seht aber wohl, daß ein alter Nigger, wie ich, nirgends ungestrafter küssen kann als in Salem. Denn das Gesetz sagt nur: wenn ein junger Mann -- und die Jury möcht' ich wohl sehen, die mir beweist, daß ich ein junger Mann bin. In Wahrheit, Sir, ich werde denen zu Salem einen hübschen Esel bohren, rath' ich. Darauf allein reit' ich jetzt aus. Hi, Cyrus, hi! Good everning, Sir! Und so ritt der alte Schelm von dannen.
Mr. Livingstone sagte: Was der Amerikaner mit dem Worte "smart" bezeichnet, scheint in unserer Luft selbst zu liegen, nicht bloß in unsrer Race; denn smart kann der Nigger so gut sein, als der Weiße. Natürlich wird bei diesem mehr oder minder die gentlemännische Form, der Tact des Maßes und der Schicklichkeit fehlen, und der Charakter des Grotesken oder Burlesken dafür an die Stelle treten. Solch ein burlesker smart-man war jener Neger Scipio, ein freier und stimmberechtigter Bürger der Union, seines Berufes aber Dienst¬ mann im Hause des berühmten Girard zu Philadelphia. Das Ge¬ schichtchen, von dem ich spreche, trug sich bei Gelegenheit der letzten Präsidentenwahl zu. Girard hielt natürlich, wie alle großen Finan¬ ciers, zur schwarzen Cocarde, der Neger Scipio war für Jackson. Girard's Charakter ist bekannt. Er konnte großherzig wie ein Lord und mesquin wie ein Holländer sein, und letzteres war er sicher, wenn ihm irgend etwas gegen seinen eigensinnigen Gascogner-Kopf ging. Er schämte sich dann der kleinlichsten Tracasserien nicht, sich an seinem Widersacher auszulassen. So ärgerte ihn die politische Gegnerschaft seines Hausnegers. Er war fest entschlossen, den General Jackson um die Stimme dieses Einen Mannes zu bringen. Am Wahltage ersann er sich alle möglichen Arbeiten, um den armen Neger so zu beschäftigen, daß es ihm unmöglich sein sollte, seinen Stimmzettel ab¬ zugeben. Scipio ließ sich Alles gefallen. Zuletzt, als schon der Tag zu Ende ging, und die Wahlurne nur noch eine halbe Stunde offen stand, beordert ihn Girard auch noch auf's Dach hinauf, er möge den schadhaften Schieferziegeln nachsehen. Scipio that auch das. Schon war der intriguante Franzose seines Sieges gewiß. Solch blödes Nigger-Vieh ist doch für Dollar-Klang ein willenloses Werkzeug, dachte der goldgewaltige Eigenthümer von zwanzig Schiffen; -- und das will Staatsbürger sein! Scipio revidirt indeß seine Dachziegel. Auf
ſeht aber wohl, daß ein alter Nigger, wie ich, nirgends ungeſtrafter küſſen kann als in Salem. Denn das Geſetz ſagt nur: wenn ein junger Mann — und die Jury möcht' ich wohl ſehen, die mir beweist, daß ich ein junger Mann bin. In Wahrheit, Sir, ich werde denen zu Salem einen hübſchen Eſel bohren, rath' ich. Darauf allein reit' ich jetzt aus. Hi, Cyrus, hi! Good everning, Sir! Und ſo ritt der alte Schelm von dannen.
