Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

seht aber wohl, daß ein alter Nigger, wie ich, nirgends ungestrafter
küssen kann als in Salem. Denn das Gesetz sagt nur: wenn ein
junger Mann -- und die Jury möcht' ich wohl sehen, die mir beweist,
daß ich ein junger Mann bin. In Wahrheit, Sir, ich werde denen
zu Salem einen hübschen Esel bohren, rath' ich. Darauf allein reit'
ich jetzt aus. Hi, Cyrus, hi! Good everning, Sir! Und so ritt der
alte Schelm von dannen.

Mr. Livingstone sagte: Was der Amerikaner mit dem Worte
"smart" bezeichnet, scheint in unserer Luft selbst zu liegen, nicht bloß
in unsrer Race; denn smart kann der Nigger so gut sein, als der
Weiße. Natürlich wird bei diesem mehr oder minder die gentlemännische
Form, der Tact des Maßes und der Schicklichkeit fehlen, und der
Charakter des Grotesken oder Burlesken dafür an die Stelle treten.
Solch ein burlesker smart-man war jener Neger Scipio, ein freier
und stimmberechtigter Bürger der Union, seines Berufes aber Dienst¬
mann im Hause des berühmten Girard zu Philadelphia. Das Ge¬
schichtchen, von dem ich spreche, trug sich bei Gelegenheit der letzten
Präsidentenwahl zu. Girard hielt natürlich, wie alle großen Finan¬
ciers, zur schwarzen Cocarde, der Neger Scipio war für Jackson.
Girard's Charakter ist bekannt. Er konnte großherzig wie ein Lord
und mesquin wie ein Holländer sein, und letzteres war er sicher, wenn
ihm irgend etwas gegen seinen eigensinnigen Gascogner-Kopf ging.
Er schämte sich dann der kleinlichsten Tracasserien nicht, sich an seinem
Widersacher auszulassen. So ärgerte ihn die politische Gegnerschaft
seines Hausnegers. Er war fest entschlossen, den General Jackson
um die Stimme dieses Einen Mannes zu bringen. Am Wahltage
ersann er sich alle möglichen Arbeiten, um den armen Neger so zu
beschäftigen, daß es ihm unmöglich sein sollte, seinen Stimmzettel ab¬
zugeben. Scipio ließ sich Alles gefallen. Zuletzt, als schon der Tag
zu Ende ging, und die Wahlurne nur noch eine halbe Stunde offen
stand, beordert ihn Girard auch noch auf's Dach hinauf, er möge den
schadhaften Schieferziegeln nachsehen. Scipio that auch das. Schon
war der intriguante Franzose seines Sieges gewiß. Solch blödes
Nigger-Vieh ist doch für Dollar-Klang ein willenloses Werkzeug, dachte
der goldgewaltige Eigenthümer von zwanzig Schiffen; -- und das
will Staatsbürger sein! Scipio revidirt indeß seine Dachziegel. Auf

ſeht aber wohl, daß ein alter Nigger, wie ich, nirgends ungeſtrafter
küſſen kann als in Salem. Denn das Geſetz ſagt nur: wenn ein
junger Mann — und die Jury möcht' ich wohl ſehen, die mir beweist,
daß ich ein junger Mann bin. In Wahrheit, Sir, ich werde denen
zu Salem einen hübſchen Eſel bohren, rath' ich. Darauf allein reit'
ich jetzt aus. Hi, Cyrus, hi! Good everning, Sir! Und ſo ritt der
alte Schelm von dannen.

Mr. Livingſtone ſagte: Was der Amerikaner mit dem Worte
smart“ bezeichnet, ſcheint in unſerer Luft ſelbſt zu liegen, nicht bloß
in unſrer Race; denn ſmart kann der Nigger ſo gut ſein, als der
Weiße. Natürlich wird bei dieſem mehr oder minder die gentlemänniſche
Form, der Tact des Maßes und der Schicklichkeit fehlen, und der
Charakter des Grotesken oder Burlesken dafür an die Stelle treten.
Solch ein burlesker smart-man war jener Neger Scipio, ein freier
und ſtimmberechtigter Bürger der Union, ſeines Berufes aber Dienſt¬
mann im Hauſe des berühmten Girard zu Philadelphia. Das Ge¬
ſchichtchen, von dem ich ſpreche, trug ſich bei Gelegenheit der letzten
Präſidentenwahl zu. Girard hielt natürlich, wie alle großen Finan¬
ciers, zur ſchwarzen Cocarde, der Neger Scipio war für Jackſon.
