalten. Auch die Geſichtszüge
des Mädchens ſchienen nicht geeignet, der Imagination ſich ſcharf ein¬
zuprägen; da ſie Blondine war, ſo fiel der Begriff einer „markirten”
oder „ausdrucksvollen” Schönheit von ſelbſt weg. Fänden wir es
nicht tadelnswerth, das Lebendige durch ſeine eigene Nachahmung zu
definiren, ſo würden wir mit dem ſchlechten, aber viel gebrauchten
Behelf, unſer Kunſtmittel einer andern Kunſt zu entlehnen, uns etwa
ſo ausdrücken: nicht die Zeichnung, ſondern das Colorit war das
Bezaubernde ihres Kopfes, ſie war kein Buonarotti, ſondern ein Guido
Reni. Die Roſe der Geſundheit war zu dem zarten Roſa der
Mandelblüthe auf ihren Wangen verfeinert, der Strahl ihres Auges
leuchtete weich und mild wie Mondesſtrahl und hatte etwas Ueber¬
wachtes, einen Dämmer ſüßer Müdigkeit, welchen die fatiguirteſte
Ariſtokratin dem kleinen verwöhnten Bürgerkinde Newyorks beneidet
hätte. Es ſchien ungefährlich, in dieſes Auge zu ſehen. Es athmete
einen Ausdruck von Ruhe, welche capuaniſch ſicher machte. Der Be¬
ſchauer vertiefte ſich darin mit vollkommenſter Freiheit; aus dem
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[231/0249] Die langen Hälſe der Snobs drehten ſich auf ihren Wirbeln herum, den Vorgeſtellten neugierig muſternd. Das ſatyriſche Lächeln, das ſie bei der Annäherung des Lords gezeigt, verſchwand ſofort wie¬ der beim Anblicke Moorfelds. Es machte dem Ausdruck eines ge¬ wiſſen Verdruſſes Platz, einem undefinirbaren Mienenſpiel von Einfalt und Naſeweisheit, welches verrieth, daß ſie zwar zu dumm waren, ein höheres Genie als ſich ſelbſt zu erkennen und zu fürchten, aber doch auch zu feig, ſich ganz behaglich und ſicher dabei zu fühlen. Jedenfalls wies ſich dem Ankömmling eine Gallerie von übelwollenden Geſichtern. Moorfeld ließ ſich das nicht anfechten. Sein Auge feierte den Anblick Cöleſtinens. Es war zum erſten Male, daß er ihr in Front gegenüberſtand. Damals hatte er ſie aus einer ge¬ wiſſen Ferne und nur flüchtig geſehen; auch trug ſie an jenem Mor¬ gen ein Peignoir und eine Coiffüre von kleinen Ringellöckchen; heute war ſie à l'enfant friſirt, und das glatte Leibchen ihrer eleganten Robe von indiſchem Muſſelin hob ihre feine Taille eben ſo edel her¬ vor, als jener Morgenüberwurf ſie dem Blicke verhüllt hatte. Kurz, die äußere Erſcheinung bot zwei ganz verſchiedene Bilder, und Moorfeld er¬ ſchrack faſt, wie treu er das eine feſtgehalten. Auch die Geſichtszüge des Mädchens ſchienen nicht geeignet, der Imagination ſich ſcharf ein¬ zuprägen; da ſie Blondine war, ſo fiel der Begriff einer „markirten” oder „ausdrucksvollen” Schönheit von ſelbſt weg. Fänden wir es nicht tadelnswerth, das Lebendige durch ſeine eigene Nachahmung zu definiren, ſo würden wir mit dem ſchlechten, aber viel gebrauchten Behelf, unſer Kunſtmittel einer andern Kunſt zu entlehnen, uns etwa ſo ausdrücken: nicht die Zeichnung, ſondern das Colorit war das Bezaubernde ihres Kopfes, ſie war kein Buonarotti, ſondern ein Guido Reni. Die Roſe der Geſundheit war zu dem zarten Roſa der Mandelblüthe auf ihren Wangen verfeinert, der Strahl ihres Auges leuchtete weich und mild wie Mondesſtrahl und hatte etwas Ueber¬ wachtes, einen Dämmer ſüßer Müdigkeit, welchen die fatiguirteſte Ariſtokratin dem kleinen verwöhnten Bürgerkinde Newyorks beneidet hätte. Es ſchien ungefährlich, in dieſes Auge zu ſehen. Es athmete einen Ausdruck von Ruhe, welche capuaniſch ſicher machte. Der Be¬ ſchauer vertiefte ſich darin mit vollkommenſter Freiheit; aus dem Arſenal der Mädchenwaffen zuckte ihm keines der wohlbekannten

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/249>, abgerufen am 22.11.2024.