Mr. Livingſtone ſagte: Was der Amerikaner mit dem Worte „smart“ bezeichnet, ſcheint in unſerer Luft ſelbſt zu liegen, nicht bloß in unſrer Race; denn ſmart kann der Nigger ſo gut ſein, als der Weiße. Natürlich wird bei dieſem mehr oder minder die gentlemänniſche Form, der Tact des Maßes und der Schicklichkeit fehlen, und der Charakter des Grotesken oder Burlesken dafür an die Stelle treten. Solch ein burlesker smart-man war jener Neger Scipio, ein freier und ſtimmberechtigter Bürger der Union, ſeines Berufes aber Dienſt¬ mann im Hauſe des berühmten Girard zu Philadelphia. Das Ge¬ ſchichtchen, von dem ich ſpreche, trug ſich bei Gelegenheit der letzten Präſidentenwahl zu. Girard hielt natürlich, wie alle großen Finan¬ ciers, zur ſchwarzen Cocarde, der Neger Scipio war für Jackſon. Girard's Charakter iſt bekannt. Er konnte großherzig wie ein Lord und mesquin wie ein Holländer ſein, und letzteres war er ſicher, wenn ihm irgend etwas gegen ſeinen eigenſinnigen Gascogner-Kopf ging. Er ſchämte ſich dann der kleinlichſten Tracaſſerien nicht, ſich an ſeinem Widerſacher auszulaſſen. So ärgerte ihn die politiſche Gegnerſchaft ſeines Hausnegers. Er war feſt entſchloſſen, den General Jackſon um die Stimme dieſes Einen Mannes zu bringen. Am Wahltage erſann er ſich alle möglichen Arbeiten, um den armen Neger ſo zu beſchäftigen, daß es ihm unmöglich ſein ſollte, ſeinen Stimmzettel ab¬ zugeben. Scipio ließ ſich Alles gefallen. Zuletzt, als ſchon der Tag zu Ende ging, und die Wahlurne nur noch eine halbe Stunde offen ſtand, beordert ihn Girard auch noch auf's Dach hinauf, er möge den ſchadhaften Schieferziegeln nachſehen. Scipio that auch das. Schon war der intriguante Franzoſe ſeines Sieges gewiß. Solch blödes Nigger-Vieh iſt doch für Dollar-Klang ein willenloſes Werkzeug, dachte der goldgewaltige Eigenthümer von zwanzig Schiffen; — und das will Staatsbürger ſein! Scipio revidirt indeß ſeine Dachziegel. Auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0241"n="223"/>ſeht aber wohl, daß ein alter Nigger, wie ich, nirgends ungeſtrafter<lb/>
küſſen kann als in Salem. Denn das Geſetz ſagt nur: wenn ein<lb/>
junger Mann — und die Jury möcht' ich wohl ſehen, die mir beweist,<lb/>
daß ich ein junger Mann bin. In Wahrheit, Sir, ich werde denen<lb/>
zu Salem einen hübſchen Eſel bohren, rath' ich. Darauf allein reit'<lb/>
ich jetzt aus. Hi, Cyrus, hi! <hirendition="#aq">Good everning</hi>, Sir! Und ſo ritt der<lb/>
alte Schelm von dannen.</p><lb/><p>Mr. Livingſtone ſagte: Was der Amerikaner mit dem Worte<lb/>„<hirendition="#aq">smart</hi>“ bezeichnet, ſcheint in unſerer Luft ſelbſt zu liegen, nicht bloß<lb/>
in unſrer Race; denn <hirendition="#aq">ſmart</hi> kann der Nigger ſo gut ſein, als der<lb/>
Weiße. Natürlich wird bei dieſem mehr oder minder die gentlemänniſche<lb/>
Form, der Tact des Maßes und der Schicklichkeit fehlen, und der<lb/>
Charakter des Grotesken oder Burlesken dafür an die Stelle treten.<lb/>
Solch ein burlesker <hirendition="#aq">smart-man</hi> war jener Neger Scipio, ein freier<lb/>
und ſtimmberechtigter Bürger der Union, ſeines Berufes aber Dienſt¬<lb/>
mann im Hauſe des berühmten Girard zu Philadelphia. Das Ge¬<lb/>ſchichtchen, von dem ich ſpreche, trug ſich bei Gelegenheit der letzten<lb/>
Präſidentenwahl zu. Girard hielt natürlich, wie alle großen Finan¬<lb/>
ciers, zur ſchwarzen Cocarde, der Neger Scipio war für Jackſon.<lb/>
Girard's Charakter iſt bekannt. Er konnte großherzig wie ein Lord<lb/>
und mesquin wie ein Holländer ſein, und letzteres war er ſicher, wenn<lb/>