Girard's Charakter iſt bekannt. Er konnte großherzig wie ein Lord
und mesquin wie ein Holländer ſein, und letzteres war er ſicher, wenn
ihm irgend etwas gegen ſeinen eigenſinnigen Gascogner-Kopf ging.
Er ſchämte ſich dann der kleinlichſten Tracaſſerien nicht, ſich an ſeinem
Widerſacher auszulaſſen. So ärgerte ihn die politiſche Gegnerſchaft
ſeines Hausnegers. Er war feſt entſchloſſen, den General Jackſon
um die Stimme dieſes Einen Mannes zu bringen. Am Wahltage
erſann er ſich alle möglichen Arbeiten, um den armen Neger ſo zu
beſchäftigen, daß es ihm unmöglich ſein ſollte, ſeinen Stimmzettel ab¬
zugeben. Scipio ließ ſich Alles gefallen. Zuletzt, als ſchon der Tag
zu Ende ging, und die Wahlurne nur noch eine halbe Stunde offen
ſtand, beordert ihn Girard auch noch auf's Dach hinauf, er möge den
ſchadhaften Schieferziegeln nachſehen. Scipio that auch das. Schon
war der intriguante Franzoſe ſeines Sieges gewiß. Solch blödes
Nigger-Vieh iſt doch für Dollar-Klang ein willenloſes Werkzeug, dachte
der goldgewaltige Eigenthümer von zwanzig Schiffen; — und das
will Staatsbürger ſein! Scipio revidirt indeß ſeine Dachziegel. Auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0241" n="223"/>
&#x017F;eht aber wohl, daß ein alter Nigger, wie ich, nirgends unge&#x017F;trafter<lb/>&#x017F;&#x017F;en kann als in Salem. Denn das Ge&#x017F;etz &#x017F;agt nur: wenn ein<lb/>
junger Mann &#x2014; und die Jury möcht' ich wohl &#x017F;ehen, die mir beweist,<lb/>
daß ich ein junger Mann bin. In Wahrheit, Sir, ich werde denen<lb/>
zu Salem einen hüb&#x017F;chen E&#x017F;el bohren, rath' ich. Darauf allein reit'<lb/>
ich jetzt aus. Hi, Cyrus, hi! <hi rendition="#aq">Good everning</hi>, Sir! Und &#x017F;o ritt der<lb/>
alte Schelm von dannen.</p><lb/>
          <p>Mr. Living&#x017F;tone &#x017F;agte: Was der Amerikaner mit dem Worte<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#aq">smart</hi>&#x201C; bezeichnet, &#x017F;cheint in un&#x017F;erer Luft &#x017F;elb&#x017F;t zu liegen, nicht bloß<lb/>
in un&#x017F;rer Race; denn <hi rendition="#aq">&#x017F;mart</hi> kann der Nigger &#x017F;o gut &#x017F;ein, als der<lb/>
Weiße. Natürlich wird bei die&#x017F;em mehr oder minder die gentlemänni&#x017F;che<lb/>
Form, der Tact des Maßes und der Schicklichkeit fehlen, und der<lb/>
Charakter des Grotesken oder Burlesken dafür an die Stelle treten.<lb/>
Solch ein burlesker <hi rendition="#aq">smart-man</hi> war jener Neger Scipio, ein freier<lb/>
und &#x017F;timmberechtigter Bürger der Union, &#x017F;eines Berufes aber Dien&#x017F;<lb/>
mann im Hau&#x017F;e des berühmten Girard zu Philadelphia. Das Ge¬<lb/>
&#x017F;chichtchen, von dem ich &#x017F;preche, trug &#x017F;ich bei Gelegenheit der letzten<lb/>
Prä&#x017F;identenwahl zu. Girard hielt natürlich, wie alle großen Finan¬<lb/>
ciers, zur &#x017F;chwarzen Cocarde, der Neger Scipio war für Jack&#x017F;on.<lb/>
Girard's Charakter i&#x017F;t bekannt. Er konnte großherzig wie ein Lord<lb/>
und mesquin wie ein Holländer &#x017F;ein, und letzteres war er &#x017F;icher, wenn<lb/>
ihm irgend etwas gegen &#x017F;einen eigen&#x017F;innigen Gascogner-Kopf ging.<lb/>
Er &#x017F;chämte &#x017F;ich dann der kleinlich&#x017F;ten Traca&#x017F;&#x017F;erien nicht, &#x017F;ich an &#x017F;einem<lb/>
Wider&#x017F;acher auszula&#x017F;&#x017F;en. So ärgerte ihn die politi&#x017F;che Gegner&#x017F;chaft<lb/>
&#x017F;eines Hausnegers. Er war fe&#x017F;t ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, den General Jack&#x017F;on<lb/>