ihm irgend etwas gegen ſeinen eigenſinnigen Gascogner-Kopf ging.<lb/>
Er ſchämte ſich dann der kleinlichſten Tracaſſerien nicht, ſich an ſeinem<lb/>
Widerſacher auszulaſſen. So ärgerte ihn die politiſche Gegnerſchaft<lb/>ſeines Hausnegers. Er war feſt entſchloſſen, den General Jackſon<lb/>
um die Stimme dieſes Einen Mannes zu bringen. Am Wahltage<lb/>
erſann er ſich alle möglichen Arbeiten, um den armen Neger ſo zu<lb/>
beſchäftigen, daß es ihm unmöglich ſein ſollte, ſeinen Stimmzettel ab¬<lb/>
zugeben. Scipio ließ ſich Alles gefallen. Zuletzt, als ſchon der Tag<lb/>
zu Ende ging, und die Wahlurne nur noch eine halbe Stunde offen<lb/>ſtand, beordert ihn Girard auch noch auf's Dach hinauf, er möge den<lb/>ſchadhaften Schieferziegeln nachſehen. Scipio that auch das. Schon<lb/>
war der intriguante Franzoſe ſeines Sieges gewiß. Solch blödes<lb/>
Nigger-Vieh iſt doch für Dollar-Klang ein willenloſes Werkzeug, dachte<lb/>
der goldgewaltige Eigenthümer von zwanzig Schiffen; — und das<lb/>
will Staatsbürger ſein! Scipio revidirt indeß ſeine Dachziegel. Auf<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[223/0241]
ſeht aber wohl, daß ein alter Nigger, wie ich, nirgends ungeſtrafter
küſſen kann als in Salem. Denn das Geſetz ſagt nur: wenn ein
junger Mann — und die Jury möcht' ich wohl ſehen, die mir beweist,
daß ich ein junger Mann bin. In Wahrheit, Sir, ich werde denen
zu Salem einen hübſchen Eſel bohren, rath' ich. Darauf allein reit'
ich jetzt aus. Hi, Cyrus, hi! Good everning, Sir! Und ſo ritt der
alte Schelm von dannen.
Mr. Livingſtone ſagte: Was der Amerikaner mit dem Worte
„smart“ bezeichnet, ſcheint in unſerer Luft ſelbſt zu liegen, nicht bloß
in unſrer Race; denn ſmart kann der Nigger ſo gut ſein, als der
Weiße. Natürlich wird bei dieſem mehr oder minder die gentlemänniſche
Form, der Tact des Maßes und der Schicklichkeit fehlen, und der
Charakter des Grotesken oder Burlesken dafür an die Stelle treten.
Solch ein burlesker smart-man war jener Neger Scipio, ein freier
und ſtimmberechtigter Bürger der Union, ſeines Berufes aber Dienſt¬
mann im Hauſe des berühmten Girard zu Philadelphia. Das Ge¬
ſchichtchen, von dem ich ſpreche, trug ſich bei Gelegenheit der letzten
Präſidentenwahl zu. Girard hielt natürlich, wie alle großen Finan¬
ciers, zur ſchwarzen Cocarde, der Neger Scipio war für Jackſon.
Girard's Charakter iſt bekannt. Er konnte großherzig wie ein Lord
und mesquin wie ein Holländer ſein, und letzteres war er ſicher, wenn
ihm irgend etwas gegen ſeinen eigenſinnigen Gascogner-Kopf ging.
Er ſchämte ſich dann der kleinlichſten Tracaſſerien nicht, ſich an ſeinem
Widerſacher auszulaſſen. So ärgerte ihn die politiſche Gegnerſchaft
ſeines Hausnegers. Er war feſt entſchloſſen, den General Jackſon
um die Stimme dieſes Einen Mannes zu bringen. Am Wahltage
erſann er ſich alle möglichen Arbeiten, um den armen Neger ſo zu
beſchäftigen, daß es ihm unmöglich ſein ſollte, ſeinen Stimmzettel ab¬
zugeben. Scipio ließ ſich Alles gefallen. Zuletzt, als ſchon der Tag
zu Ende ging, und die Wahlurne nur noch eine halbe Stunde offen
ſtand, beordert ihn Girard auch noch auf's Dach hinauf, er möge den
ſchadhaften Schieferziegeln nachſehen. Scipio that auch das. Schon
war der intriguante Franzoſe ſeines Sieges gewiß. Solch blödes
Nigger-Vieh iſt doch für Dollar-Klang ein willenloſes Werkzeug, dachte
der goldgewaltige Eigenthümer von zwanzig Schiffen; — und das
will Staatsbürger ſein! Scipio revidirt indeß ſeine Dachziegel. Auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/241>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.