um die Stimme die&#x017F;es Einen Mannes zu bringen. Am Wahltage<lb/>
er&#x017F;ann er &#x017F;ich alle möglichen Arbeiten, um den armen Neger &#x017F;o zu<lb/>
be&#x017F;chäftigen, daß es ihm unmöglich &#x017F;ein &#x017F;ollte, &#x017F;einen Stimmzettel ab¬<lb/>
zugeben. Scipio ließ &#x017F;ich Alles gefallen. Zuletzt, als &#x017F;chon der Tag<lb/>
zu Ende ging, und die Wahlurne nur noch eine halbe Stunde offen<lb/>
&#x017F;tand, beordert ihn Girard auch noch auf's Dach hinauf, er möge den<lb/>
&#x017F;chadhaften Schieferziegeln nach&#x017F;ehen. Scipio that auch das. Schon<lb/>
war der intriguante Franzo&#x017F;e &#x017F;eines Sieges gewiß. Solch blödes<lb/>
Nigger-Vieh i&#x017F;t doch für Dollar-Klang ein willenlo&#x017F;es Werkzeug, dachte<lb/>
der goldgewaltige Eigenthümer von zwanzig Schiffen; &#x2014; und das<lb/>
will Staatsbürger &#x017F;ein! Scipio revidirt indeß &#x017F;eine Dachziegel. Auf<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0241] ſeht aber wohl, daß ein alter Nigger, wie ich, nirgends ungeſtrafter küſſen kann als in Salem. Denn das Geſetz ſagt nur: wenn ein junger Mann — und die Jury möcht' ich wohl ſehen, die mir beweist, daß ich ein junger Mann bin. In Wahrheit, Sir, ich werde denen zu Salem einen hübſchen Eſel bohren, rath' ich. Darauf allein reit' ich jetzt aus. Hi, Cyrus, hi! Good everning, Sir! Und ſo ritt der alte Schelm von dannen. Mr. Livingſtone ſagte: Was der Amerikaner mit dem Worte „smart“ bezeichnet, ſcheint in unſerer Luft ſelbſt zu liegen, nicht bloß in unſrer Race; denn ſmart kann der Nigger ſo gut ſein, als der Weiße. Natürlich wird bei dieſem mehr oder minder die gentlemänniſche Form, der Tact des Maßes und der Schicklichkeit fehlen, und der Charakter des Grotesken oder Burlesken dafür an die Stelle treten. Solch ein burlesker smart-man war jener Neger Scipio, ein freier und ſtimmberechtigter Bürger der Union, ſeines Berufes aber Dienſt¬ mann im Hauſe des berühmten Girard zu Philadelphia. Das Ge¬ ſchichtchen, von dem ich ſpreche, trug ſich bei Gelegenheit der letzten Präſidentenwahl zu. Girard hielt natürlich, wie alle großen Finan¬ ciers, zur ſchwarzen Cocarde, der Neger Scipio war für Jackſon. Girard's Charakter iſt bekannt. Er konnte großherzig wie ein Lord und mesquin wie ein Holländer ſein, und letzteres war er ſicher, wenn ihm irgend etwas gegen ſeinen eigenſinnigen Gascogner-Kopf ging. Er ſchämte ſich dann der kleinlichſten Tracaſſerien nicht, ſich an ſeinem Widerſacher auszulaſſen. So ärgerte ihn die politiſche Gegnerſchaft ſeines Hausnegers. Er war feſt entſchloſſen, den General Jackſon um die Stimme dieſes Einen Mannes zu bringen. Am Wahltage erſann er ſich alle möglichen Arbeiten, um den armen Neger ſo zu beſchäftigen, daß es ihm unmöglich ſein ſollte, ſeinen Stimmzettel ab¬ zugeben. Scipio ließ ſich Alles gefallen. Zuletzt, als ſchon der Tag zu Ende ging, und die Wahlurne nur noch eine halbe Stunde offen ſtand, beordert ihn Girard auch noch auf's Dach hinauf, er möge den ſchadhaften Schieferziegeln nachſehen. Scipio that auch das. Schon war der intriguante Franzoſe ſeines Sieges gewiß. Solch blödes Nigger-Vieh iſt doch für Dollar-Klang ein willenloſes Werkzeug, dachte der goldgewaltige Eigenthümer von zwanzig Schiffen; — und das will Staatsbürger ſein! Scipio revidirt indeß ſeine Dachziegel. Auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/241
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/241>, abgerufen am 28.11.2024.